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Bad Aussee
Sommerfrische der literarischen Avantgarde

Am Altausseer See im Steirischen Salzkammergut tummelten sich einst Literaten und Komponisten des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Gegend entwickelt sich heute zur Sommerfrische der literarischen Avantgarde.

Von Katrin Kühne | 06.03.2016
    "Es heißt, Künstler im Ausseerland und das Ausseerland ist nun mal dreigeteilt, in den Kurort Bad Aussee, in Altaussee und Grundlsee. Und das darf man nicht zusammenmischen, denn ein Großteil der Künstler hat wirklich die Sommermonate in Altaussee verbracht."
    Bei einem kleinen Braunen in der Seevilla, erklärt mir Heimathistorikerin Monika Gaiswinkler die Feinheiten der Unterscheidung. Der kleine Ort liegt an dem gleichnamigen Altausseer See. Glitzernd breitet der sich vor der Terrasse des Hotels aus, in dessen Vorgängerbau schon Johannes Brahms nächtigte und musizierte. In rund zwei Stunden kann man das Gewässer umwandern.
    Es lag nahe, den schwarzen See mit einem riesigen Tintenfass zu vergleichen, in das im Kreise herumsitzende Dichter ihre Federkiele tauchten."
    Nicht immer ist der bis zu 70 Meter tiefe See wirklich so schwarz, wie es der jüdische Literat Raoul Auernheimer in seiner Autobiografie "Das Wirtshaus zur verlorenen Zeit" schildert. Vielmehr spielt er auf den für das steirische Salzkammergut typischen, tagelangen Schnürlregen im Sommer an, der die Künstler in den Häusern hielt und dadurch zu emsiger Kreativität anregte. Seit 1899 kommt der Wiener Feuilletonist Auernheimer regelmäßig zur Sommerfrische nach Altaussee mit seinem grandiosen Panorama.
    "Sie sehen vor sich den Dachstein mit seinem Gletscher. Der Dachstein ist zweifelsohne der imposanteste Berg, den wir hier im Ausseerland haben."
    Das terrassenartig aufsteigende Gebiet wird umrahmt von Dachstein- und Totem Gebirge und beginnt gleich hinter dem Pötschenpaß. Im 19. Jahrhundert zieht es den echten wie den Geldadel ebenso magisch an, wie die ihnen bald folgenden Künstler – Hermann Bahr, Robert Musil, Rilke, Kokoschka oder Gustav Mahler. Die Avantgarde hält sich gerne etwas fern vom Kaiserlichen Hof, der im Sommer auf der anderen Seite des Passes in Bad Ischl residiert.
    Umso mehr genießen die jungen Wilden die aufgeschlossene Atmosphäre in den literarischen Zirkeln, die in den Häusern rund um den Altausseer See stattfinden. Hier trifft sich Auernheimer mit seinen Freunden vom Wiener literarischen Quartett. Mit dem bei Hofe ob seiner libertinären Novellen verpönten Arthur Schnitzler, dem deutschen Romancier und Redakteur des Simplicissimus, Jakob Wassermann, und dem Librettisten von Richard Strauß, Hugo von Hofmannsthal.
    Der Komponist Richard Strauß hat viele Sommer die Gastfreundschaft im Haus der Familie Hellmann am Seeende genossen. Hofmannsthal hat ihn dort oft besucht.
    "Wir wissen, dass zum Beispiel der Rosenkavalier hier teilweise geschrieben wurde. Die Inspirationen holten sich die Künstler zweifelsohne aus ihren Spaziergängen, und zwar bei jedem Wetter. Die sind immer gegangen, denn nur wer geht, bei dem fließen die Gedanken."
    Gegangen ist Richard Strauß auch gern auf den Loser, plaudert die Heimatforscherin weiter, als wir am See entlang spazieren. Beim Aufstieg auf den Hausberg der Altausseer sind ihm die ersten kompositorischen Ideen für seine grandiose Alpensinfonie gekommen. Dokumentiert ist dies im Literarium. Das kleine Literaturmuseum am Kurpark wurde mitinitiiert von einer bekannten österreichischen Schriftstellerin. Monika Gaiswinkler bleibt vor einem weinbewachsenen Häuschen am See stehen.
    "Wir befinden uns hier vor dem Geburtshaus von Barbara Frischmuth. Das war die ursprüngliche Dependence des Park-Hotels, das ihre Eltern betrieben haben. Ursprünglich war es der Pferdestall des Fürsten Nassau, der dann umgebaut, erweitert wurde und ein ganz reizendes Ensemble darstellt."
    Geboren 1941, hat Barbara Frischmuth hier während des Krieges und in der kargen Zeit danach einen Teil ihrer Kindheit verlebt. Einige Autoren kehren aus dem Exil zurück und bleiben wie Friedrich Torberg, der Autor von der "Tante Jolesch". In dem Gedicht "Sehnsucht nach Altaussee" erinnert er sich an seine Wanderungen in den 1920ern. Wichtiger Punkt waren dabei die Jausen-Treffen mit den Freunden:
    "Wird's beim Fischer eine Jause,
    wird's ein Gang zur Wasnerin?"
    "Die Wiener Literaturszene, aber auch die aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, hat sich hier zur sogenannten Sommerfrische getroffen, die Wasnerin dann eine Kaffeewirtschaft war in der damaligen Zeit und ober dem Nebel, weil auf diesem Lerchenreither Plateau die Sonne ganz einfach ein wenig länger scheint, die Leute länger gesessen sind und gefunden haben in eine literarisch neue Welt."
    Mit Dachstein-Panorama auf der einen Seite und Loser-Berg-Blick auf der anderen existiert die Wasnerin – der Vulgoname erinnert an die damalige Wirtin - bis heute als denkmalgeschütztes Hotel und Ausflugslokal oberhalb von Bad Aussee.
    Gernot Reiter und ich sitzen gemütlich in der offenen Bibliothek des heutigen Literaturhotels. Zusammen mit der jetzigen Wasnerin, Direktorin Petra Barta, möchte der Kommunikationsfachmann die literarische Tradition des 19. Jahrhunderts wiederbeleben. Letztes Jahr haben sie, unterstützt von der Region, das Wortfestival Literasee ins Leben gerufen, wo unter anderem die in Tiblissi geborene, vielfach preisgekrönte Autorin Nino Haratischwili auftrat.
    Das Hotel vergibt auch Schreibstipendien. Ob sie die Idee der früheren Ausseer Sommersalons mit ihrem Mäzenatentum wieder aufnehmen will, möchte ich von Petra Barta wissen.
    "Mich fragen viele Gäste, warum macht ein Hotel so etwas. Und ich bin der Meinung, dass eben heutzutage mehr dazu gehört, als einfach sich wohlzufühlen, in einem Hotel gut zu schlafen, gut zu speisen, seinen Körper verwöhnen zu lassen – Stichwort Wellness -, sondern wir versuchen, einen neuen Horizont für den Geist unserer Gäste zu schaffen. Das ist mir auch ein wichtiges Anliegen, und deshalb knüpfen wir schon an diese Tradition an."
    Seit vier Jahren veranstalten sie bereits Autorenlesungen, die "Literarischen Momente". Mit von der Partie Barbara Frischmuth. Sie stellte kürzlich ihr Buch "Der unwiderstehliche Garten" vor.
    "Ich bin aufgewachsen hier in der Gegend. Und wir hatten ein kleines Hotel. Und da gab es auch einen Gärtner. Und der hat mir das erste Beet angelegt. Allerdings war es mir dann in meinem ganzen Leben nicht wirklich möglich, einen Garten zu haben. Dann haben wir hier ein Haus gebaut, '88, und da war plötzlich die Möglichkeit. Und die Möglichkeit macht nicht nur Diebe, sondern auch Gärtner."
    Humorvoll beschreibt die Mittsiebzigerin in ihrem Werk die Beziehungsgeschichte von Garten und Gärtnerin. Hieraus aus dem Kapitel über die "Einsicht in die Notwendigkeit" - des Kräftesparens.
    "Ich werde langsamer ... Natürlich mache ich das Meiste noch selbst. (Was ist daran natürlich?) - Und werde es wohl noch eine Weile machen. (Wunschtraum, Fiktion, falsche Selbsteinschätzung?) - Den Garten aufgeben? Das – wäre die Schwertstreich-Methode!"
    "Literarische Momente" mit Barbara Frischmuth. Das Ausseerland im Steirischen Salzkammergut als Treffpunkt von Literaten und Literaturliebhabern.
    Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Ausseerland-Salzkammergut und Partnern.