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Baden-Württemberg
Bildung in Zeiten des Wahlkampfes

Im März wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Vor allem in der Schulpolitik hat die grün-rote Regierung einiges verändert - und darüber auch heftig mit der Opposition gestritten. Die Einführung der Gemeinschaftsschule war so ein Streitpunkt sowie der neue Bildungsplan, der zum Beispiel sexuelle Vielfalt im Lehrplan festschreibt. Was, wenn es nun zu einem Machtwechsel käme?

Von Thomas Wagner | 04.01.2016
    "Die GEW will, dass die Reformen durchgesetzt werden. Und wir brauchen mehr Zeit für diese Aufgaben!"
    Ein Versammlungsraum in der Stuttgarter Innenstadt: Doro Moritz, Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg in der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, macht vor Lehrern aller Schularten eines deutlich: Das Rad der Schulreformen, die die grün-rote Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren auf den Weg gebracht hat, dürfe auf keinen Fall mehr zurückgedreht werden:
    "Das Wichtigste heißt: Mehr Bildungsgerechtigkeit. Das heißt Gemeinschaftsschule. Heißt aber auch: Mehr Schulsozialarbeiter schaffen. Der rote Faden ist Bildungsgerechtigkeit", betont Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag; die SPD hatte in den zurückliegenden fünf Jahren die Kultusminister gestellt. Vor allem mit der Einführung der Gemeinschaftsschule sieht die rot-grüne Landesregierung ein gutes Stück Bildungsgerechtigkeit verwirklicht.
    "Das Paradebeispiel ist für mich die integrierte Gesamtschule in Mannheim, wo um die 40 Prozent der anfänglichen Hauptschüler später Abitur machen. Also es geht!"
    271 Gemeinschaftsschulen sind in Baden-Württemberg gegründet worden, zum Teil aus ehemaligen Haupt- oder Realschulen. Grün-Rot möchte im Falle eines Wahlsieges weitere Gemeinschaftsschulen aufbauen. Und was, wenn es zu einem Regierungswechsel kommt? Was würde die CDU, die dem Projekt 'Gemeinschaftsschule' stets ablehnend gegenüber stand, dann tun?
    "Nicht abschaffen. Aber die Gemeinschaftsschule muss ja am Tag X den Vergleich mit den anderen Schulen standhalten. Man hat ja unterstellt, das sei eine erfolgreiche Schulart. Sie muss aber den Nachweis erst führen. Vorerst aber können die Gemeinschaftsschulen weitermachen."
    Karl-Wilhelm Röhm, dem bildungspolitischen Sprecher der CDU Fraktion, ist vor allem ein Dorn im Auge, dass viele Realschulen im Land zu Gemeinschaftsschulen umfunktioniert worden sind. Das dürfe sich in Zukunft so nicht fortsetzen.
    "Die Realschule muss eine eigenständige Schulart bleiben. Natürlich aufgrund ihrer demografischen und regionalen Entwicklung hat sie in Zukunft zwei Aufgaben: Nämlich den Hauptschulabschluss und den mittleren Bildungsabschluss. Das bleibt die Kernaufgabe. Sie darf schon gar nicht umfunktioniert werden zur Gemeinschaftsschule."
    Was Grün-Rot allerdings völlig anders sieht. Und so stehen sich in Sachen Gemeinschaftsschule die Positionen nach wie vor unversöhnlich gegenüber. Daneben gibt es aber noch einen weiteren bildungspolitischen Zankapfel:
    "Wir sagen nein zur Zwangs-Sexualisierung und Umerziehung der Kinder. Rette sich wer kann, nun macht Rot-Grün den Bildungsplan! Sex statt Goethe wird bestellt. Bald ist Deutschland Dritte Welt.")
    Ein Demonstration vor knapp zwei Jahren auf dem Stuttgarter Schlossplatz: Der Anlass des Protestes: Der neue baden-württembergische Bildungsplan, den Grün-Rot noch in diesem Jahr in Kraft treten lassen will. Umstrittenes Detail: Zukünftig sollen auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften im Unterricht behandelt werden. Das stößt bei Teilen der CDU-/FDP-Opposition, aber auch bei vielen konservativ geprägten Eltern auf Widerstand. Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der SPD:
    "Da ist meines Erachtens gezielt skandalisiert worden. Ich fand da auch das Verhalten der Opposition nicht immer glücklich. Und die Schulen, die den Bildungsplan getestet haben, haben zurückgemeldet: Völlig in Ordnung, völlig problemfrei."
    Im Falle eines Regierungswechsels möchte die CDU den neuen Bildungsplan zwar nicht aussetzen, wohl aber andere Akzente setzen, betont deren bildungspolitischer Sprecher Karl-Wilhelm Röhm:
    "Ich persönlich bin der Meinung, wenn man schon sexuelle Vielfalt predigt, dann muss man auch den Präventionsaspekt anders berücksichtigen. Da haben wir als Pädagogen die Aufgabe, zum Beispiel dafür Sorge zu tragen, dass Kinder vor Pädophilen geschützt werden. Das ist ein Punkt, der mir da drin fehlt."
    Zurückdrehen würde die CDU im Falle eines Regierungssieges somit die schulpolitischen Formen von Grün-Rot nicht. Allerdings wären andere Akzentsetzungen zu erwarten, die auf eine Stärkung des bisherigen dreigliedrigen Schulsystems abzielen. Grün-Rot würde dagegen bei einer erneuten Regierungsmehrheit die Reformpolitik fortsetzen, mit einem Ausbau der Gemeinschaftsschulen, dann auch häufiger als bisher mit integrierter gymnasialer Oberstufe.