Montag, 13. Mai 2024

Archiv

Bärbel Höhn (Grüne)
"Was man braucht, ist ein sanfter Strukturwandel"

Das Ende des Verbrennungsmotors oder der Kohleausstieg - die Grünen rücken ab von ihrer Position, klare Fristen zu setzen. Wichtiger als ein konkretes Datum sei, die Umstrukturierung, die auf alle zukomme, rechtzeitig einzuleiten, sagte Bärbel Höhn (Grüne), langjährige Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Christiane Kaess | 07.11.2017
    Bärbel Höhn (Bündnis90/Grüne), Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestages
    Bärbel Höhn (Bündnis90/Grüne), Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestages (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Christiane Kaess: Das Aus für den Verbrennungsmotor im Jahr 2030 ist offenbar nicht länger die Bedingung der Grünen für eine Koalition mit Union und FDP. Dazu kommt anscheinend auch Kompromissbereitschaft beim Streitthema Kohleausstieg. Im Gegenzug erhoffen sich die Grünen von den anderen Parteien aber genauso Kompromissbereitschaft.
    Mitgehört hat Bärbel Höhn von den Grünen, langjährige Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag und ehemalige Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Frau Höhn!
    Bärbel Höhn: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die hat die Grünen schon vor dieser jüngsten Wendung jetzt als Umfallerpartei bezeichnet. Bestätigt Ihre Partei das Bild gerade?
    Höhn: Nein, das sehe ich nicht. Denn das weiß ja jeder, der in Verhandlungen geht, dass er seine Positionen hundertprozentig nicht durchsetzen kann, sondern dass es am Ende auch Kompromisse geben wird. Aber der entscheidende Punkt ist, dass auch in diesen Koalitionsverhandlungen, glaube ich, deutlich geworden ist, wie wichtig auch dieser Klimaschutz ist.
    Und dieses Ziel, kein Verbot von Verbrennungsmotoren – das wird ja immer so gesagt, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr -, das Ziel war ja keine Neuzulassung mit Verbrennungsmotoren. Das resultiert einfach daraus, dass wir 2050 auch den Verkehr CO2-frei haben müssen und dass wir ein Datum festlegen müssen auch für die Autobesitzer, nicht dass die sich immer noch Verbrennungsautos kaufen, und dann am Ende sind die nichts mehr wert, weil sie nicht mehr fahren dürfen. Das wollen wir rechtzeitig vermeiden.
    "Es muss eine Strukturveränderung geben"
    Kaess: Aber ist das überhaupt noch durchsetzbar? Schauen wir uns das noch ein bisschen genauer an. Die Grünen verlangen jetzt statt diesem konkreten Datum nur noch ein, ich zitiere das mal, "klares Bekenntnis, dass alles dafür getan wird, um die Fahrzeuge der Zukunft vernetzt, automatisiert und emissionsfrei zu bekommen." Was ist daran eigentlich anders als die bisherige Position der Bundesregierung?
    Höhn: Na ja. Cem Özdemir hat in seinem Interview auch gesagt, es geht ums Dienstwagen-Privileg. Es geht auch um eine Bonus-Malus-Regelung für Elektroautos. Es geht auch um saubere Luft, dass man die Gerichtsurteile durchsetzt, die bezüglich NOX auf dem Tisch liegen. Das heißt, es sind schon sehr konkrete Maßnahmen, und der entscheidende Punkt ist, es wird eine Strukturveränderung geben in der Automobilindustrie. Und je länger wir warten und nichts tun, …
    Kaess: Wo sehen Sie das denn?
    Höhn: Es muss eine Strukturveränderung geben, ganz einfach aufgrund des Klimaschutzes und der CO2-Reduktion. Da werden Verbrennungsmotoren in einigen Jahrzehnten keine Chance mehr haben. Jetzt kann man sich überlegen, starten wir mit 2030, oder machen wir Maßnahmen in diese Richtung. Aber je länger wir warten mit dieser Umstrukturierung im Automobilsektor, desto härter wird es die Beschäftigten treffen. Das heißt, andere Länder wie China zum Beispiel, ein großer Absatzmarkt für die Automobilindustrie, geht da weit voran, viel ehrgeiziger als Deutschland, und wir müssen hinterherkommen. Sonst gefährden wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen.
    Kaess: Das ist ja offenbar bisher die Position der Grünen gewesen, Frau Höhn. Aber die Frage ist: Was bleibt jetzt von dieser Position in diesen Sondierungsgesprächen überhaupt noch übrig? Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, der hat heute gesagt, gerade bei der Autoindustrie seien die Grünen nicht bereit, so wörtlich, die Kumpanei der Vergangenheit mitzumachen. Wie glaubhaft ist das denn noch, wenn der Druck bei der Position zum Verbrennungsmotor schon rausgenommen wird?
    Höhn: Ich sehe jetzt nicht, dass wir da unsere Positionen vollkommen räumen, sondern es geht natürlich darum, dass wir genau diese Umstrukturierung, die auf uns alle zukommt, rechtzeitig einleiten. Darum geht es und deshalb ist jetzt die Frage, macht man ein Datum von 2030, oder leitet man diesen Prozess ein. Viel trägt auch dazu bei, dass es jetzt diese Koalitionsverhandlungen gibt, weil genau über diese Themen wird jetzt intensiv geredet, und das ist ein wichtiger Schritt, um diese Veränderung auch zu erreichen.
    "Natürlich immer besser, ein konkretes Datum zu haben"
    Kaess: Ein konkretes Datum wäre auch ein konkretes Ziel.
    Höhn: In der Tat ist es natürlich immer besser, wenn man ein konkretes Datum hat. Man muss immer bei solchen Koalitionen schauen, was ist durchsetzbar und was nicht. Aber dass es diese Umstrukturierung geben muss, ich glaube, das sagen sogar ganz viele Automanager mittlerweile, und deshalb muss man das auch mit Schritten dorthin einleiten.
    Kaess: Kompromissbereitschaft gibt es ja offenbar auch von Seiten der Grünen bei dem Streitthema Kohleausstieg. Da sagen die Grünen jetzt, entscheidend sei nicht das genaue Ausstiegsdatum, sondern die CO2-Emissionsmindierung. Da möchte ich Sie auch noch mal gerne fragen. Auch das entspricht ja eigentlich der bisherigen Regierungsposition.
    Höhn: Na ja. Simone Peter hat gesagt, ob wir das letzte Kohlekraftwerk 2030 oder 2032 abschalten, das sei nicht entscheidend, sondern da seien die Grünen pragmatisch. Das ist jetzt noch ein bisschen eine andere Aussage als das, was Sie jetzt gesagt haben. Der entscheidende Punkt ist: Auch da müssen wir die CO2-Vorgaben einhalten. Das heißt, wir müssen gerade auch aus diesen alten Kohlekraftwerken, den ineffizienten Kohlekraftwerken aussteigen. Ich habe heute von der FDP gelesen, dass da gesagt worden ist, am Ende ist ja das Jahr 2050 entscheidend. Nee, so ist es nicht! Wir haben so was wie ein CO2-Budget. Und je mehr wir jetzt momentan ausstoßen, desto weniger haben wir in der Zukunft. Das bedeutet, dass wir auch gerade bei den alten ineffizienten Kohlekraftwerken zu einer Abschaltung kommen müssen.
    "Gut, dass die Grünen Kompromissbereitschaft zeigen"
    Kaess: Sie sagen, da müssen wir dazu kommen. Aber Fakt ist doch, dass die Grünen jetzt in diesen Sondierungsgesprächen keine roten Linien mehr ziehen.
    Höhn: Das sehe ich ja nicht. Ich sage mal, wenn man selber sagt, diese bestimmten Daten, über die können wir jetzt auch reden, dann heißt das ja noch nicht, dass man nicht intern auch rote Linien hat. Von daher finde ich das gut, dass die Grünen auch Kompromissbereitschaft signalisieren. Wenn die andere Seite so wie Herr Dobrindt da überhaupt gar nicht drauf eingeht, dann wird klar, dass die CSU offensichtlich diese Koalition nicht will. Von daher: Es gibt offensichtlich Bewegung, auch bei der FDP. Das ist erst mal gut. Und man muss jetzt sehen, wie kompromissbereit da überhaupt die CSU ist.
    Kaess: Es ist nur schwer zu verstehen, Frau Höhn, warum diese Daten dann vorher überhaupt erst genannt wurden. Heißt das jetzt, dass die Maßnahmen, auf die die Grünen bisher gesetzt haben, ohnehin überzogen waren?
    Höhn: Nee, das sehe ich überhaupt nicht so.
    Kaess: Warum dann die Daten? Warum wurden diese Daten dann genannt?
    Höhn: Zum Beispiel ein Datum für einen Kohleausstieg ist sehr wichtig für alle Leute auch in der Region, weil es eine Planungssicherheit gibt. Was bisher immer war – ich wohne ja im Steinkohlenbergbau-Revier. Wenn man den Leuten immer sagt, ja, ja, das wird schon irgendwie, und so, und die Zeit vergeht und die Zeit vergeht, dann wird man diesen Strukturwandel, der notwendig ist, dann wird man immer weniger Zeit dafür haben, und das ist am Ende ein harter Strukturwandel. Was man aber braucht, ist ein sanfter Strukturwandel. Nur den kann man sozial gestalten. Deshalb ist es schon wichtig, dass man auch da Planungssicherheit hat und den Leuten auch sagt, ja, das ist eine Technologie, die wird zu Ende gehen, und darauf müsst ihr euch einstellen.
    Kaess: Dann verstehe ich jetzt immer noch nicht oder erst recht nicht, warum die Grünen von konkreten Daten abrücken.
    Höhn: Es ist ja jetzt nicht so, dass wir sagen, das ist uns hier jetzt alles egal, sondern wir haben einfach gesagt, wir reden jetzt darüber und wir zeigen Kompromissbereitschaft. Jetzt schauen wir mal, was da am Ende rauskommt, ob das wirklich sehr klar und deutlich auch in Richtung eines Kohleausstieges geht oder nicht. Das wird man am Ende bewerten, ob die Positionen der Grünen da ausreichend vertreten sind, ja oder nein. Jede Partei von diesen vieren, die da am Tisch sitzen, wird dann entscheiden, ob sie so was mitgehen können oder nicht.
    Bewegung in der Familienzusammenführung
    Kaess: Warum setzen ausgerechnet die Grünen als erste jetzt in diesen Gesprächen auf Kompromissbereitschaft und nehmen damit das Risiko in Kauf, als Umfallerpartei dazustehen?
    Höhn: Das sehe ich nicht, dass die Grünen die ersten sind. Wir haben gestern erlebt, dass der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein von der CDU gesagt hat, bei der Familienzusammenführung müssen wir stärker uns bewegen. Das heißt, da war wohl auch schon Bewegung drin. Und es ist auch wichtig, dass wir Grünen jetzt nicht allein nur auf Klima und auf Energie schauen, sondern es gibt auch viele andere Themen, die wichtig sind, auch gerade die Flüchtlingspolitik. Das heißt, hier ist ja auch von der CDU selber schon Bewegung reingekommen.
    Kaess: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist genau das das Thema, wo Sie sich jetzt Kompromissbereitschaft von der anderen Seite erwarten, beim Familiennachzug?
    Höhn: Auf jeden Fall ist es so, dass die Grünen nicht alleine eine Umweltpartei sind, sondern für uns ist auch wichtig die Flüchtlingspolitik und die Sozialpolitik. Da muss es auch grüne Handschrift geben. Ansonsten wäre das auch eine Koalition, die für Grüne wenig tragfähig ist.
    Kaess: … sagt Bärbel Höhn von den Grünen, langjährige Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Mittag, Frau Höhn.
    Höhn: Bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.