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Bedingungsloses Grundeinkommen
Balsam für den sozialen Frieden

Bis zu 1.000 Euro im Monat für alle: Das fordern Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens. Die Idee dahinter: mehr Kreativität, mehr soziales Engagement, mehr Freude am Job. Nicht finanzierbar und nicht gerecht, sagen hingegen die Kritiker. Manche sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem süßen Gift.

Von Alois Berger | 17.04.2017
    560 Euro mit Geschenkschleife - Symboldbild: Bedingungsloses grundeinkommen
    Des bedingungslose Grundeinkommen: Bisher nur eine Utopie. (imago/Christian Ohde)
    "Seitdem ich mein eigenes Grundeinkommen habe, bin ich als Persönlichkeit total aufgeblüht. Ich habe mich teilweise selbst nicht wieder erkannt - durch eigentlich weniger Geld als vorher, aber es war eben bedingungslos. Ich bin kreativer geworden und lustiger und führe bessere Freundschaften und Beziehungen, bin ein besserer Vater, lebe gesünder und habe den Kopf voller neuer Ideen. Und ja, ich habe eigentlich eine neue Art von Dasein und Leben erkannt."
    Michael Bohmeyer hatte Glück. Vor 12 Jahren hat er ein kleines Internet-Unternehmen gegründet, das inzwischen jeden Monat knapp 1.000 Euro Gewinn für ihn abwirft. Bohmeyer hat einige solcher Start-ups aufgebaut, die meisten sind bald wieder eingegangen. Aber eines hat funktioniert und läuft nun selbstständig weiter. Jeden Monat fließen 1.000 Euro auf sein Konto, ohne dass er dafür etwas tun muss. Sein persönliches Grundeinkommen, wie er sagt, bedingungslos.
    Michael Bohmeyer ist 31 Jahre alt. Er lebt mit seiner fünfjährigen Tochter in Berlin und arbeitet mehr als die meisten Menschen. Bis zu 18 Stunden am Tag, erzählt er und sprüht dabei vor Enthusiasmus. Bohmeyer leitet den Verein "Mein.Grundeinkommen", den er selbst gegründet hat, damit möglichst viele Menschen ähnliche Erfahrungen machen können wie er selbst. Der Verein sammelt Spenden und verlost dann zwölfmonatige Grundeinkommen, um herauszufinden, wie sich Menschen verhalten, wenn sie jeden Monat 1.000 Euro bekommen, ohne dafür etwas leisten zu müssen.
    "Wir testen schon mal die Gesellschaft von morgen, denn ein Grundeinkommen in irgendeiner Form wird kommen. Und je früher wir anfangen darüber nachzudenken, desto besser kann das Ergebnis werden. Das scheint heute alles noch so sehr utopisch zu sein und das löst natürlich auch viele Ängste aus, denn wir haben bisher nicht gelernt einander zu vertrauen und uns gegenseitig so ein Grundeinkommen zu gönnen, und deswegen fangen wir damit ganz spielerisch einfach an."
    55 000 Menschen haben bisher gespendet, genug, um 83 Grundeinkommen zu verlosen. Unter den Gewinnern sind Studierende, Rentner, Beamte, Arbeiter, Angestellte, quer durch die Gesellschaft.
    "Alle Leute berichten, so unterschiedlich sie sind, dass dieses Grundeinkommen sie besser schlafen lässt und dass sie im Kern das Gleiche machen wie bisher. Dass es also mitnichten so ist, dass die Leute ihre Jobs verlassen. Die Leute machen aber in dem, was sie bisher gemacht haben, jetzt Fortschritte. Sie entwickeln sich weiter, sie bilden sich fort, sie schaffen mehr und sind dabei weniger gestresst, einfach weil durch dieses zusätzliche Geld auf einmal ein bisschen mehr Freiraum entsteht, und der entsteht gar nicht unbedingt real, sondern vor allem im Kopf."
    Natürlich weiß auch Michael Bohmeyer, dass 83 Versuchspersonen keine repräsentative Größe sind und keine wissenschaftlich fundierten Schlüsse zulassen. Aber er möchte praktische Beispiele liefern zu einer Diskussion, die bislang fast ausschließlich theoretisch geführt wird.
    Namenhafte Befürworter
    Telekom-Chef Tim Höttges bei der Bilanz-Presskonferenz des Unternehmens am 25.2.2016 in Bonn.
    Telekom-Chef Tim Höttges gehört zu den glühenden Verfechtern des bedingungslosen Grundeinkommens. (dpa/picture alliance/Marius Becker)
    Ob das bedingungslose Grundeinkommen sinnvoll ist oder nicht, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Ob es gerecht ist, wenn Menschen ohne Arbeit ein festes Einkommen beziehen? Und ob so ein bedingungsloses Grundeinkommen dazu führt, dass die Menschen, befreit von Existenzängsten, ihre wahren Talente entdecken und noch nützlicher für die Gesellschaft sind? Oder ob viele einfach ins Nichtstun verfallen? Vor allem aber, ob das Ganze finanzierbar ist oder nur eine Schnapsidee linker Spinner?
    Aber seit einiger Zeit bekommen die Befürworter überraschenden Zulauf. Götz Werner zum Beispiel, der Chef der Drogeriemarktkette DM, wirbt in Talk-Shows und Interviews für das bedingungslose Grundeinkommen. Auch Joe Kaeser, Vorstandsboss von Siemens, denkt laut darüber nach, und auch der Chef der Deutschen Telekom, Tim Höttges, redet oft und gern vom Grundeinkommen, zum Beispiel in der Wochenzeitung "Die Zeit":
    "Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen."
    Durch die Digitalisierung der Wirtschaft würden in nächster Zeit sehr viele Arbeitsplätze verschwinden, so Telekom-Chef Höttges, viele Menschen könnten nicht mehr mithalten, wären nicht in der Lage, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen.
    "Wir müssen unsere Gesellschaft absichern, deswegen die Idee des Grundeinkommens."
    Sogar bei den aktuellen Präsidentschaftswahlen in Frankreich spielt das Thema eine ernsthafte Rolle. Benoît Hamon, der Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, verspricht für den Fall seines Wahlsiegs die rasche Einführung des "salaire universel", wie das allgemeine Grundeinkommen auf Französisch heißt:
    "Die digitale Revolution wird dazu führen, dass es weniger Arbeit gibt. Und wenn es für alle weniger Arbeit gibt, dann will ich, dass die Franzosen selbst darüber bestimmen können, wie sie ihre Arbeitszeit reduzieren. Wer kürzer arbeitet, braucht dennoch genügend Geld, um davon leben zu können. Ein allgemeines Grundeinkommen erlaubt, dass jeder selbst wählt, um wie viel er seine Arbeitszeit reduziert, weil man weiß, dass man keine Kaufkraft verliert."
    Benoît Hamon ist nicht der einzige französische Politiker, der sich für ein Grundeinkommen ausspricht. Manuel Valls zum Beispiel, bis vor kurzem Premierminister und Kronprinz des amtierenden Präsidenten Francois Hollande, fordert ein Grundeinkommen vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Sein sozialistischer Parteifreund Arnaud Montebourg ist strikt dagegen.
    "Das Grundeinkommen enthebt uns doch bloß der Notwendigkeit, die Arbeit anständig zu bezahlen. Einige Unternehmer würden begeistert sein, wenn sie keine richtigen Löhne mehr bezahlen müssten."
    Die Diskussion um das salaire universel enthält die typischen Zutaten der französischen Arbeitsmarktdebatte. Hamon will das salaire universel nicht zuletzt als Absicherung und Ergänzung zur umstrittenen Arbeitszeitverkürzung. Der frühere Industrieminister Montebourg aber lehnt es ab, weil er dahinter einen geschickten Schachzug der Arbeitgeber wittert.
    Das Misstrauen gegen Unternehmer sitzt tief in der französischen Gesellschaft. Vor allem unter Sozialisten hält sich die Ansicht, dass Ideen, die auch von Arbeitgebern geteilt würden, mit äußerster Vorsicht zu betrachten seien.
    Chancen, dass eine Utopie Wirklichkeit wird
    Das ist in Deutschland anders. Dass sich Konzernchefs wie Siemens-Boss Kaeser oder Telecom-Chef Höttges für das bedingungslose Grundeinkommen aussprechen, könnte die Chancen, dass aus der Utopie Wirklichkeit wird, eher erhöhen. Ihre Wortmeldungen werden in jedem Fall dazu beitragen, dass die Diskussion so schnell nicht wieder einschläft. Die Arbeitswelt werde sich schneller verändern als viele heute glauben wollten, warnte Höttges bereits auf dem Arbeitgebertag 2015. Die Digitalisierung werde ganze Berufszweige wegrationalisieren und andere empfindlich ausdünnen. Dies könne zu erheblichen sozialen Verwerfungen führen und letztendlich auch der Wirtschaft schaden:
    "Wohlstand und sozialer Frieden hängen zusammen, und das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Darum ist auch ein zu großes Ungleichgewicht bei der Verteilung von Wohlstand hochproblematisch. Was wir bedenken müssen, ist, dass Wirtschaft auch Nachfrage braucht. Und je breiter der Wohlstand verteilt ist, desto höher ist auch die Nachfrage."
    Anke Hassel, Direktorin des Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kann diesen Teil der Analyse des Telecom-Chefs durchaus bestätigen. Dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht und dass das es nicht gut ist für die Gesellschaft, das sehen auch die Gewerkschaften so. Doch anders als Höttges und Kaeser wollen sie das Problem mit besseren Tarifverträgen angehen und nicht mit Überlegungen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. Es fehlt an Gerechtigkeit, meint Anke Hassel, nicht an Arbeit.
    "Bei jedem Innovationsschub in der Gesellschaft gab es immer eine Diskussion darüber, ob uns die Arbeit ausgeht. Es hat angefangen schon mit den Dampfmaschinen, aber es ging weiter über die Elektrifizierung. Es ging auch weiter in den 70er-Jahren, als die computergestützte Fertigung in der Industrie eingeführt wurde.
    Jedes Mal hat die Gesellschaft darüber diskutiert, ob wir jetzt nicht Produktivitätsschübe haben, die dazu führen, dass nicht mehr genügend Arbeit auf dem Arbeitsmarkt angeboten würde. Tatsache ist jedoch, dass jedes Mal eigentlich die Arbeitsgesellschaft, die kurz vor dem Aussterben stand, sich intensiviert hat."
    Mehr Beschäftigung statt weniger durch Digitalisierung?
    Eine Hand bedient eine Computermaus.
    Viele Menschen befürchten, dass die Digitalisierung Arbeitsplätze kostet, aber das Gegenteil könnte der Fall sein. (AFP / Robyn Beck)
    Michael Hüther, Direktor des Industrie-nahen Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, sieht das ganz ähnlich. Zumindest in Deutschland habe die Arbeit durch die Digitalisierung sogar zugenommen. Alle Umfragen bei den Personalverantwortlichen in den Unternehmen deuteten darauf hin, dass die Beschäftigung weiter zunehmen wird.
    "Bisher können wir nicht feststellen, dass uns die Arbeit ausgeht. Wir haben so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, so viele Normal-Arbeitsverhältnisse wie seit der Wiedervereinigung nicht. Das Arbeitsvolumen ist gleichermaßen in den letzten zehn Jahren mit angestiegen. Also insofern können wir die Ausgangsthese derjenigen, die für das bedingungslose Grundeinkommen werben, empirisch nicht begründen und auf eine vage Möglichkeit, dass es so sein könnte, kann man nicht einen solchen Kulturwechsel in der sozialen Sicherung organisieren."
    Zweifel an der Finanzierbarkeit
    Das bedingungslose Grundeinkommen sei weder finanzierbar, noch gerecht, kritisiert der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Schließlich müsste es an alle gezahlt werden, an Arme wie an Reiche. Bei einem Betrag von beispielsweise 1.000 Euro pro Monat würde das bei 82 Millionen Einwohnern in Deutschland knapp eine Billion Euro im Jahr ausmachen. Gut dreimal so viel wie der gesamte Bundeshaushalt.
    In der Tat bleiben die Befürworter des Grundeinkommens bei der Frage nach der Finanzierung meist sehr vage. Klar ist, dass das Steuersystem komplett umgebaut werden müsste. Telekom-Chef Höttges schlägt vor, irgendwelche Datenströme zu besteuern, der Chef der Drogeriemarktkette DM, Götz Werner, möchte die Einkommenssteuer ganz abschaffen und dafür die Mehrwertsteuer auf 50 Prozent anheben. Katja Kipping von den Linken will die Reichen zur Kasse bitten. Der Grüne Europaabgeordnete und Finanzexperte Sven Giegold warnt vor falschen Erwartungen, wie sie auch in den Reihen der Grünen verbreitet seien:
    "Das Grundeinkommen in niedriger Höhe ist finanzierbar. Sobald man damit tatsächlich ein menschenwürdiges Leben sichern will, also ab einer Größenordnung von 1.000 Euro für jeden und jede, wird das Grundeinkommen so teuer, dass das auf Kosten sozialer Investitionen in Bildung, Gesundheit und so weiter geht. Wenn man vor die Wahl gestellt ist, ein starkes Bildungs- und Gesundheitswesen, Möglichkeiten für Menschen, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, dann sollte man sich für diese Option entscheiden, statt eine gleiche Alimentierung aller anzustreben."
    Die Vorstellungen gehen weit auseinander
    Wie viel das Grundeinkommen tatsächlich kosten würde, das hängt auch davon ab, welches Modell sich durchsetzen sollte. Denn die Vorstellungen über die Ausgestaltung des bedingungslosen Grundeinkommens gehen sehr weit auseinander. Linke und Humanisten träumen von einem finanziell abgesicherten Leben, in dem sich jeder individuell entfalten und entwickeln kann. Ein solches Grundeinkommen müsste dementsprechend großzügig ausgestaltet sein und die bestehenden sozialen Sicherungssysteme wie Rente, Krankenkasse, Mutterschutz und Arbeitsgesetzgebung weitgehend unangetastet lassen. Das Grundeinkommen, das der Verein von Michael Bohmeyer verlost, kommt dieser Vorstellung sehr nahe. Die Gewinner bekommen monatlich 1.000 Euro, alles andere bleibt so wie es ist.
    Bei konservativen und liberalen Vordenkern dagegen wird ein ganz anderes Modell gehandelt. Das bedingungslose Grundeinkommen soll vor allem die bestehenden Sicherungssysteme ersetzen. Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe, Kindergeld, Rente, alles wird abgeschafft und ersetzt durch einen pauschalen monatlichen Satz, den jeder ohne Ansehen seiner Person und Bedürftigkeit bekommt. Eine Grundsicherung für alle. 600 Euro im Monat ist in etwa die Richtgröße, die in den Vorschlägen immer wieder auftaucht. Wer mehr will, muss sich selbst darum kümmern, kann so viel dazu verdienen, wie er will; die 600 Euro bleiben davon unberührt.
    Thomas Straubhaar, der frühere Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, geht noch weiter. Der Schweizer Ökonom entwirft in seinem jüngsten Buch die marktradikale Form des Grundeinkommens. Wenn jeder einzelne vom Staat das Existenzminimum bekäme, dann könnte man alles andere dem Markt überlassen: Staatliche Vorgaben über Mindestlohn, Kündigungsschutz, Krankheitsfortzahlung - könnte man alles abschaffen, würde alles der Markt regeln. Wer durchs Raster fällt, der würde ja durch das staatliche Grundeinkommen aufgefangen. Viele Behörden und ganze Ministerien würden überflüssig, könnten weg; der Staat würde schlank und sparsam.
    Das süße Gift soziales Grundeinnkommen
    Der Ökonom und Philosoph Birger Priddat von der Universität Witten-Herdecke empfiehlt, sich die Folgen auszumalen:
    "Das bedingungslose Grundeinkommen ist ja so formuliert, dass der Staat in seiner Organisation kleiner wird. Und das wäre ja etwas, was man ja auch will: Entbürokratisierung. Dieser Effekt würde tatsächlich eintreten, übrigens mit hoher Arbeitslosigkeit im öffentlichen Raum. Das muss man erst einmal mitdenken. Aber wenn man das Grundeinkommen will, dann denkt man ja, die Arbeitslosigkeit wird ja durch das Grundeinkommen kompensiert, dadurch, dass die Leute Geld kriegen, aber keine Arbeit mehr. Ob wir das aushalten? Gerade in Deutschland, einem Workaholic-Land? Wir sind ja sozial auf Arbeit trainiert. Der Sinn des Lebens besteht ja wesentlich für breite Schichten darin, zu arbeiten."
    Der Wirtschafts- und Philosophie-Professor bezweifelt, dass viele Menschen die von der Lohnarbeit befreite Zeit für Fortbildung oder für die Entfaltung der Persönlichkeit nutzen würden. Für einige mag das zutreffen, meint Priddat, für die Masse aber wohl eher nicht.
    "Der Gedanke des Kreativwerdens und des sich selber Entfaltens ist ein Gedanke der Romantik des 19. Jahrhunderts, des großen Bildungsdenkens des 19. Jahrhunderts. Bildung aber ist eine Arbeit; man muss sich ein Bild von sich selber machen, auf das hin man selbst sich entwickeln will. Dazu muss man aber vorbereitet sein. Das heißt, man muss sozusagen höherwertige Schulbildung haben."
    Weiterbildung ist anstrengend. Vielen Menschen zu anstrengend. Vor allem im Niedriglohnsektor, also dort, wo das bedingungslose Grundeinkommen die größten Auswirkungen hätte, dort könnte es junge Menschen sogar von Weiterbildung abhalten.
    Es gebe immer wieder Möglichkeiten, sich durch Kurse und Lehrgänge in bessere Beschäftigungsverhältnisse vorzuarbeiten, meint Anke Hassel von der Hans-Böckler-Stiftung. Das Grundeinkommen würde hier Schaden anrichten.
    "Das ist das süße Gift, also die Wahl, vor die sie gestellt werden: Die unmittelbare Gratifikation jetzt über ein bedingungsloses Grundeinkommen, oder eine langfristige Investition in Bildung. Und da befürchte ich einfach, dass es einen erheblichen Teil von jungen Menschen gibt, die dann sagen, na ja, der eine Weg ist doch einfacher als der andere."
    Völlig offen ist auch, wie sich das Grundeinkommen an den Rändern der Gesellschaft auswirken würde. Raeid Meri kümmert sich als Sozialarbeiter in Bonn um die Integration von Jugendlichen und jungen Familien mit Migrationshintergrund. Arbeit ist wichtig, sagt er, ohne regelmäßige Arbeit sei die Eingliederung in die Gesellschaft kaum zu schaffen. Doch die Jobs für diese Menschen sind selten attraktiv, umso wichtiger sei es, dass sie Geld für Arbeit bekommen, nicht fürs Nichtstun.
    "Für viele ist es jetzt auch schon, gerade mit der Grundversorgung über Hartz IV oder Kindergeld, ja, ist die Motivation sehr gering zu arbeiten. Ich glaube, wenn da noch ein Grundeinkommen dazukommt, ich glaube, dann würde das eher hinderlich sein als förderlich."
    "Solidarität ist nicht bedingungslos"
    Eine Hand mit einem Arbeitshandschuh nimmt 560 Euro entgegen.
    Unter anderem Finnland testet aktuell, wie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Gesellschaft auswirken könnte. (dpa/picture-alliance/Lehtikuva Mikko Stig)
    In Finnland, in den Niederlanden, in Kanada gibt es inzwischen Experimente mit verschiedenen Arten von Grundeinkommen. Bedingungslos sind die wenigsten. In Finnland etwa bekommen 2.000 Arbeitslose seit Jahresanfang 560 Euro im Monat, in der holländischen Stadt Utrecht wird mit Vergleichsgruppen und unterschiedlichen Auflagen experimentiert, in Kanada wurden sozialhilfeabhängige Familien ausgewählt.
    Gemeinsam ist allen Testprogrammen, dass sie herausfinden sollen, ob ein staatliches Grundeinkommen aktiv und erfinderisch oder doch nur faul macht.
    Aussagekräfte Ergebnisse sind frühestens in ein, zwei Jahren zu erwarten. Doch dann bleibt immer noch die Frage, ob die Erkenntnisse auch auf Deutschland übertragbar sind und ob eine Mehrheit in Deutschland ein bedingungsloses Grundeinkommen akzeptiert. Als die Schweizer vor knapp einem Jahr in einem Referendum über ein bedingungsloses Grundeinkommen abstimmten, votierten 78 Prozent dagegen. Anke Hassel von der Hans-Böckler-Stiftung geht davon aus, dass die Deutschen ähnlich abstimmen würden.
    "Es gibt eine Gerechtigkeitsvorstellung der Solidarität, alsodass die Stärkeren den Schwächeren helfen sollen. Aber auch Solidarität ist nicht bedingungslos, sondern Solidarität knüpft immer auch daran an, dass man erwartet, dass auch die Schwächeren dazu beitragen, sich aus ihrer Situation zu befreien und sich selbst auch zu helfen."
    Michael Bohmeyer vom Berliner Verein Mein.Grundeinkommen kennt die Vorbehalte gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Aber er will sich davon nicht beeindrucken lassen. Man müsse die Gesellschaft eben erst noch überzeugen, sagt er, aber es lohne sich.
    "Wenn ich mich mit Leuten treffe, die Grundeinkommen gewonnen haben, dann sind die am Jahresende im Vergleich zum Jahresanfang komplett unterschiedliche Persönlichkeiten. Sie stehen viel aufrechter da, sie reden selbstbewusst von sich selbst, sie haben einen viel umsichtigeren Blick für sich, aber auch für die Mitmenschen. Zum Beispiel engagieren sich fast alle Leute, die gewonnen haben, auf einmal ehrenamtlich. Weil sie selber eben in dieser Gesellschaft abgesichert sind und ein Gefühl der Fülle erlebt haben, können sie das an andere weitergeben. Und ich glaube, das ist der Effekt, der uns mit Grundeinkommen, ja, Schönes bescheren könnte."