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Behandlung oder Vorbeugung?

Medizin. - "Time to deliver" - Zeit, Versprechen einzulösen, lautet das Motto der Welt-Aids-Konferenz, die heute in Toronto begann. Zu diesen Versprechen gehört auch die Lieferung von Medikamenten in Entwicklungsländer. Gerade in Afrika breitet sich die Seuche weiter wie ein Flächenbrand aus. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide erläutert die Situation im Gespräch mit Arndt Reuning.

14.08.2006
    Arndt Reuning: Eine neue Studie untersucht, ob überhaupt Betroffene in Entwicklungsländern Afrikas genauso gut versorgt werden können wie Patienten in westlichen Industrienationen mit ihren hohen Gesundheitsstandards. Herr Winkelheide, was sagen die Experten, ist die Forderung nach Medikamenten in Afrika überhaupt sinnvoll?

    Michael Winkelheide: Die Forderung, dass Medikamente auch für Patienten in Afrika da sein sollen, wurde gestern noch einmal laut geäußert bei der Eröffnung der Welt-Aids-Konferenz. Mark Wainberg, der Präsident der Konferenz, sagte, es dürfe kein Privileg sein, Medikamente zu bekommen, sondern es sei ein Recht eines jeden Patienten. Das Problem ist natürlich, wie bringt man Medikamentenprogramme in die Breite, denn es reicht ja nicht, Medikamente zu liefern und zu sagen, damit werde alles gut. Wie es funktionieren kann, hat eben eine Studie gezeigt aus Sambia, die hier auf der Konferenz vorgestellt wurde, in die sehr viele Patienten, rund 16.000, eingegangen sind. Dabei hat man gesehen, dass Medikamententherapie in einem armen afrikanischen Land, das sehr stark betroffen ist von der Aids-Epidemie, eben sehr gut funktionieren kann - und zwar genauso gut wie in einem westlichen Land. Allerdings gibt es ein paar Voraussetzungen: das eine ist, dass Menschen auch die Möglichkeit haben müssen, dass sie einen Aids-Test machen können - das ist nicht überall gegeben. Und nicht nur dies, sondern dass, wenn sie die Therapie beginnen, auch die Therapieerfolge immer kontrolliert werden. Das heißt, man muss schauen, funktionieren die Medikamente, gelingt es, mit dieser speziellen Medikamenten-Kombination die Vermehrung des Virus zu blockieren und wie gut regeneriert sich das Immunsystem von dem Schaden, den das Virus angerichtet hat. Das heißt, die Therapie muss immer begleitet werden mit Laboruntersuchungen.

    Reuning: Macht es denn dann einen Unterschied, ob man diese Medikamente anwendet in ländlichen Gebieten oder eben in Städten in Afrika?

    Winkelheide: Also in Sambia ist das so gewesen, dass die Medikamententherapie lange Zeit ein Privileg war für reiche Menschen, das heißt die, die es sich leisten konnten, haben die Medikamente privat bezahlt. 2002 hat die sambische Regierung gesagt, dies könne nicht sein, man müsse die Therapie kostenlos abgeben, und man hat angefangen, dieses Medikamentenprogramm in der Hauptstadt Lusaka aufzubauen. Erst in zwei Kliniken, nachher sind es dann 16 Kliniken gewesen, und dort hat man eben die Behandlung der HIV-Infektion nicht nur Ärzten überlassen, sondern man hat auch Schwestern und Pfleger trainiert, dass sie das machen können. Denn das ist eigentlich ein Hauptproblem: man muss eine Infrastruktur aufbauen, aber es gibt nicht genügend Ärzte, die das machen können. Das heißt man muss Lösungen finden, wie man es machen kann mit weniger Aufwand, aber trotzdem effektiv und erfolgreich, denn sonst ist es ja das Problem: wenn die Therapie nicht konsequent gemacht wird, dann ist das Risiko da, dass resistente Viren entstehen und dass diese dann auch in Umlauf geraten. Irgendwann wirken dann die Medikamente gar nicht mehr.

    Reuning: Herr Winkelheide, sehr nüchtern betrachtet, müsste man nicht eigentlich alle Anstrengungen in die vorbeugenden Maßnahmen stecken, um zu verhindern, dass Aids sich weiter ausbreitet, auch wenn das bedeutet, dass die Behandlung etwas zurückstecken muss?

    Winkelheide: Peter Piot, der Direktor von UNAIDS, hat gesagt, man dürfe in der Vorbeugung von Aids nicht nachlassen, weil sonst immer mehr Menschen sich infizierten und der Bedarf nach Medikamenten so groß werde, dass es überhaupt nicht mehr finanzierbar sei. Insofern ist Vorbeugung immer wichtig und sinnvoll. Auf der anderen Seite muss man eben sehen, dass 40 Millionen Menschen mit dem Virus leben und man kann sie jetzt nicht alle sterben lassen, um zu sagen, man schütze damit aber andere Menschen davor, dass sie sich anstecken. Das ist, glaube ich, auch ein Problem hier auf der Konferenz, dass man jetzt die richtigen Strategien finden muss für die nächsten 20 Jahre, wie man das Geld am besten verteilt, damit es sinnvoll angelegt ist und möglichst viele Menschen gesund bleiben.