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Behinderte haben schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Trotz zehn Jahren Gleichstellungsgesetz hat sich die Situation für Schwerbehinderte auf dem Arbeitsmarkt eher verschlechtert als verbessert. 180.000 schwerbehinderte Menschen sind zur Zeit arbeitslos. Viele klagen über schlechte Chancen und unzureichende Betreuung.

Von Anja Nehls | 29.11.2012
    Seit einem Reitunfall vor 14 Jahren sitzt Patricia Falk im Rollstuhl. Sie ist hoch qualifiziert, gelernte Zahnarzthelferin und Bürokauffrau, aber seit über eineinhalb Jahren arbeitslos.

    "Ich schreibe Bewerbungen und kriege keine Antwort. Das geht sicherlich anderen auch so, aber es ist super frustrierend, wenn man dann anruft und fragt, nein Rollstuhl wollen wir nicht und geht nicht und ich nicht mal eine Chance kriege, mich vorzustellen persönlich, dass man nicht mal einen Versuch kriegt, also ich bin schon sehr frustriert, dass ich jetzt zwar den Unfall überlebt habe, überstanden habe, gut rehabilitiert bin, fit, mobil und trotzdem keine Chance kriege."

    So wie Patricia Falk geht es vielen behinderten Menschen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Der Sozialverband Deutschland hat heute Zahlen vorgelegt. Trotz zehn Jahren Gleichstellungsgesetz hat sich die Situation für Schwerbehinderte auf dem Arbeitsmarkt eher verschlechtert als verbessert. Die Zahl der arbeitslosen Behinderten ist stark gestiegen. Mit fast 15 Prozent ist ihre Arbeitslosenquote fast doppelt so hoch wie die der Nichtbehinderten Menschen. Der Sozialverband Deutschland will diese Entwicklung nicht länger hinnehmen. In einem Zehn-Punkte-Plan wurden Vorschläge erarbeitet, um die Situation zu verbessern. gefordert werden zum Beispiel neue Arbeitsmarktprogramme und eine bessere Betreuung der behinderten Arbeitslosen bei den Arbeitsagenturen und in den Jobcentern, sagt Ullrich Wittwer vom Sozialverband Deutschland:

    "Von den Arbeitsagenturen erwarte ich primär, dass sie sich wirklich mit den behinderten Menschen und der Situation beschäftigen und sich erwarte auch, dass man ausreichend, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung stellt, damit nicht auf eine Riesenzahl von Menschen, ein Berater kommt."

    Auch Patricia Falk hat mit der Arbeitsagentur schlechte Erfahrungen gemacht. Mit ihrer Situation und ihren Möglichkeiten habe sich niemand ernsthaft befasst:

    "Die haben mich zweimal vermittelt an die gleiche Stelle, wo Treppen sind, was überhaupt nicht machbar ist, wo ich auch da gewesen bin und die Leute dann gesagt haben, huch, wir haben ja ihre Bewerbung gar nicht zu Ende gelesen, wir haben ja gar nicht gesehen dass Sie im Rollstuhl sitzen."

    Patricia Falk fühlte sich verschaukelt. Sie ließ dann sogar Bewerbungsfotos mit Rollstuhl anfertigen, bis jetzt ohne Erfolg. Dabei gibt es für jeden Arbeitgeber, der barrierefreie Arbeitsplätze für Behinderte schafft, umfangreiche Fördermöglichkeiten, sagt Ullrich Wittwer:

    "Fördermöglichkeiten müssen allerdings auch bekannt gemacht werden. Arbeitgeber, insbesondere Klein- und Mittelbetriebe wissen häufig nicht genau, welche Möglichkeiten sie denn überhaupt bekommen können und daher müssen sie ausführlich informiert werden."

    Nur jeder 20. Arbeitgeber erfüllt die vorgeschriebene Quote von fünf Prozent behinderten Arbeitnehmern innerhalb der Belegschaft. Für Arbeitgeber, die unter zwei Prozent Behinderte beschäftigen sind zur Zeit 290 Euro im Monat fällig, wer drei bis fünf Prozent Behinderte beschäftigt muss 115 Euro pro Monat bezahlen. Zu wenig, findet der Sozialverband. Für die Arbeitgeber ist die Ausgleichabgabe allerdings gegenüber dem bürokratischen Aufwand, den er erfordert, einen behindertengerechten Arbeitsplatz einzurichten, das geringere Übel. Als sich Patricia Falk als Bürokraft in einer kleinen Tischlerei vorgestellt hat, war der Inhaber völlig überfordert:

    "Diese ganzen Unterlagen, die der Arbeitgeber dann anfordern und ausfüllen muss, das ist so umfangreich, dass es erst mal eher alle bremst, weil sie sagen, ich will jetzt eine Hilfe und nicht noch 15 Seiten ausfüllen und dann sind die natürlich verschreckt. gerade wenn sie auch niemanden haben, der diese Bürosachen für sie erledigt."

    Den ersehnten Job hat Patricia Falk deshalb nicht bekommen. Mit der Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes hat das nicht viel zu tun, kritisiert der Sozialverband Deutschland. Er möchte die Behindertenquote für die Arbeitgeber auf sechs Prozent erhöhen und auch die sogenannte Ausgleichsabgabe heraufsetzen. Der Kündigungsschutz für Schwerbehinderte sollte bestehen bleiben, für ältere Behinderte müssten hochwertige Rehabilitationsangebote geschaffen werden.

    180.000 schwerbehinderte Menschen sind zur Zeit arbeitslos, vom viel zitierten Arbeitsmarktaufschwung sind sie – wie Patricia Falk – weitgehend abgehängt.