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Belebtes Gestein

Umwelt. - Radioaktiver Abfall soll dort gelagert werden, wo er Menschen und anderen Lebewesen so wenig wie möglich schaden kann. Die meisten Staaten planen daher, ihn tief in der Erde zu vergraben. Leben existiert aber auch viele Hundert Meter unter der Erdoberfläche. Schwedische Wissenschaftler haben dort Mikroorganismen entdeckt, die im Grundwasser leben und die ewige Ruhe des Atommülls stören könnten.

Von Christine Westerhaus |
    Umhüllt von einer fünf Zentimeter dicken Kupferschicht soll hochradioaktiver Abfall für die nächsten Jahrtausende im schwedischen Granit verschwinden. 450 Meter tief unter der Erdoberfläche soll der Atommüll lagern und möglichst nichts von seiner Radioaktivität an die Umgebung abgeben. Werden doch einmal Radionuklide frei, so die Kalkulation der Wissenschaftler, werden sie an die Kristallstruktur des Granits gebunden und bleiben somit an Ort und Stelle. Allerdings geht diese Rechnung nur auf, wenn keine Mikroorganismen in der Nähe sind. Karsten Pedersen vom Institut für Zell- und Molekularbiologie der Universität Göteborg:

    "”Mikroorganismen brauchen Vitamine und Spurenelemente wie wir, um zu überleben. Deswegen haben sie bestimmte Moleküle, die Spurenelemente für sie einfangen. Diese Moleküle könnten allerdings auch Radionuklide anstelle der Spurenelemente aufnehmen und dadurch werden die Radionuklide in Bewegung gesetzt. Sie werden dann nicht mehr vom Gestein aufgenommen, sondern bleiben im Grundwasser und werden mit ihm weggespült. Das ist allerdings nur dann ein Problem, wenn es dort, wo die Behälter lagern, tatsächlich einen Grundwasserfluss gibt.""


    Dort, wo der Atommüll vergraben werden soll, haben Karsten Pedersen und seine Kollegen einen ganzen Zoo von Mikroben entdeckt. Doch selbst wenn dort, wo die Kupferbehälter mit dem radioaktiven Abfall lagern sollen, momentan kein oder nur wenig Grundwasser vorhanden ist: Die geologischen Verhältnisse können sich ändern. Vor allem, wenn es um so große Zeiträume geht, wie die geplante Lebensdauer eines Atommüll-Endlagers. Mindestens 100.000 Jahre lang soll es die belebte Natur vor den Strahlen schützen. Pedersen:

    "”Bis es zu geologischen Veränderungen kommt, dauert es wohlmöglich gar nicht so lange, keine Million Jahre. Das Wasser wird schon bei der nächsten Eiszeit anders fließen. Wir müssen damit rechnen, dass es dann einen Grundwasserfluss geben wird und wir müssen abschätzen, wie viel Wasser fließen wird, wohin es fließt und warum es fließt.""

    Damit Radionuklide in die Umgebung abgegeben werden, müssen sie allerdings erst aus den Kupferbehältern entweichen. Sie müssen also eine fünf Zentimeter dicke Kupferschicht und einen zusätzlichen Mantel aus Bentonit überwinden. Dieses Gemisch aus Tonmaterialien soll die Kupferbehälter vor Korrosion schützen. Allerdings könnte der Bentonitmantel durch stärkere Grundwasserströme zerstört werden, befürchten Wissenschaftler. Und dann kämen die Kupferbehälter direkt mit Sulfid in Kontakt, das die Korrosion der Kanister fördert. Dieses Sulfid wird von bestimmten Bakterien produziert, die ebenfalls dort vorkommen, wo der Atommüll gelagert werden soll. Karsten Pedersen:

    "”Der schlimmste anzunehmende Fall wäre, dass direkt neben dem Bentonit Grundwasser fließt und dieser Mantel durch das Wasser erodiert wird. Dann kann das Sulfid direkt an die Kupferkanister gelangen. Aber das müsste schon mit einigen Kupferbehältern passieren, damit es tatsächlich zu einem Problem wird. Momentan wird untersucht, ob das passieren kann, das weiß man bisher nicht. Außerdem braucht man schon eine Menge Sulfid, damit diese fünf Zentimeter dicken Kupferbehälter irgendwann zerbrechen. Wir müssen also abschätzen, wie viel Sulfid die Bakterien im Laufe der Zeit produzieren können und dann können wir das Risiko einordnen.""

    Im Jahre 2010 will Schwedens Regierung entscheiden, an welchem Standort das geplante Endlager für hochradioaktiven Abfall gebaut werden soll. Die ersten Brennstäbe lagern dort voraussichtlich ab 2015. Bis dahin geht es den Wissenschaftlern vor allem darum, Risiken bestmöglich beurteilen zu können. Pedersen:

    "”In den meisten Bereichen muss man mit der Wahrscheinlichkeit für ein Risiko rechnen: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses oder jenes passiert und wie gefährlich ist es, wenn etwas passiert. Die Kombination aus Risiko und Gefahr ist wichtig. Wenn etwas sehr gefährlich ist, muss das Risiko möglichst gering sein. Darum geht es in der Gesellschaft, die Folgen müssen richtig eingeschätzt werden.""