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Berliner Schaubühne
Ödipus als Tyrann

Roman Castelluccis Ödipus-Inszenierung nach Sophokles und Hölderlin an der Berliner Schaubühne ist ein Gottesdienst der Sprache, eine beeindruckende, etwas zu heilige Kunstanstrengung – an deren Ende sich der Regisseur doch noch einen Scherz erlaubt.

Von Eberhard Spreng | 07.03.2015
    Ursina Lardi als Ödipus mit Gefolge in einer Inszenierung der Schaubühne Berlin.
    Ursina Lardi als Ödipus mit Gefolge in einer Inszenierung der Schaubühne Berlin. (imago / drama-berlin.de)
    Nonnen huschen über eine dunkel beleuchte Bühne. Mit ihnen verschieben sich Bühnenbildelemente, Torbögen, Mauersegmente, Durchgänge. Der italienische Regisseur beginnt seine Ödipus-Meditation mit schnell wechselnden Bildern aus der Stille und Andacht eines Karmelitinnenklosters, kurze Eindrücke tauchen auf und verschwinden wieder, Bilder irgendwo zwischen Vermeer und Caravaggio. Aber irgendetwas stimmt nicht mit den rituellen Verrichtungen und täglichen Abläufen der schweigenden Klostergemeinschaft. Eine Schwester ist schwer krank, fällt im Refektorium von ihrem Stuhl und wird wenig später zu Grabe getragen. Und dann findet die von Angela Winkler mit unvergleichlicher Stille und Hingabe verkörperte Oberin unter dem Bett der Verstorbenen ein Buch, schlägt es auf und beginnt zögernd ängstlich zu lesen.
    Es ist Hölderlins hermetische Fassung von Sophokles' Oedipus. Mit diesem Buch verschwindet die dunkle, enge, verwinkelte Klosterwelt. Es öffnet sich ein strahlend weißer und weiter Kultraum. Schöner kann der radikale Bilderregisseur Romeo Castellucci seine Hommage an die Sprache nicht inszenieren: Als eine Renaissance des Geistes, mit der das Licht in die Finsternis der Bilder zurückkehrt. Castellucci ist ein glühender Verehrer Hölderlins. Nicht dass er sich zum Interpreten und Ausdeuter seines Textes machen könnte, nein, er behandelt dessen Sprache, die sich so gar nicht schert um leichte Verständlichkeit, wie einen leuchtenden Kristall, vor dem er in andächtiger Entfernung inne hält.
    An der Rückwand des weißen Raums ist hinter einem Altar eine erhobene Nische eingebracht und in ihr steht in stolzer Herrscherpose Ursina Lardi in der Rolle des Ödipus. Es sind statuarische Posen, mit denen sich die Protagonisten an die Erforschung der dunklen Vorgeschichte des Königs machen. Mit herber Zielstrebigkeit der Herrscher, mit in sich gekehrter Verzweiflung der von Jule Böwe verkörperte Kreon. In Toga treten die Angehörigen des Herrscherhauses auf, mit einem Fell um die Hüften der Seher Tiresias, der zudem ein leibhaftiges Lamm und einen Hirtenstab in den Armen hält.
    "Weißt du woher du bist? Du bist geheim
    Verhasst den deinen, die hier unten sind
    Und oben auf der Erd', und ringsum treffend
    Vertreibet von der Mutter und vom Vater"
    Christliche Ikonografie und Religiosität des Sophokles in ein Bild gezwängt
    Die christliche Ikonografie und die Religiosität des all dem zugrunde liegenden Dichters Sophokles in ein Bild zu zwängen, ist der verwegene Ansatz Castelluccis an diesem Abend. Unter dem Umhang der Ödipus-Mutter und Gemahlin Jokaste offenbart sich das blassblaue Gewand der Jungfrau Maria, zudem trägt Iris Becher die weiße Madonnenlilie in ihrem Arm. Nach der Erkenntnis von Blutschuld und Blutschande erscheint Ursina Lardi schließlich ihrerseits im Nonnengewand. Nach der Überwindung der dunklen, chthonischen Mächte durch die Erkenntnis der eigenen Schuld ist der Weg gebahnt für christliche Buße. Ödipus wäre so ein Kulturvermittler, ein Heilsbringer. Er unterwirft sich nicht nur göttlicher Weissagung sowie göttlicher Strafe, sondern wirkt aktiv an der Ermittlung seiner Schuld mit, er ist ein pro-aktiver, hochreligiöser Mensch.
    "Wer ist unseeliger, als unser einer?
    Und welcher Mann den Geistern mehr verhasst?
    Das Ehbett auch des Todten mit den Händen
    Beflek' ich es, durch die er umkam. Bin ich bös?
    Bin ich nicht ganz unrein?"
    Den Gang durch die Physik der Erkenntnis erspart Castellucci seinen Akteurinnen und seinen Zuschauern: Er lässt das Augenausstechen des Ödipus weg und ignoriert weitgehend den Selbstmord der Jokaste. Plötzlich erscheint er statt dessen selbst in einem groß projizierten Video vor einer Wand. Jemand sprüht ihm Pfefferspray in die Augen, er reibt sich das schmerzverzerrte Gesicht, wankt blind umher bis zu einem Wasserhahn, schließlich mildert zusätzlich ein Sanitäter mit Augentropfen und Wattepads die Schmerzen des Regisseurs. Wie im legendären Inferno vor 7 Jahren, als sich Castellucci auf der Bühne von drei Hunden anfallen ließ, stellt er sich auch hier quasi stellvertretend vor seine Protagonisten an den Stellen, wo es weh tut. Das hehre Hölderlin-Ritual und seine Metaphysik bleiben so unangetastet, ein Gottesdienst der Sprache, in der kein Blut fließen darf und keine Tränen. Nur ganz am Ende, wenn alles vorbei ist, leistet sich der italienische Regisseur zur Entspannung von der beeindruckenden und etwas zu heiligen Kunstanstrengung einen kleinen Gag: Drei unförmige Klumpen, drei knochenlose Zellhaufen grunzen und schaukeln am Fuße des Altars vor sich hin. Das ist irgendwie unvermittelt komisch, fast kindlich ausgelassen.