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Beschneidung
Seine Vorhaut gehört ihm

In Israel gibt es nichts, was es nicht gibt: Auch jüdische Eltern, die auf eine Beschneidung ihrer Söhne verzichten. Sie finden: Das soll unser Sohn später selbst entscheiden. Das wiederum irritiert die Mehrheit jüdischer Israelis. Denn die meisten sind überzeugt: Beschneidung macht den Juden.

Von Lisa Weiß |
    Chirurgische Instrumente werden zurechtgelegt, vor einer jüdischen Beschneidungszeremonie für einen acht Tage alten Jungen, in Budapest, Ungarn, am 13 November 2011.
    Die Beschneidung von Jungen ist ein zentrales jüdisches Ritual. (Bea Kallo / dpa)
    Es ist Nachmittag, auf dem Spielplatz im Osten Tel Avivs wimmelt es von Kindern. Der zweieinhalbjährige Nohav zupft seine Mutter am Ärmel - er will gerade unbedingt aufs Karussell.
    Nohav, blonde Locken, grüne Augen, unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von vielen anderen israelischen Jungen, die hier zusammen spielen. Bis sie alle durch den Rasensprenkler laufen und die Mamas ihnen die nassen Hosen ausziehen. Dann fällt auf: Nohav ist der einzige Junge hier, der nicht beschnitten ist. Dabei sind auch seine Eltern jüdische Israelis. Für seine Mutter Mor Cohen war schon in der Schwangerschaft klar: Sie wird ihren Sohn nicht beschneiden lassen.
    "Ich hatte Glück, dass mein Partner sofort verstanden hat, was ich meinte, als wir darüber gesprochen haben. Er hatte davor nie darüber nachgedacht, aber sobald wir wussten, dass es ein Junge wird, habe ich ihm gesagt, dass wir das nicht tun sollten. Und im Gegensatz zu meinen Freunden habe ich nicht lang gebraucht, um ihn davon zu überzeugen."
    Beschneidung ist der Normalfall
    Neugeborene Jungen werden im Judentum am 8. Tag nach der Geburt beschnitten. Die Beschneidung markiert im jüdischen Glauben den Eintritt in die Gemeinschaft, den Bund zwischen Gott und den Juden. Sie ist religiöse Pflicht . Mor Cohen fühlt sich als Jüdin - trotzdem hat sie sich gegen die Beschneidung entschieden.
    "Ich halte die Mizwas, also die religiösen Pflichten, nicht ein - warum sollte ich, eine säkulare Jüdin, ausgerechnet die einhalten, die den Körper eines anderen betrifft? Gerade wenn es der Körper meines neugeborenen Sohnes ist, den ich so sehr liebe."
    Der zweieinhalbjährige Nohav mit seiner Mutter Mor Cohen
    Der zweieinhalbjährige Nohav mit seiner Mutter Mor Cohen (Lisa Weiß)
    Mit ihrer Ansicht gehört Mor Cohen einer kleinen Minderheit in der israelischen Gesellschaft an. Schätzungen gehen davon aus, dass nur etwa ein bis zwei Prozent der neugeborenen jüdischen Jungen nicht beschnitten werden. Genaue Zahlen gibt es nicht. Auch für säkulare Juden, die sich beispielsweise nicht an die Sabbat-Gesetze halten, ist es in Israel völlig normal, ihre männlichen Neugeborenen beschneiden zu lassen. Viele ihrer Freunde, ihrer Verwandter können daher ihre Entscheidung überhaupt nicht verstehen, sagt Mor Cohen.
    "Er wird anders sein. Kinder können grausam sein"
    "Obwohl meine Eltern nicht religiös sind und mich zu einer eigenständigen Persönlichkeit erzogen haben, war es für sie schwer, das zu akzeptieren. Sie haben Angst, dass er in der israelischen Gesellschaft nicht akzeptiert wird", sagt Mor Cohen.
    Ganz abgesehen davon, dass das Judentum die Beschneidung verlangt: Dass die Entscheidung, einen Jungen nicht zu beschneiden, das Kind zum Außenseiter macht - das ist die Befürchtung vieler säkularer Juden, die sich für die Beschneidung entscheiden. Auch von ihrer Seite kommt Kritik an Beschneidungs-Skeptikern wie Mor Cohen: Die Leidtragenden seien die Kinder, die mit den Folgen leben müssten. Mor Cohen nickt, das war ein Faktor, der ihr persönlich die Entscheidung schwerer gemacht hat.
    "Ja, ich habe darüber nachgedacht. Er wird anders sein. Kinder können grausam sein. Mich haben sie als Kind ausgelacht, weil ich rote Haare habe. Andere werden ausgelacht, weil sie eine Brille tragen, klein oder dick sind. Ich glaube, dass es meine Aufgabe als Elternteil ist, ihn stark genug zu machen, mit Hänseleien von anderen Kindern umzugehen."
    Das Kind selbst entscheiden lassen
    Noch ist er zu klein, um das zu verstehen, aber schon jetzt wird Nohav immer wieder von anderen Kindern ausgelacht, erzählt Mor Cohen. Wenn sie ihn am Strand von Tel Aviv nackt durchs Wasser rennen lässt, wartet sie nur auf harsche Kommentare. Trotzdem ist sie davon überzeugt, dass sie richtig handelt. Die Beschneidung lasse sich nicht rückgängig machen, sagt sie. Nohav soll später selbst entscheiden, ob er beschnitten werden will.
    "Wenn ich merke, dass er es wirklich will und er weiß, was das alles bedeutet, was die Konsequenzen sind und er verantwortungsbewusst ist, darf er es. Es ist für mich, wie wenn es ein Piercing oder ein Tattoo wäre."
    Die Beschneidung mit einem Piercing oder Tattoo zu vergleichen, das ist für die meisten Juden in Israel undenkbar. Schließlich gilt die Beschneidung als zentraler Bestandteil jüdischer Identität.