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BILD-Zeitung
Wenn die Presse Polizei spielt

„Wer kennt diese G20-Verbrecher?", fragt die BILD heute - und druckt Fotos von potentiellen Straftätern auf ihrer Titelseite. Stefan Koldehoff stellt sich im Dlf die Frage, was eine solche private Pranger-Aktion eigentlich in einem demokratischen Rechtsstaat zu suchen hat.

Von Stefan Koldehoff | 10.07.2017
    "Sachdienliche Hinweise bitte an die nächste Polizei-Dienststelle" steht auf dem Titelblatt der BILD vom 10.07.2017. Daneben: Bilder von angeblichen gewalttätern (auf dieser Abfotografie des Titelblattes nicht zu sehen).
    "Sachdienliche Hinweise bitte an die nächste Polizei-Dienststelle" fordert BILD auf ihrem Titelblatt vom 10.07.2017 (Deutschlandradio / Isabelle Klein)
    Und da ist es wieder, das seltsame Gefühl von vor 40 Jahren. Damals, im sogenannten "heißen Herbst" des RAF-Terrors, hingen Fahndungsplakate in Amtsstuben und Postämtern. Forderten Bürgerinnen und Bürger auf, nach Straftätern zu suchen und sie zu melden - "Vorsicht! Schusswaffengebrauch".
    Vier Jahrzehnte später - im G20-Sommer 2017 - hängen diese Plakate nun nicht mehr an den Postämtern - die Firma ist ja auch längst privatisiert und keine Behörde mehr, sondern eine AG. Dafür wird heute an den Kiosken gefahndet: bundesweit, wieder in den Farben Schwarz, Weiß und Rot - und wieder mit Fotos, die man dann mit dickem Filzstift durchkreuzen kann, wenn wieder jemand gefasst wurde.
    Private Pranger-Aktion als Eskalationsstrategie
    Man kann diese Aktion, mit der die BILD-Zeitung heute rund 1,7 Millionen mal die Republik überzieht, als Akt des staatsbürgerlichen Pflichtbewusstseins verkaufen, wie es BILD tut. Man kann und muss aber auch die Frage stellen, was eine solche private Pranger-Aktion eigentlich in einem demokratischen Rechtsstaat zu suchen hat.
    In einem Staat, in dem erst als Verbrecher gilt, wer von einem unabhängigen Gericht verurteilt wurde - und nicht, wen ein Boulevardblatt dafür hält und deshalb einfach mal mit vermeintlich eindeutigen Fotos auf die Titelseite hebt. Und ganz abgesehen davon, dass mit einer solchen Aktion bewusst auch Stimmung aufgeheizt und eine Eskalationsstrategie fortgesetzt wird.
    Die Antwort ist ziemlich einfach und kurz: Nichts. Absolut nichts hat eine solche populistische Medien-Aktion im Rechtsstaat verloren.
    Medien sind keine Erfüllungsgehilfen des Staates
    Zum Kern jeder Demokratie gehört die Gewaltenteilung: Politik macht Gesetze. Polizei ermittelt Verstöße. Justiz ahndet und bestraft. Und die Medien? Beobachten, berichten - kontrollieren die Organe des Staates im besten Falle auch. Machen sich aber nie zu ihren Erfüllungsgehilfen, denn die Unabhängigkeit ist ihr höchstes Gut. Und sei das von "BILD" so gern zitierte "Volk" zu recht noch so schockiert und zornig über den massenhaften Rechtsbruch der vergangenen Tage in Hamburg, der zweifelsohne Fahndungen und Prozesse nach sich ziehen wird.
    Das gilt übrigens auch für jene Medien, die während der Hamburger Krawalle der Aufforderung der Polizei gefolgt sind, doch bitte lieber nicht über das Vorgehen ihrer Einheiten zu berichten. Gleichzeitig wurden anderen Journalistinnen und Journalisten Akkreditierungen entzogen und Presseausweise ignoriert.
    Unabhängigkeit der Presse beschädigt
    Dass das alles zum Beispiel in der Türkei geschieht, prangern deutsche Medien zu Recht als Ende der Pressefreiheit und - Free Deniz! - als Anfang vom Ende der Demokratie an. Hier in Deutschland haben viele Kolleginnen und Kollegen damit offenbar weniger Probleme - auch ohne Notstandsgesetze.
    Ohne damit die Hamburger Gewalttäter auch nur ansatzweise verstehen und verteidigen zu wollen: Wer sich so verhält, wie es die "BILD-Zeitung" heute tut, bestärkt all jene, die in Medien ohnehin nur den verlängerten Arm des Staates - die angebliche "Staatspresse" - sehen. Und das kann ernsthaft niemand wollen. Die Unabhängigkeit der Presse hat "BILD" heute massiv beschädigt.