Donnerstag, 28. März 2024

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Bildung nur noch für die oberen zehn Prozent?

Der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann hat vor einer Zementierung der sozialen Spaltung im Bildungswesen gewarnt. Die meisten bildungspolitischen Veränderungen wie Eliteförderung oder das verkürzte Abitur würden die ohnehin mangelhafte Chancengleichheit in Deutschland noch weiter abbauen.

Moderation: Kate Maleike | 02.01.2008
    Kate Maleike: Der Bildungsstandort Deutschland insgesamt gesehen hat ja in den vergangenen Jahren einige Erdbeben erlebt, diverse PISA-Studien und OECD-Berichte haben vor allem den Alltag an den Schulen mächtig verändert. Eines allerdings ist geblieben: Noch immer hängt der Bildungserfolg in Deutschland vom Elternhaus ab. Kinder aus bildungsfernen Schichten haben es nach wie vor schwer. Akademikerkinder finden sich dagegen häufiger in den Chefetagen wieder. Michael Hartmann ist Professor für Soziologie an der TU in Darmstadt, und er ist Deutschlands bekanntester Eliteforscher. Schönen guten Tag, Herr Hartmann!

    Michael Hartmann: Guten Tag!

    Maleike: Wie beurteilen Sie denn die Lage im Moment? Hat sich dieser Zusammenhang von Herkunft und Bildungserfolg bei uns in Deutschland quasi einbetoniert?

    Hartmann: Der hat sich einbetoniert. Und wenn man sich die Veränderungen anguckt, die im Augenblick stattfinden, so tragen die meisten Veränderungen dazu bei, dass das eher schlechter statt besser wird. Also wenn man sich zum Beispiel dieses verkürzte Abitur anguckt, also das G8-Abitur, das erschwert den Übergang von der Realschule auf das Gymnasium ganz ungemein. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, die einmal getroffene Entscheidung nach der vierten Schulklasse noch revidieren zu können, sinkt. Das Zweite, wenn Sie sich die Hochschulen angucken, die Trennung in die Eliteuniversitäten und den Rest, das geht in eine ähnliche Richtung. Das heißt, die Verbindung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg oder hohen Bildungsabschlüssen wird, wenn das so weitergeht, in den nächsten Jahren eher stärker als schwächer werden.

    Maleike: Aber eigentlich hat die Politik doch gesagt, sie will das verändern. Exzellenzinitiative, das ist ja das, was die Elitehochschulen ja schlussendlich auch ausmacht, wurde von der Politik gesteuert. Heißt das im Umkehrschluss, die Politik will eigentlich gar nicht die Chancengleichheit?

    Hartmann: Ich glaube, dass in der Politik die Chancengleichheit mehr rhetorisch immer wieder in den Vordergrund gestellt wird. Wenn Sie sich angucken die auch mediale Aufmerksamkeit, die zum einen die Exzellenzinitiative bekommen hat, zum anderen die Tatsache, dass in den nächsten Jahren auf die Universitäten eine Menge an Studierenden zukommen wird, für die keine Studienplätze zur Verfügung stehen, der sogenannte Hochschulpakt, die Diskussion darum, das Zweite ist, was untergegangen ist, scheint niemanden zu interessieren, was mit der Masse der Studierenden passiert, oder jedenfalls nur in geringem Maße zu interessieren. Es konzentriert sich das Interesse sehr stark auf Elite, auf Exzellenz und Ähnliches.

    Und im schulischen Bereich: Es wird nach PISA immer beklagt, dass der Zusammenhang hier so stark ist, aber die Gründe, warum der so stark ist, werden nicht wirklich ernsthaft in Richtung auf praktische Veränderungen diskutiert. Da müsste man natürlich Strukturfragen aufwerfen, das heißt die berühmte Dreigliedrigkeit des deutschen Schulsystems, oder wenn man, wie jetzt in vielen Ländern ja angedacht, Haupt- und Realschulen zusammennimmt, wird man eine Zweieinhalbgliedrigkeit haben. Denn was völlig vergessen wird, es wird ein neuer Typus mit der Sonderschule eine viel stärkere Rolle spielen als bisher. Das heißt, wir werden ein System haben, was vor allem das Gymnasium rettet. Und solange das Gymnasium die Sonderstellung hat, wird dieser Zusammenhang nicht ernsthaft infrage gestellt, weil Akademikerkinder selbstverständlich aufs Gymnasium und dann auf die Uni gehen. Und alle anderen kleinen Änderungen, die Abschaffung von Orientierungsstufen, egal, was wir nehmen, es gibt kaum Änderungen, die in die richtige Richtung weisen.

    Maleike: Das klingt fast wie eine Bankrotterklärung?

    Hartmann: Ja, das ist auch großenteils eine Bankrotterklärung. Es gibt wenige Sachen, also diese halbherzigen Ansätze zu Ganztagsschulen, Ganztagsschulen wäre eine ganz wichtige Neuerung, wenn man die einführen würde. Es gibt in der vorschulischen Erziehung der Kinder einige vernünftige Ansätze, aber eben alles sehr halbherzig. Also wenn man bis 2013 jedes dritte Kind damit erfassen will, so ist das einfach viel zu wenig. Man müsste sehr viel schnellere und umfassendere Schritte in dieser Richtung ergreifen. Und wenn man sich die Situation der Migrantenkinder anguckt, das sind ja alles Probleme, die seit Langem bekannt sind und wo man seit Langem irgendwas hätte unternehmen können. Man unternimmt aber nichts.

    Maleike: SPD-Chef Beck hat ja nun gerade erst wieder vor ein paar Tagen angekündigt, das Thema Chancengleichheit zum zentralen Thema für 2008, also für dieses Jahr zu machen. Er sagte wortwörtlich, die SPD werde es nicht zulassen, dass in Deutschland immer neue Bildungshürden aufgebaut werden, und sprach in diesem Zusammenhang sich auch noch mal gegen Studiengebühren in Deutschland aus. Ähnlich hat sich auch der Unionsfraktionsvorsitzende Kauder geäußert. Er hat sich natürlich in der Studiengebührenfrage anders geäußert, will aber trotzdem eine gemeinsame Bildungsoffensive von Bund und Ländern sehen. Sind das alles dann weiterhin Sonntagsreden?

    Hartmann: Es sind weitgehend Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse. Wenn Sie sich die SPD-Position zu den Studiengebühren angucken, die SPD ist immer dann gegen Studiengebühren, wenn sie nicht in der Regierungsverantwortung ist. Da, wo sie in der Regierungsverantwortung ist, ist sie vielfach auch für Studiengebühren. Die ganze Diskussion ist sehr stark angestoßen worden damals noch von Niedersachsen, Minister Oppermann, damals noch rot-grüne Regierungskoalition. Und Ähnliches gilt für all diese Bekenntnisse zu Chancengleichheit und Ähnlichem. Es wird nicht ernsthaft was unternommen. Wenn Sie sich Rheinland-Pfalz angucken, eine reine SPD-Regierung, da wird genau dieses zweigliedrige Schulsystem installiert, was das Gymnasium auf wahrscheinlich unabsehbare Zeit weiter einbetonieren wird. Und für mich sieht das immer so aus, man hat öffentliche Bekenntnisse zu allem und jedem, man muss für die Migranten was tun, für die Armen usw. usf., aber wenn es dann um die praktischen Schritte geht, dann ist Ende der Fahnenstange. Das heißt, dann bleibt man im Grunde auf dem bewährten Kurs.

    Maleike: Herr Hartmann, wir haben jetzt in dieser Sendung viel zurückgeschaut. Gucken wir doch mal nach vorne. Wenn sich dieser Zustand so einbetoniert, wie es jetzt scheint, wie sieht dann der Bildungsstandort, jetzt müssen wir mal weiterrechnen, wir haben jetzt 2008, also 2018 aus?

    Hartmann: Wir werden 2018 ein neues dreigliedriges Schulsystem haben. Ich habe das eben schon angesprochen, die dritte Stufe wird dann die Sonderschule sein. Denn wenn Haupt- und Realschule zusammengefasst werden, wird bei der deutschen Mentalität der Teil der Schüler, der für diese gemeinsame Haupt-Realschule nicht geeignet zu sein scheint, dann auf die Sonderschule abgeschoben. Das wird zum Beispiel einen nicht unerheblichen Teil der Migrantenkinder treffen. Das Gymnasium wird so bleiben wie bisher. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Zugang zum Gymnasium wie vor allem im Zugang zum Studium wird sich auch nicht maßgeblich verändern. Wir werden innerhalb der Universitätslandschaft eine deutliche Spaltung haben zwischen den Elite- und einigen Forschungsuniversitäten und dem großen Rest. Auch da wird es eine soziale Spaltung geben. Das sieht man in allen Ländern, wo es solche Eliteuniversitäten gibt. Die Eliteuniversitäten werden vorwiegend von Kindern aus den oberen zehn Prozent der Bevölkerung besucht. Das heißt, es besteht wenig Anlass, wenn das so weiterläuft wie bisher, zu irgendeinem Optimismus. Es besteht relativ viel Anlass dafür, pessimistisch zu sein. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass die öffentliche Diskussion an Schärfe zunimmt – ich hoffe das immer noch –, und dass von daher der Druck auf die Politik wächst, vielleicht doch mal über einige Dinge ernsthaft nachzudenken. Aber das ist mehr eine Hoffnung.

    Maleike: In wenigen Tagen, das bitte noch ganz kurz zum Schluss, wird die saarländische Bildungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer turnusgemäß Präsidentin der Kultusministerkonferenz werden. Was würden Sie ihr als wichtigste Aufgabe mit auf den Weg geben für dieses Amt?

    Hartmann: Die wichtigste Aufgabe ist ganz klar, die Dreigliedrigkeit des Schulsystems ernsthaft zu überdenken. Man kann zwar nicht behaupten, dass, wenn die Strukturen verändert werden, dass alle Probleme damit weg sind, das hängt natürlich auch mit dem Unterricht zusammen, mit der Lehrerausbildung. Aber man kann umgekehrt sagen, wenn sich an der Dreigliedrigkeit oder der Zweigliedrigkeit, wie auch immer man das dann nennen will, nichts Grundlegendes ändert, werden alle anderen Reformen an dem Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg nichts ändern.