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Blick auf die Schattenseite

Slums ziehen immer mehr Touristen an. In Südafrika erleben die Touren in Armenviertel einen Boom. Doch die Qualität der Touren kann sehr unterschiedlich sein, wie zwei Beispiele aus Port Elisabeth und Kapstadt zeigen.

Von Sandra Pfister | 27.05.2012
    " Sisa Mangawe ist mein Name, ich komme aus einem Stamm, der Xhosa heißt, und dessen Sprache gespickt ist mit Klicklauten."

    Sisa Mangawe, Mitte 40, schwarz, eine sehr gepflegte Erscheinung ist unser Reiseführer, spezialisiert auf Führungen durch dieses Township. Schon gleich zu Beginn macht er klar: Das weiße Südafrika, in dem Englisch gesprochen wird oder Afrikaans, die Sprache der Buren, das lassen wir hier hinter uns. Hier, am indischen Ozean, an den Rändern der Industriestadt Port Elisabeth im Township New Brighton; hier sind fast alle Sätze mit Klicklauten gespickt, die für deutsche Zungen kaum zu bewältigen sind.

    Doch damit endet schon die Folklore: Sisa, Ende vierzig, in Leinenhose und langärmligem Hemd, hat uns am Flughafen abgeholt mit einer sehr neuen, sehr gepflegten Limousine. Kaum vorstellbar, dass er in einer Blechhütte aufgewachsen sein soll, nur wenige Hundert Meter von hier entfernt.

    Mit dem Auto durchs Township? Ich finde das befremdlich, schließlich wollte ich doch auf Tuchfühlung gehen zur Wirklichkeit, Wellblechhütten von innen sehen. Doch erstmal müssen wir Distanzen bewältigen. Eine Million Einwohner hat die Hafenstadt P.E., wie die Einheimischen Port Elizabeth nennen, und die Hälfte lebt in Townships. "Red Location" ist die älteste Siedlung von New Brighton, in die zu Zeiten der Apartheid Schwarze umgesiedelt wurden , "shipped out of town", wortwörtlich: aus der Stadt geschafft.

    Auch heute noch wuchern die Hütten scheinbar überall aber doch nach System. Viele haben sogar Hausnummern. Darin wohnen die Township-Bewohner dritter Klasse. Auf der anderen Straßenseite hat sich aber schon bescheidener Wohlstand ausgebreitet: schlichte, gemauerte Häuschen, 60, 70 Quadratmeter groß, pink, orange, knallgrün.

    " Wenn Sie auf die linke Seite schauen, da haben wir diese hübschen, farbenfrohen Häuser, wir nennen sie Smarties, Sie kennen diese Süßigkeiten in verschiedenen Farben. Die Leute kriegen diese Häuser umsonst, aber sie müssen für Wasser und Elektrizität bezahlen. Aber hier, auf der anderen Seite, sehen Sie, dass die Leute immer noch in diesen Hütten leben, aber unsere Regierung plant, dass davon bis 2014 nichts mehr zu sehen sein wird. "

    Das ist ein frommer Wunsch. Denn wenig später zeigt Sisa uns die illegalen Hütten, die wie Pilze am Rande des Townships aus dem Boden schießen. Diesmal sollen wir nicht aussteigen; die Illegalen sind eine Welt für sich – oft Flüchtlinge aus Simbabwe, die Outcasts unter den Bewohnern des Armenviertels. Er sagt, die Illegalen könnten glauben, wir seien Spitzel der Polizei. Zweiter Adrenalin-Kick. Der erste kam schon, als Sisa uns riet, das Auto am Flughafen zu parken und nicht im Township selbst – zu unsicher. Überhaupt sollten Weiße niemals allein in die Armenviertel gehen.

    "Früher war es für Weiße wirklich eine raue Erfahrung, in ein Township zu gehen, weil wir hier alles daran gesetzt haben, Südafrika unregierbar zu machen. Wir haben hier gekämpft. Heute macht es uns sehr stolz, Leute wie Euch in die Townships kommen zu sehen, weil es uns das Gefühl gibt, dass wir wirklich zu Südafrika gehören. Du kannst nicht sagen, dass Du in Südafrika warst, wenn Du nie eine Township-Tour gemacht hast."

    Wir wollen keine nullachtfünfzehn-Pauschaltouristen sein, die die dunkle Seite des touristisch aufpolierten Afrika ausblenden. Elendstourismus? Sisa, unser Führer, stellt klar, dass inzwischen viele Schwarze hier freiwillig leben, obwohl sie sich mehr leisten könnten. Hier könnten sie beispielsweise ihre Tiere auf traditionelle Art schlachten oder das ausleben, was wir für Aberglauben halten. Sisa deutet auf die Holzpfosten, die vor beinahe jeder Tür im Township stehen. Sie sind mit Ziegen-, Kuh- oder Buschbock-Hörnern bestückt und sollen böse Geister auf Abstand halten.

    Sisa stoppt den Wagen vor dem "Red Location Museum". Ein riesiger Glas- und Beton-Bau, mehrfach preisgekrönt, eine didaktische Perle.

    Zehn, fünfzehn schwarze Kinder kommen neugierig näher, Weiße sind im Township noch immer eine Seltenheit. Zwei kleine Jungs mit langen Rotznasen, aber gepflegter Kleidung ziehen ihren weinenden Bruder, der noch nicht laufen kann, in einem Wäschekorb hinter sich her. Unsere Kinder beginnen sofort, mit ihnen Nachlaufen zu spielen, klatschen sich fröhlich mit den Händen ab und sie sind kaum noch für das Museum zu begeistern.

    Das "Red Location Museum" ist erst wenige Jahre alt und eine didaktische Wucht. Überlebensgroß prangen hier die Porträts von schwarzen Widerstandskämpfern; das Township hat eine bewegte, militante Vergangenheit; hier haben sich etliche Straßenschlachten abgespielt. Von seinen Ausmaßen her ist das Museum auf Busladungen voller Touristen angelegt, die man eben mal nicht so einfach durch eine private Hütte jagen kann. Das lehnt Sisa ohnehin ab. Er sagt, er wolle die Würde der Township-Bewohner wahren. Statt dessen zeigt er uns den Nachbau einer Hütte im Museum.

    "May I take a seat here, welcome on board."

    Eng, dunkel, zehn bis zwölf Quadratmeter klein, die wenigen Kochgeräte, Kämme, Bürsten sind gepflegt und penibel aufgereiht. Alles im Dämmerlicht, ausgeleuchtet nur von einer Petroleum-Lampe. Plumpsklo im vorderen Bereich, ein Kochstelle, eine Matratze.

    " OK, gute Leute, willkommen in unserer wundervollen Hütte. In die passen sechs Leute rein, und weil wir kein Geld haben, um uns Tapeten zu kaufen, sammeln wir alle Zeitungen, die uns Freunde schenken, und tapezieren unsere Hütte damit. Etwa bei 1:57: Sechs Leute passen hier locker rein. Wir legen uns auf den Boden, manchmal noch ein Tuch drauf. Und das hier, unser Ellbogen, ist unser natürliches Kissen. Das ist alles. So bin ich aufgewachsen."

    Aufgewachsen im Wellblech, im Plastikmüll. So wie die Besitzerin eines kleinen Schmuckladens im heruntergekommensten Teil des Townships. Die Hauptstraßen sind geteert, aber hier staksen wir über staubige Trampelpfade, immer bedacht, nicht in die kraterartigen Löcher oder auf Plastikmüll zu treten. Doch auf Sauberkeit achten alle: In den Hinterhöfen ist flatternde Wäsche aufgespannt. Arm zu sein bedeute noch lange nicht, sich gehen zu lassen, sagt Sisa.

    Das hat auch Bayanda Noqui verinnerlicht. Sie schließt uns ihren Schmuckladen auf, vollgestopft mit Plastikschmuck und Näharbeiten für die Touristen, die Einheimischen etwas Gutes tun wollen.

    "Gespräch mit Shopbesitzerin: Ich heiße Bayanda Noqui, ich lebe in diesem Township, mein Haus ist nicht weit entfernt von hier."

    "Aber hier gibt es einige Probleme, Sie sehen ja, wie wir hier leben: Wenn es so heiß ist wie jetzt, dann ist es zu heiß hier drin, im Winter ist es natürlich viel zu kalt hier drin, das ist das, was so enttäuschend daran ist, aber: ja."

    Resigniert zuckt sie die Schultern. Sie und ihr Mann sind, wie so viele hier, arbeitslos. Sie sagt, deshalb möge sie Touristen, vor allem die Bustouristen seien großzügig: Die hätten das Geld, regelmäßig etwas bei ihr zu kaufen. Doch nicht alle hier leben am Existenzminimum: Sisa kutschiert uns mit dem Auto durch ein Viertel, das bis hin zu den Sicherheitssystemen jeder beliebigen amerikanischen Vorstadt gleicht. Hier leben schwarze Lehrer, Ärzte, solider Mittelstand, quasi die erste Klasse im Township.

    "Sie können selbst sehen, dass wir immer noch in einem Township sind. Aber weil diese Leute früher, in den alten Zeiten, nicht in den Innenstädten wohnen durften, selbst, wenn sie reich und gut ausgebildet waren, mussten sie in den Townships leben."

    Normalerweise fährt Sisa seine Touristen jetzt in eine örtliche Bar zum Mittagessen – bei lauter Musik und alkoholischen Getränken. Aber die Bar ist geschlossen, der Besitzer gerade gestorben. Schade – jetzt wissen wir nicht, wie gekochte Ziegenbeine schmecken. Doch das fehlt uns nicht wirklich; die nicht gerade preiswerten 130 Euro, die wir als Familie für die Tour bezahlt haben, die waren es jedenfalls allemal wert.

    Viel billiger ist eine Township-Tour bei Kenny ein paar Hundert Kilometer weiter westlich in Kapstadt zu haben, umgerechnet gut 25 Euro für uns vier zusammen. Wir sitzen mit der schwedischen Touristin Birgitta Weidegaard im Red Bus, einem roten Doppeldeckerbus, der Touristen quer durch Kapstadt zu Sehenswürdigkeiten kutschiert. Regelmäßig hält er auch an der Polizeistation von Imizamu Yethu, einem 25.000-Einwohner-Township am Rande von Hout Bay, das ist ein gemütlicher Nobelvorort von Kapstadt. Der Busfahrer preist die Township-Tour an, 45 Minuten dauert sie, und die etwa 60-jährige Schwedin ist außer uns die Einzige, die sich darauf einlässt – trotz leichter Bedenken. Sie will nämlich nicht, dass sich die Township-Bewohner vor ihr wie Affen im Zoo fühlen müssen.

    "Das war der Gedanke, den ich zuerst hatte. Aber dann habe ich mich ein bisschen eingelesen und auch gelesen, dass die Township-Bewohner ziemlich stolz sind, wenn wir uns für sie interessieren, und dass sie wirklich wollen, dass wir dorthin gehen, damit wir sie ein bisschen mehr verstehen, auch wenn wir verschiedene Sprachen sprechen."

    Kenny jedenfalls spricht Englisch. Der Touristenführer wohnt in diesem Township; später werden wir von unserem Bed and Breakfast-Wirt erfahren, dass er hier angeblich der Mann ist, der im Auftrag der Regierung entscheidet, wer zuerst ein gemauertes Häuschen erhält. Mit anderen Worten: Für einen vorderen Platz auf der Warteliste lasse sich Kenny üppig bestechen. Ob das stimmt, wissen wir nicht. In unserer Gegenwart sorgt er jedenfalls erst einmal dafür, dass ein paar Township-Läden Umsatz machen:

    "Das hier ist ein Projekt für arbeitslose Frauen. Sie nennen sich selbst "Mütter für alle", weil sie sich auch um Kinder kümmern, die ihre Eltern verloren haben. Sie recyceln alte Kellog’s Cornflakes-Packungen, sie reißen sie auseinander, drücken sie zusammen und formen Kugeln für Schmuck daraus, und dann tragen sie noch Lack auf, um sie wasserfest zu machen. Man darf das alles anfassen, das kostet nichts, aber mitnehmen kostet schon. "

    Hier ein Souvenir-Shop, da eine Selbsthilfe-Initiative, die dringend Geld braucht. Als wir zu Fuß durchs Township gehen, werden wir permanent sanft in Läden dirigiert, in denen man Geld lassen kann. Wir kaufen Schmuck aus Cornflakes-Verpackungen – es ist ja für einen guten Zweck. Stolz führt Kenny aber auch die von der Regierung gesponserten Häuser vor, die die alten Hütten ersetzt haben - alle mit Strom und fließend Wasser. Wir spazieren munter durch die Hütten – was Sisa in PE ja abgelehnt hatte. Anfangs noch etwas gehemmt.

    "Sie sehen: Drei Schlafzimmer für sechs Leute, sie haben ihr eigenes fließendes Wasser, alles ist organisiert, wie Sie sehen können."

    Über die Kehrseite wird in jeder südafrikanischen Zeitung berichtet: Offenbar wird unglaublich viel Wasser verschwendet. Schon das erste Haus, das wir mit Kenny betreten, bestätigt das: Der Wasserhahn in der Badewanne ist voll aufgedreht und läuft ununterbrochen, obwohl niemand badet und kein Stöpsel in der Wanne ist.

    Nach 45 Minuten Township im Schnelldurchlauf sind wir zwiegespalten und verwirrt: Wir haben ärmliche Hütten gesehen und sind voller Mitgefühl. Aber wir haben unerwartet viel Gelassenheit erlebt, und sehr viel Optimismus. Wer die andere Seite des Reiselandes Südafrika erleben will, dem ist sie unbedingt zu empfehlen.