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Blick in menschliche Populationen

Genetik. - Vor zehn Jahren war die erste vollständige Entzifferung eines menschlichen Genoms ein wissenschaftliches Großereignis, für das Tausende Wissenschaftler zehn Jahre Arbeit und Hunderte Millionen Dollar aufgewandt hatten. Inzwischen geht so etwas in Tagen, deshalb können Genetiker einen immer genaueren Blick auf die Feinheiten des menschlichen Erbguts werfen.

Von Michael Lange | 08.11.2012
    "So we are walking in the Sanger's instrument room…"

    Harold Swerdlow betritt den wichtigsten Raum im Sanger Institute in der Nähe von Cambridge, England. Insgesamt 40 Sequenzier-Automaten rauschen um die Wette. Jeder so groß wie eine gewöhnliche Waschmaschine, keiner ist älter als drei Jahre. Einige LED-Anzeigen blinken. Mehr ist nicht zu sehen. Viele dieser Sequenzierautomaten arbeiten für das 1000-Genome-Projekt. Sie ermitteln die Reihenfolge der Informationsbausteine in den genetischen Bauplänen menschlicher Zellen. Swerdlow:

    "You can sequence an entire human genome on a single chip…."

    Das ganze menschliche Erbgut kann man heute auf einem einzelnen Chip sequenzieren, schwärmt Harold Swerdlow. Bis alle Informationen im Computer gespeichert sind, dauert es nicht mehr Jahre, Monate oder Wochen, sondern nur noch zwei bis drei Tage. Zu 99,9 Prozent ist das Erbgut verschiedener Menschen identisch, egal ob aus Island, Südamerika oder Japan. Nur 0,1 Prozent machen die Unterschiede aus. Sie sind aber wichtig, denn sie geben Auskunft über mögliche Krankheiten und Krankheitsrisiken. Nach nur vier Jahren Forschung kann das 1000-Genome-Projekt nun die vollständige Erbgut-Information von insgesamt 1092 Menschen aus aller Welt vorlegen und vergleichen. Die erste Analyse zeigt viel deutlicher als frühere Projekte die kleinen Unterschiede zwischen einzelnen Menschen, die so genannten Varianten, erklärt Peter Donnelly vom Zentrum für Humangenetik in Oxford.

    "Im vorangegangenen HapMap Projekt haben wir bereits nach genetischen Varianten gesucht. Wir konnten damals aber nur die häufigen Varianten entdecken und fanden die gleichen genetischen Abweichungen überall auf der Welt. Im 1000-Genome-Prokekt können wir viel genauer hinschauen und seltene Varianten entdecken, die im HapMap-Projekt unentdeckt blieben."

    Frühere Projekte konnten zeigen, dass die Menschheit nicht in Rassen aufgespalten ist. Mit den neuen Daten aus dem 1000-Genome-Projekt lassen sich jetzt aber dennoch einzelne Bevölkerungsgruppen, so genannte Populationen, unterscheiden. Denn sie unterscheiden sich in ihren seltenen Varianten.

    "Die neuen Daten zeigen deutlich die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen geografischen Regionen. Das haben wir nicht anders erwartet. Die häufigen Varianten sind in der Urzeit der Menschheit entstanden und treten überall auf der Welt auf. Die seltenen Varianten sind später entstanden und oft auf bestimmte Regionen begrenzt. Zum Beispiel auf kleine europäische Gruppen."

    So gibt es seltene Varianten, die typisch sind für die Bewohner der Toskana in Italien. Andere Varianten kommen nur auf der Isle of Wight vor der Südküste Englands vor. Einige dieser regionalen, seltenen Varianten erhöhen bestimmte Krankheitsrisiken. In Zukunft könnte die Medizin auf solche regionalen genetischen Unterschiede mit besonderen Vorsorge- und Diagnose-Programmen reagieren, glaubt Peter Donnelly:


    "Ich bin sehr optimistisch, dass die Genom-Entzifferung eine wichtige Rolle in der Medizin spielen wird. Das wird sich schon in den nächsten fünf Jahren zeigen. In 15 oder 20 Jahren wird die Medizin ganz anders funktionieren als heute, weil wir Genome sehr schnell sequenzieren und interpretieren können."

    Man könnte die neuen Informationen aber auch nutzen, um einen unbekannten Menschen anhand einer Speichelprobe oder einer Blutprobe besser kennen zu lernen. Zumindest seine Herkunft lässt sich nun weit besser als vor dem 1000-Genome-Projekt mit speziellen Gentests ermitteln.