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Blick voraus

Die Zukunftsforschung liefert wichtiges Handwerkszeug für die Planung internationaler, staatlicher und privatwirtschaftlicher Bereiche. Diese Wichtigkeit unterstreicht jetzt auch die Einrichtung des Aufbau-Master-Studiengangs "Zukunftsforschung" an der FU Berlin.

Von Katja Bigalke | 17.08.2010
    Wer das Erziehungswissenschaftliche Institut für Zukunftsforschung an der Freien Universität besucht, wird zunächst enttäuscht. In der Villa in Dahlem herrscht Gründerzeit nicht Science-Fiction. Zwar gibt es im Büro von Gerhard de Haan, dem Leiter des Instituts, einen selbst gezimmerten Schreibtisch, der auf Fahrradgabeln statt auf Holzbeinen steht, aber ansonsten ist das Interieur eher unspacig. Ist auch nicht nötig, sagt de Haan. Dass sich Zukunftsforscher allein mit technologischen Innovationen beschäftigen, sei ein Ansatz von gestern:

    "Wenn man sich Zukunftsforschung genauer anschaut in den letzten Jahren, wird das oft auch andersherum diskutiert: Gesellschaftlicher Bedarf, Wünsche treiben auch Technologien voran, zwingen dazu, dass man sich mit bestimmten Technologien befasst und das ist ein Schwerpunkt des Studiengangs."
    Will sagen: Bei de Haan am Institut sind der Klimawandel oder demografische Veränderungen mindestens genauso wichtig wie der technische Fortschritt. Der erste deutsche Aufbau-Masterstudiengang Zukunftsforschung gibt sich bewusst nachhaltig und interdisziplinär. Absolventen aller Fachbereiche sind angesprochen. Entsprechend basieren die Methoden auch nicht auf einem speziellen Fach-Know-how – ihre qualitativen und quantitativen Erhebungen sind am ehesten den Sozialwissenschaften entlehnt. So wird zum Beispiel im ersten Semester die Szenariomethode vermittelt, nach der für bestimmte Fragestellungen "worst" und "best case"-Szenarien entworfen werden.

    "So kann man sich in dieser Spannbreite bewegen und wird dann handlungsfähig, indem man sagt, wenn der Fall A eintritt, dann können wir so reagieren, wenn B dann so. Das erste Unternehmen, das damit erfolgreich war, war Shell. Die Ölkrise, die hatten das antizipiert und sind dann auch gut rausgekommen."
    Antizipieren ist ein wichtiges Stichwort für die Zukunftsforscher. Sie können ja trotz ihrer Umfragen, Studien und Vergleiche keine präzisen Vorhersagen treffen. Ihre Zukunftsbilder sind mal mehr mal weniger wahrscheinlich, erklärt de Haan:

    "Es geht darum verschieden Optionen zu haben und aus denen optimal auszuwählen. Und daraus eine Strategie zu entwickeln. Wir kennen im Deutschen nur das Wort Zukunft. Es gibt aber viele Futures."
    Da die Studenten später verschiedene Berufsfelder haben werden, hat sich das Institut für eine Schwerpunktsetzung ab dem zweiten Semester entschieden. Die Lehrenden, neben Erziehungswissenschaftlern etwa auch Publizisten und Verkehrsplaner, geben Einblick in die Praxis von Wirtschafts- oder Technologieunternehmen, Politik und Gesellschaft. Im dritten Semester spezialisieren sich die Studierenden dann auf ein Gebiet und absolvieren ein zehnwöchiges Praktikum. Dort, wo Zukunftsforschung gefragt ist. Bei Parteien etwa, Forschungszentren, Wohlfahrtsverbänden oder auch in der Luft- und Raumfahrt. Christian Neuhaus wird als Diplomkaufmann im Bereich Wirtschaft lehren, und kann dann etwa erklären, wie man für einen Regionalflugzeugbauer forscht:

    "Dann könnte man sich überlegen, dass das interessant ist für große Flächenstaaten. Wofür werden sie gebraucht? Um von A nach B zu kommen. Dann müssen wir fragen: Gibt es Alternativen? Das sind Mikrobeobachtungen, aber wir müssen auch die Makroebenen anschauen, wie zum Beispiel die wirtschaftlichen Aktivitäten in einem Land wie China an den Küsten verlaufen oder auch im Binnenland."
    Was sich wie klassische Unternehmensberatung anhört, ist weit mehr. Der Zukunftsforscher hat einen Zeitrahmen ab zehn Jahren aufwärts und bezieht immer auch die Systeme Politik, Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft mit ein. Fragt das Energieversorgungsunternehmen zum Beispiel:

    "In welcher Art und Weise werden die Menschen ihre Wohnungen heizen oder kühlen? Wo werden die Menschen leben?"

    Dann hat die Politik die Rahmensetzung für die Energiemärkte im Fokus. Die Energieunternehmen hingegen möchten wissen, auf welche Kompetenzen sie bei der Ausbildung setzen sollen, und der regionale Planer fragt sich:

    "Ob der Windpark etwas ist? Ob das die Lebensqualität in unserem Ort beeinträchtigen wird? Werden unsere Kinder sich daran gewöhnen?"
    Fragen über Fragen also. Werden die Teilnehmer des neuen Masterstudiengangs Zukunftsforschung darauf auch gute Antworten entwickeln? Das wird die Zukunft zeigen.