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BND-NSA-Affäre
"Rechtsauffassung des BND ist nicht richtig"

Der Bundesnachrichtendienst (BND) meine, im Ausland dürfe er alles - diese Rechtsansicht sei allerdings nicht richtig, sagte der Strafrechtler Nikolaos Gazeas im DLF. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könne dem BND klare Grenzen aufzeigen.

Nikolaos Gazeas im Gespräch mit Sandra Schulz | 05.05.2015
    Die ehemalige große Abhörbasis der NSA in Bad Aibling in Bayern.
    Die ehemalige große Abhörbasis der NSA in Bad Aibling in Bayern. (CHRISTOF STACHE / AFP)
    Sandra Schulz: Jetzt zieht sich die Kanzlerin doch auf eine vorsichtigere Formulierung zurück. In der BND-Affäre sagte Angela Merkel gestern über das Ausspionieren befreundeter Länder, so wörtlich, dass das nicht passieren sollte. Das klingt schon anders als die offensive Formulierung aus dem Jahr 2013, die sie nicht los wird, die jetzt natürlich auch schon x-mal zitiert wurde, jetzt auch noch mal: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht." Jahrelang soll der BND der NSA beim Ausspähen auch europäischer Unternehmen geholfen haben. Jetzt wächst das Grummeln auch in der Großen Koalition weiter, denn gestern hatte Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel aus Gesprächen mit der Kanzlerin zitiert und damit, so gleich mehrere Kritiker aus der Union, Vertrauliches öffentlich gemacht. Die politische Klärung, die soll in dieser Woche im Parlamentarischen Kontrollgremium, in einer Aktuellen Stunde im Bundestag, aber auch im NSA-Untersuchungsausschuss vorangetrieben werden. Wir wollen die Ausgangslage jetzt noch mal sortieren. Am Telefon ist der Strafrechtler und Nachrichtendienstrechtler Nikolaos Gazeas von der Uni Köln, seit Ende März dienstlich in New York, und da haben wir ihn jetzt auch erreicht. Guten Morgen!
    Nikolaos Gazeas: Guten Morgen!
    Schulz: Wenn sich der Verdacht erhärtet und der BND der NSA geholfen hat beim Ausspähen auch europäischer Unternehmen, welche rechtliche Grenze oder welche rechtlichen Grenzen wären da überschritten?
    Gazeas: Wir müssen zunächst bei der derzeitigen rechtlichen Bewertung besonders vorsichtig sein, weil schlicht der Sachverhalt noch nicht feststeht. Alle Überlegungen, die wir anstellen, können wir also nur in Hypothesen tun. Vor allem auch mit der Erhebung strafrechtlicher Vorwürfe müssen wir hier besonders vorsichtig sein. Nach dem Erkenntnisstand, den ich aus den öffentlichen Medien habe, stellt sich die Rechtslage wie folgt dar: Der BND hat hier Daten überwacht, die im Ausland stattgefunden haben, also Ausland-Ausland-Kommunikation, die keinen Bezug zu Deutschland gehabt hat, und diese überwachten Gespräche oder auch E-Mail-Verkehre, Telekommunikationsverkehre sind dann anhand von Selektoren, von Schlagworten durchsucht worden. Wenn dies die Grundlage, die tatsächliche Grundlage ist, dann vertritt die Bundesregierung und auch der BND die Ansicht, dass man hier mehr oder weniger nicht an bestimmte Gesetze gebunden ist, sondern dass der BND das dann machen darf, wenn diese Maßnahmen von außen- oder sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, und das ist eine sehr, sehr weite Klausel.
    "Schon die Überwachung durch den BND ist rechtswidrig"
    Schulz: Ganz knapp gefragt: Der BND meint, im Ausland dürfe er alles?
    Gazeas: So kann man das pauschal auf den Punkt bringen. Diese Rechtsansicht ist allerdings nicht richtig. Das vertrete nicht nur ich, sondern weitaus prominenter auch unter anderem zwei ehemalige Verfassungsrichter, Professor Papier und Professor Hoffmann-Riem, neben Herrn Professor Becker. Die drei sind im NSA-Untersuchungsausschuss zu genau dieser Frage auch angehört worden und haben völlig zurecht unterstrichen, dass die Bindung an die Grundrechte auch in unserer Verfassung für den BND nicht an der deutschen Grenze endet und dass sie natürlich an unsere Verfassung auch gebunden sind, wenn sie Ausländer im Ausland überwachen. Legt man diese zutreffende Rechtsauffassung zugrunde, ist, wenn Sie so wollen, schon die Überwachung durch den BND rechtswidrig, erst recht dann die Weitergabe dieser Erkenntnisse an die NSA oder auch an jeden anderen Nachrichtendienst.
    Schulz: Aber die Rechtsaufsicht über den BND, die liegt ja nun mal im Kanzleramt, und da scheint die Rechtsansicht eine andere zu sein, denn das Kanzleramt hat, soweit bekannt, dagegen bisher nichts unternommen. Was jetzt?
    Gazeas: Genau so ist es. Diese Rechtsansicht, dass man, wenn Sie so wollen und pauschal gesagt, im Ausland fast alles darf und nicht an Gesetze im engeren Sinne gebunden ist, vertritt auch die Bundesregierung, und die Tatsache ist, meine ich, auch darauf zurückzuführen, dass wir hier vor allem keine gerichtliche Entscheidung haben. Es gibt keine Entscheidung, vor allem keine des Bundesverfassungsgerichts, die hier klar die Grenzen aufzeigt. Eine solche wäre aber möglicherweise durch diesen aktuellen Fall hier nun herbeizuführen, indem irgendein Betroffener, sei es jemand bei Airbus oder EADS, nun Verfassungsbeschwerde einlegt gegen diese Maßnahme und dann - das würde alles sicherlich eine Weile dauern - aber irgendwann wir auch diese Frage höchstrichterlich auch geklärt haben.
    Schulz: Aber wie würde so eine Verhandlung in Karlsruhe dann aussehen? Da laufen die Verhandlungen ja normalerweise öffentlich. Würden dann alle vertraulichen Akten der Geheimdienste in dieser Sache, in dieser Affäre öffentlich werden?
    Gazeas: Nein. Bei einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht würde ich das nicht erwarten. Man würde da ja letztlich um Rechtsfragen streiten und nicht um einen konkreten Sachverhalt. Es würde schlicht, wenn Sie so wollen, um die Frage gehen, ist der Bundesnachrichtendienst an die Vorgaben unserer Verfassung, also hier vor allem an das Fernmeldegeheimnis in Artikel zehn Grundgesetz gebunden, wenn er Ausländer im Ausland überwacht, oder ist er das nicht. Um diese Frage zu klären, braucht man nicht in geheime Unterlagen oder geheime Akten hineinzuschauen.
    "Wen betreffen diese Selektoren insgesamt?"
    Schulz: Und was ist jetzt mit den Selektoren, über die immer wieder gesprochen wird, gesprochen wurde, mit unterschiedlichen Mengenangaben, 40.000, 12.000, 2.000? Gibt es da auch Probleme, was Menschen in Deutschland betrifft und deren Grundrechte?
    Gazeas: Ja, das ist die eine Frage: Wen betreffen diese Selektoren insgesamt? Ich stelle hier jetzt mal die Rechtsauffassung der Bundesregierung und des BND zugrunde. Dann müssen diese Selektoren Umstände betreffen, Sachverhalte betreffen, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, und sie müssen Personen im Ausland betreffen. Wenn wir hier Selektoren haben, die zum Beispiel dazu geführt haben, dass sie oder ich im Inland überwacht werden, dann ist das ganz klar auch nach Auffassung der Bundesregierung rechtswidrig, genauso, wenn die Selektoren Umstände erfasst haben, wo man auch bei dieser sehr, sehr weiten Klausel außen- und sicherheitspolitische Bedeutung schlicht sagen muss, das ist nicht der Fall für den BND. Die Bundesrepublik Deutschland hat kein außen- oder sicherheitspolitisches Interesse an dem und dem, an der und der Information. Dann wäre das auch rechtswidrig, solche Informationen weiterzuverarbeiten und vor allem auch an die USA, an die NSA weiterzugeben.
    Schulz: Die Opposition, die erhebt auch den Vorwurf, es gebe Strafbarkeiten. Landesverrat ist ein Stichwort, das die Opposition ins Gespräch bringt. Wer hat sich wie strafbar gemacht? Was kann man nach dem Stand jetzt sagen?
    Gazeas: Das ist besonders vorsichtig zu würdigen, denn für ein strafbares Verhalten brauchen wir in diesem Zusammenhang vor allem eins, nämlich vorsätzliches Handeln. Den fahrlässigen Landesverrat gibt es genauso wenig wie das fahrlässige Ausspähen von Daten, und nach dem Erkenntnisstand, den ich aus den allgemeinen Medien habe, soll es ja wohl so gewesen sein, dass irgendwann zufällig aufgefallen ist beim BND, wie weitgehend eigentlich die Überwachung dort erfolgt. Hier würde man allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf erheben können, der seinerseits nicht strafbar ist. Deswegen würde ich mit strafrechtlichen Vorwürfen hier gerade im Moment ganz besonders vorsichtig sein.
    "Man muss die Artikel in den Zeitungen geradezu suchen"
    Schulz: Sagen Sie uns noch ganz kurz: Sie sind seit Ende März in New York. Welche Rolle spielt die Diskussion da? Ist das überhaupt ein Thema bei Ihnen?
    Gazeas: Man liest etwas darüber. In der "Washington Post" und auch in der "New York Times" ist in den letzten Tagen, seitdem die Affäre auch bei uns aufgekommen, hochgekocht ist, etwas zu lesen, allerdings weitgehend nur in Randspalten der Zeitungen. Die Thematik wird bei Weitem nicht für so brisant erachtet wie bei uns hier. Es hat ein bisschen kleine Diskussionen gegeben, als die Meldung kam, dass der Generalbundesanwalt ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet hat, weil dies unmittelbar auch die NSA und die amerikanischen Interessen hier betrifft, aber das erfolgt alles wirklich in einem sehr, sehr bescheidenen und überschaubaren Rahmen. Man muss, wenn Sie so wollen, die Artikel in den Zeitungen geradezu suchen.
    Schulz: Der Strafrechtler und Nachrichtendienstrechtler Nikolaos Gazeas von der Uni Köln heute in den "Informationen am Morgen". Wir haben ihn in New York erreicht. Danke für das Interview.
    Gazeas: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.