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Bundesparteitag in Berlin
Lindner plant das große FDP-Comeback

Mit 91 Prozent der Stimmen ist Christian Lindner klar in seinem Amt als FDP-Chef bestätigt worden. Zuvor hatte er die Delegierten auf dem Bundesparteitag in Berlin in einer kämpferischen Rede auf die Bundestagswahl im September eingeschworen. Deutschland leide unter einer "ambitionslosen Regierung."

28.04.2017
    Christian Lindner steht nach seiner Rede beim FDP-Bundesparteitag in Berlin winkend auf der Bühne.
    Christian Lindner beim FDP-Bundesparteitag in Berlin (dpa)
    Lindner selbst sprach nach der Wahl von einem "motivierenden Votum". Vor zwei Jahren hatte er allerdings noch 92,4 Prozent erhalten. Sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki bekam immerhin 92,2 Prozent.
    Der 38-Jährige Lindner will seine Partei nach vier Jahren Abstinenz zurück in den Bundestag führen. Mangelndes Selbstbewusstsein kann dem neuen und alten FDP-Chef dabei nicht vorgeworfen werden. Knapp 80 Minuten lang hatte Lindner seine Partei zuvor auf die Rückkehr in den Bundestag eingeschworen - und dabei in alle Richtungen ausgeteilt. Der Großen Koalition warf er Versagen und Untätigkeit vor. Trotz einer großen Mehrheit im Bundestag habe Schwarz-Rot nicht nur keine großen Probleme gelöst, sondern selbst neue große Probleme geschaffen, "weil sie nichts getan hat". Als große Fehler bezeichnete er "den Maut-Irrsinn" und die verschlafene Digitalisierung. Die arbeitsmarktpolitischen Pläne der SPD sind aus Lindners Sicht keine Hilfe für Arbeitslose, sondern nur schädlich für die Wirtschaft.
    Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, spricht beim FDP-Bundesparteitag in Berlin.
    Mit scharfen Attacken gegen die Bundesregierung: Christian Lindner beim FDP-Bundesparteitag in Berlin (Monika Skolimowska/dpa)
    Es gehe darum, Eigenständigkeit zu wahren, sagte der FDP-Vorsitzende. Die Chance auf ein Comeback wolle man nicht verspielen, so Lindner, "indem wir uns von wem auch immer zum nützlichen Idioten für beliebige Mehrheiten machen lassen." Die CDU stehe der FDP zwar in der Wirtschafts- und Finanzpolitik noch ein Stück näher als die SPD. In einer Zeit des Wandels sei das "Weiter so" von Kanzlerin Angela Merkel aber genauso gefährlich wie das "Zurück" von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.
    Wahlprogramm für "die geduldige Mitte"
    Das Wahlprogramm der FDP mit dem Namen "Schauen wir nicht länger zu" bezeichnete Lindner als Angebot an die "geduldige Mitte" Deutschlands. Thematisch geht es der FDP nach Lindners Worten darum, Deutschland "freier, flexibler, fairer, digitaler, moderner und weltoffener" zu machen. Die wichtigsten Punkte:
    • Bildung: Die FDP will die Ausgaben für den Bereich stark erhöhen. Bildungsstandards wollen die Liberalen bundesweit anpassen und Abschlussprüfungen vereinheitlichen. Um den Wettbewerb zwischen Bildungseinrichtungen zu stärken, sollen Eltern Bildungsgutscheine erhalten, die sie bei Schulen und Kindergärten einlösen können.
    • Digitalisierung: Geplant ist ein eigenes Digitalministerium, das unter anderem die Digitalisierung von Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft koordinieren soll. Dazu gehört für sie auch, dass Lehrer keine "digitalen Amateure" sein dürfen. Um ein flächendeckendes Glasfaser-Netz aufzubauen, sollen Staatsbeteiligungen verkauft werden
    • Steuern und Abgaben: Die Bürger sollen bei Steuern und Abgaben um 30 bis 40 Milliarden Euro entlastet werden. Ab 2019 soll der Solidaritätszuschlag komplett abgeschafft werden, und es soll Belastungsgrenzen für Steuern und Sozialabgaben geben - diese dürfen zusammen die Hälfte des Einkommens nicht überschreiten.
    • Rente und Arbeitsmarkt: Älteren soll ein flexibler Übergang in den Ruhestand ermöglicht werden. Ein politisch festgelegtes Renteneintrittsalter und Hinzuverdienstgrenzen sollen wegfallen. In der Arbeitswelt fordert die FDP unter anderem betriebsunabhängige Langzeitkonten für Arbeitszeiten.
    • Einwanderung: Deutschland soll sich dauerhafte Einwanderer selbst aussuchen können. Dazu soll unter anderem ein Punktesystem geschaffen werden. Kriegsflüchtlinge bekommen einen vorübergehenden humanitären Schutz, der auf die Dauer des Krieges begrenzt ist.
    • Sicherheit: Die Liberalen sind gegen jede anlasslose Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten, wie etwa bei der Vorratsdatenspeicherung. Polizei und Justiz sollen deutlich mehr Geld bekommen, nötig sei auch eine "Reform der Sicherheitsarchitektur", da zu viele Behörden für die Sicherheit zuständig seien. Im Kampf gegen den radikalen Islamismus setzen die Liberalen auf die Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden und einen Mix aus Repression und Prävention.
    • Ehe und Famlie: Die FDP fordert die Öffnung der Ehe für alle. Alle kindesbezogenen Leistungen des Staates sollen zu einem "Kindergeld 2.0" zusammengefasst werden.
    Christian Lindner und Wolfgang Kubicki stehen nach Lindners Rede beim FDP-Bundesparteitag auf der Bühne. Beide lachen, Kubicki applaudiert.
    Lindner und Kubicki beim FDP-Bundesparteitag in Berlin (dpa)
    Die FDP läuft sich bei ihrem dreitägigen Parteitag auch für die Landtagswahlen im Mai warm. Ein Verbleib der FDP in den Parlamenten von Schleswig-Hostein (Wahl am 7.5.) und Nordrhein-Westfalen (Wahl am 14.5.) gilt als sicher. In NRW tritt Lindner selbst als Spitzenkandidat an, will aber dann für den Bundestag kandidieren. In Schleswig-Holstein ist sein Stellvertreter Kubicki Spitzenkandidat. Auch er will im Herbst für den Bundestag kandidieren. Seit dem Scheitern von Rot-Rot im Saarland umwirbt auch die SPD die FDP als möglichen sozialliberalen Koalitionspartner.
    (rm/mw)