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"Bundeswehr muss sich zu einer reinen Freiwilligenarmee wandeln"

Birgit Homburger, verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, plädiert für eine Aussetzung der Wehrpflicht. Dabei solle der Grundsatz der Wehrpflicht zwar in der Verfassung bleiben, die Bundeswehr jedoch zu einer Armee aus Freiwilligen umgewandelt werden.

Moderation: Bettina Klein | 21.08.2007
    Bettina Klein: Für diese Legislaturperiode wird wohl alles beim alten bleiben in puncto Wehrpflicht. Darauf haben sich Union und SPD schließlich verständigt, und der Bundesverteidigungsminister hat gestern Morgen hier im Programm darauf hingewiesen. Auch darauf, dass er wie die Mehrheit in der Union völlig hinter der Wehrpflicht stehe. Doch der Koalitionspartner hat ungeachtet dessen den Stein ins Wasser geworfen, wohl wissend, dass viele in der Gesellschaft und auch in anderen Parteien die Wehrpflicht als überholt ansehen. Am Telefon ist nun Birgit Homburger, stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Mitglied im Verteidigungsausschuss und sicherheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Guten Morgen, Frau Homburger.

    Birgit Homburger: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Sie haben den Vorschlag der freiwilligen Wehrpflicht, so wie er von der SPD kam, schon als "nicht Fisch und nicht Fleisch" abqualifiziert. Bei der Wahl Abschaffung oder Beibehaltung der Wehrpflicht kann sich Ihre Partei aber offenbar auch nicht so hundertprozentig entscheiden, denn Sie wollen die Wehrpflicht aussetzen. Das wäre ja eigentlich auch eine Art weiterer Mittelweg, oder?

    Homburger: Nein, wir haben eine ganz klare Linie. Die FDP ist der Auffassung, dass wir keine Wehrgerechtigkeit mehr haben seit vielen Jahren und darüber hinaus die Bundeswehr sich zu einer Armee im Einsatz gewandelt hat. Deshalb sind wir der Auffassung, dass sie sich zu einer reinen Freiwilligenarmee wandeln muss. Das bedeutet die Aussetzung der Wehrpflicht. Das heißt, wir wollen es zwar in der Verfassung stehen lassen, das aber nicht umsetzen.

    Das bedeutet, dass sie voll ausgesetzt wird, dass auch keine Musterungstätigkeit stattfindet, dass auch nicht einfach, wie bei der SPD jetzt geplant, dann, wenn es nicht reicht, einfach junge Leute eingezogen werden können. Das alles wäre bei unserem Modell überhaupt nicht denkbar. Der einzige Vorteil an diesem Modell ist, dass für den Fall, dass es in Zukunft irgendwann einmal nötig wäre, eine solche Wehrpflicht mit einfacher Mehrheit und nicht mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit wieder eingeführt werden könnte.

    Klein: Aber weshalb nur aussetzen und nicht abschaffen?

    Homburger: Weil wir eben diese Möglichkeit geben wollen der Politik, mit einfacher Mehrheit zu handeln. Ich bin aber im Übrigen der Überzeugung, dass wir das in Zukunft nicht mehr brauchen. Wir haben längst auch uns in ein Bündnis eingefügt, die NATO ist größer geworden, wir sind umgeben von Freunden, wir haben eine ganz andere Verteidigungsstruktur zwischenzeitlich als noch vor 15, 20 Jahren. Und vor diesem Hintergrund ist es einfach notwendig, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, und das bedeutet, dass wir weg müssen von der Wehrpflicht und hin zu einer reinen freiwilligen Armee. Ich denke, dass man nur mit einer solchen Struktur auch wirklich den zukünftigen Anforderungen gerecht werden kann.

    Klein: Ein wichtiges Argument gegen eine solche Freiwilligenarmee ist der Zweifel daran, dass man genug Nachwuchs, genug Soldaten, Offiziere, was auch immer rekrutieren wird können. Insgesamt sind im Moment 60.000 Wehrpflichtige im Jahr eingezogen. Weshalb sind Sie sicher, dass genug Menschen sich tatsächlich für eine Berufsarmee begeistern, dort freiwillig eintreten und nicht nur einer Pflicht nachkommen?

    Homburger: Ich bin überzeugt davon, dass die Frage nicht an der Wehrpflicht hängt, sondern an der Frage der Attraktivität der Streitkräfte. Und hier haben wir in der Tat Handlungsbedarf, den wir auch jetzt schon erkennen. Die Bundeswehr muss in Zukunft in einem Maße attraktiv sein, dass sich leistungsstarke junge Menschen auch in ausreichender Zahl freiwillig melden. Und dazu bedarf es nach unserer Auffassung eines neuen Laufbahnrechts, dass eben Beförderungs- und auch Verwendungsstaus ausschließt, dass also auch Möglichkeiten für den Einzelnen eröffnet.

    Daneben muss es nach unserer Auffassung auch ein eigenes Besoldungsrecht geben, das zwar angelehnt wird an das Beamtenbesoldungsrecht, aber die besonderen Gefahren auch für Soldatinnen und Soldaten im Blick hat. Und diese Maßnahmen sind aus meiner Sicht notwendig, völlig unabhängig davon, ob man jetzt eine freiwillige Armee hat oder in der jetzigen Struktur ist. Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich gewandelt. Wir haben eine Bundeswehr im Einsatz, und diese Bundeswehr im Einsatz bedeutet, dass wir voll bündnisfähig sein müssen. Das heißt, wir brauchen hoch motivierte, gut ausgebildete, exzellent ausgerüstete Soldatinnen und Soldaten, die schnell einsatzfähig sind. Und das kann ich mit einer Wehrpflichtarmee schlicht und ergreifend nicht leisten.

    Klein: Ein weiteres Argument für die Wehrpflicht, Frau Homburger, ist der Zivildienst. Es würden nach jüngsten Schätzungen tausende Arbeitskräfte im sozialen Bereich fehlen, wenn diese Erfordernisse nicht mehr über den Zivildienst abgedeckt werden könnten, der ja an die Wehrpflicht gekoppelt ist. Welchen Ersatz stellen Sie sich vor?

    Homburger: Also, zunächst einmal wird eine solche Umstellung ja auch eine gewisse Zeit brauchen. Das bedeutet, Sie haben auch im Bereich des Zivildienstes die Möglichkeit, sich auf diese neue Situation einzustellen. Das zweite Argument ist, dass wir heute schon auch ein Freiwilliges Soziales Jahr haben, dass wir in den letzten Jahren erlebt haben, dass wir mehr Bewerber haben für Stellen, als es eigentlich Stellen in diesem Freiwilligen Sozialen Jahr gibt. Das heißt, ich bin überzeugt davon, dass es viele junge Menschen gibt, die auch ein Freiwilliges Soziales Jahr machen möchten und damit eben auch hier für solche Tätigkeiten zur Verfügung stehen. Und das dritte, und das ist etwas, von dem ich überzeugt bin, dass wir es dringend angehen müssen, das ist die Tatsache, dass wir im Gesetz stehen haben, dass der Zivildienst keine regulären Arbeitsplätze kaputt machen darf.

    Wenn Sie sich heute die Realität beispielsweise in Behinderteneinrichtungen oder auch in anderen Einrichtungen anschauen, dann haben wir vielfach Zivildienstleistende eingesetzt, die teilweise eine berufliche Qualifikation in einem Handwerksberuf haben, die nichts anderes bringen als Konkurrenz für einen regulären Arbeitsplatz. Und hier bin ich überzeugt davon, dass wir das auch aussortieren müssen. Und wenn wir das konsequent tun, dann werden wir keinerlei Probleme in diesem Bereich bekommen.

    Klein: Das Prinzip Wehrpflicht hat die Armee stark in der Gesellschaft verankert. Das Prinzip des Bürgers in Uniform hat nicht zuletzt zu einer positiven Tradition der Bundeswehr beigetragen, wichtig auch mit Blick auch auf die Geschichte Deutschlands, denke ich. Können wir darauf verzichten?

    Homburger: Die Bundeswehr ist eine demokratische Armee. Sie ist eine Armee, die voll in der Gesellschaft integriert ist. Und wenn Sie sich die heutige Realität in der Bundeswehr anschauen, dann haben dort nicht die Wehrpflichtigen das Sagen, sondern dort haben Berufs- und Zeitsoldaten das Sagen – Berufs- und Zeitsoldaten, die mehr als nur die Wehrpflicht ableisten, die aber Staatsbürger in Uniform sind, voll in unsere Gesellschaft integriert sind. Ich glaube, dass dieses Argument auch für die Zukunft kein Argument ist, weshalb wir die Wehrpflicht nicht aussetzen könnten.

    Klein: Birgit Homburger war das, stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, sicherheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Danke Ihnen für das Gespräch, Frau Homburger.

    Homburger: Bitte sehr.