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Comic "Hexe total"
Depression, Drogen, Dauerrausch

Eine Hexe, eine Katze, eine sprechende Eule - klassischer Stoff für ein Kinderbuch, wäre da nicht die Sache mit dem Kiffen. In Simon Hanselmanns Kultcomics "Hexe total" dreht sich alles um Sex und Drogentrips in einer versifften WG. Gerade ist der zweite Sammelband auf Deutsch erschienen.

Von Kai Löffler | 24.06.2015
    Simon Hanselmann
    Der tasmanische Comicautor Simon Hanselmann mit dem ersten Band seiner Hexengeschichten (Deutschlandradio Kultur)
    "Ende der 80er habe ich wirklich mir einer sprechenden Rieseneule und einer rauchenden Katze zusammengewohnt; kaum jemand weiß das."
    Simon Hanselmann ist auf den ersten Blick schwer von der Hauptfigur seiner Comics zu unterscheiden. Der tasmanische Autor ist Anfang 30 und obwohl sein Gesicht - anders, als das der Hexe Megg - nicht grün ist, hat er Sommersprossen und trägt gerne Frauenkleider und rote Langhaarperücken. Und die Ähnlichkeiten hören bei den Äußerlichkeiten nicht auf.
    "Der Charakter ist mir wohl am ähnlichsten, mit Familiengeschichte, Depression und Drogen."
    "Ich habe oft Hexen gezeichnet"
    Sex und Drogentrips in einer versifften WG stehen im Mittelpunkt von "Hexe total". Meggs Mitbewohner und Freunde sind "Eule", die Katze Mogg und der Soziopath Werewolf Jones. Hanselmann zeichnet sie im bewusst dilettantischen Stil eines Indie-Comics, getaucht in verwaschene Farben und viel Grau. Warum seine selbstzerstörerischen Figuren im Dauerrausch ausgerechnet sprechende Tiere und eine Hexe sind?
    "Reiner Zufall. Ich habe oft Hexen gezeichnet, und habe sie einfach Megg und Mogg genannt, wie in den Kinderbüchern."
    Hanselmanns eigene Kindheit war nicht immer einfach. Sein kleinkrimineller Freundeskreis hat sie ebenso geprägt wie seine schwer drogensüchtige Mutter, die ihn oft vernachlässigt hat. Gerettet hat ihn damals sein Hobby:
    "Ohne Comics wäre ich ... Viele Freunde in Tasmanien sind im Gefängnis für Einbruch, Drogen oder Mord. Ich habe mich dagegen immer auf die Comics konzentriert. Die ersten habe ich mit acht veröffentlicht; Comics kann man gut alleine zeichnen und sich darin verlieren. Ich habe mich einfach in Comics verliebt, habe nie aufgehört, welche zu machen, und werde es auch nie."
    "Ich muss manchmal weinen"
    Die Geschichten, in denen sie sich etwa Megg und Mogg im Kindertheater als Pädophile ausgeben oder Werewolf Jones seine Genitalien mit einer Käsereibe bearbeitet, sind deutlich mehr als autobiografisch gefärbte, existenzialistische Eskapaden jenseits aller Geschmacksgrenzen - "Hexe total" ist für Hanselmann auch Vergangenheitsbewältigung.
    "Das ist oft nicht leicht zu schreiben oder zu lesen. Aber es ist gut sich von meinem Leben zu distanzieren und die Ereignisse neu zu betrachten. So werden sie weniger real."
    "Ich muss manchmal weinen, wenn die Manuskripte mich an die schwierige Zeit erinnern. Aber so muss das sein, ich will nichts Glückliches schreiben, ich mag finstere, furchtbare Geschichten."
    Angefangen hat "Hexe total" auf der Internetplattform Tumblr, bevor das beliebte US-Magazin "Vice" die Serie aufgegriffen hat. Hanselmann freut sich über die wachsende Leserschaft, ab und zu wundert er sich aber auch über Fanpost:
    "Wenn Mädchen mir schreiben, dass sie sich in Werewolf Jones verliebt haben und gerne mit ihm ausgehen würden. Er ist ein so übler Charakter, warum würde irgendwer mit ihm ausgehen wollen? Das ist so wie wenn Frauen Serienmördern im Gefängnis schreiben. Sehr seltsam."
    "Gute Kunst muss ehrlich und offen sein"
    Auch Werewolf Jones hat reale Vorbilder in Hanselmanns Leben. Realität und Fantasie verschwimmen in der gleichzeitig abstoßenden und absurd komischen Welt von "Hexe total". Gerade aus diesem Grund sind die grellen Kiffer-Geschichten faszinierend und manchmal sogar überraschend bewegend. Für Hanselmann, der sich selbst im Comic als Frau darstellt, ist er nicht zuletzt auch Therapie.
    "Für mich war es sehr befreiend, das Gender-Thema direkt ansprechen zu können. Ich finde, gute Kunst muss ehrlich und offen sein und man muss sich der Öffentlichkeit stellen."