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Corso Spezial
Gute Aussichten? - Gute Aussichten!

Erst die Ausbildung und dann. Ja was dann? Beginn des Berufslebens, der Karriere, eines steilen Aufstiegs? Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland den Wettbewerb "gute aussichten", der jungen Fotografen diesen Start in ihr Berufsleben erleichtern will.

Von Veronika Bock | 18.04.2014
    Eine Besucherin betrachtet die Ausstellung "Gute Aussichten - Junge Fotografie 2013/2014" im Haus der Photographie in Hamburg.
    Eine Besucherin betrachtet die Ausstellung "Gute Aussichten - Junge Fotografie 2013/2014" im Haus der Photographie in Hamburg. (picture alliance / dpa / Georg Wendt)
    Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland den Wettbewerb "gute aussichten", der jungen Fotografen diesen Start in ihr sehr spezielles Berufsleben erleichtern will, mit einer ganz besonderen "Anschubfinanzierung", die den etablierten Kunstbetrieb auf den Kopf stellt: Eine hochkarätige Jury sucht die Preisträger aus, die dann ein Jahr lang in Gruppenausstellungen ihre Werke zeigen und zwar nicht irgendwo in kleinen Offspaces, sondern in großen Häusern und international. Groß denken, klein anfangen. Den Kunstbetrieb, und alles was dazu gehört, kennenlernen.
    Neun Preisträger gibt es in diesem Jahr, die nicht nur sich selber darstellen, sondern auch zeigen, wohin sich die junge deutsche Fotografie bewegt. Inhaltlich, ästhetisch, formal, medial. Da ertrinkt eine Espressomaschine in ihrem eigenen Kaffee, da verschwinden Landschaften aus dem Bild, da begegnen wir Menschen, denen wir sonst aus dem Weg gehen, oder die es so gar nicht gibt. Inszeniert, dokumentiert, collagiert, erfunden, all das ist Fotografie. Und all das sind "gute aussichten"!

    Das "Corso Spezial" in voller Länge:
    "Studium vorbei und dann muss jeder gucken, wie er irgendwo zurande kommt."
    "Naja, wenn man sich für die Kunst entscheidet, dann entscheidet man sich für einen Weg, der, ähm, muss ich kurz überlegen."
    "Das Schönste wäre für Künstler ohne materielle Realitäten arbeiten zu müssen, aber die gibt es nun mal."
    "Ich mag's immer auch bei Kunst, wenn die ein Risiko eingeht, dass Leute die auch total Scheiße finden und dafür dann andere Leute, die total gut finden."
    "Was man wirklich machen muss, ist seinen eigenen Weg verfolgen, seine eigenen Ideen umsetzen, und wenn dann hinterher so was dabei rauskommt, dann ist das großartig und eine große Belohnung und eine Wertschätzung dessen, was man investiert hat."
    So was. So was wie die "Guten Aussichten". Junge deutsche Fotografie. Ein Wettbewerb, der jetzt ins 10. Jahr geht.
    "Groß denken, klein anfangen. Wir haben von Anfang an die Idee gehabt, das System auf den Kopf zu stellen. Also namhafte Leute in die Jury zu holen, um damit gleich ein Signal zu setzen, worum es bei uns geht, erstens und zweitens eben nicht in kleine Offspaces, Kunstvereine oder sonst irgendwie Ausstellungen zu machen, sondern in erster Linie in großen Häusern."
    Die Deichtorhallen in Hamburg. Das ist ein großes Haus.
    "Das war sehr aufregend von so einer kleinen Abschlussausstellung von meiner Schule, was meine erste Ausstellung jemals war, direkt in die Deichtorhallen, das war natürlich schon ein ziemlicher Sprung."
    Rebecca Sampson:
    "Ich bin ehemalige 'gute aussichten' Preisträgerin und habe Fotografie studiert in Berlin an der Ost-Kreuz Schule und habe meinen Abschluss gemacht mit einer Arbeit zum Thema Essstörung, die dann im Kontext von 'gute aussichten' ausgestellt wurde."
    Aufbau in den Deichtorhallen in Hamburg
    Vor drei Jahren war das. "Süddeutsche", "Spiegel", "taz". Etliche Zeitungen schrieben über sie. Artikel, die alle noch auf ihrer Homepage zu finden sind, genauso wie die Ausstellungen, die dann folgten. Berlin, Neustadt, Tübingen, Wien. Aber keine war so aufregend und so groß wie diese Erste hier. Der tagelange Aufbau, die Pressekonferenzen, die Eröffnung. Für sie: Erinnerungen. Für Alwin, Anna, Birte, Christina, Daniel, Lioba, Marian, Nadja und Stephanie Erfahrungen, die sie gerade erst durchmachen. Sie sind die neun aktuellen Preisträger, haben letztes Jahr ihr Studium abgeschlossen, sind zwischen 29 und 37 Jahre alt und mitten im Aufbau. In zwei Tagen ist Eröffnung.
    "Aber, Entschuldigung, können wir vielleicht das einmal hochhängen, um die Höhe für die anderen beiden Rahmen zu bestimmen? Genau. Also von der Reihenfolge her, das wär schön."
    Die eigene Kunst zur Geltung bringen. Die zarte Anna wirkt fast ein bisschen verloren in diesen großen weiten Deichtorhallen, sie ist angespannt, scheint nervös und ein wenig unsicher, will alles ganz genau haben. Nur nicht schludern auf den letzten Metern.
    Man darf nicht auf den letzten Metern und genauso wie vorher und ich glaub, in der Arbeit steckt einfach alles drin von vorne bis hinten und dann verzichte ich auch gerne auf die Mittagspause, klar wär das schön, aber die Bilder sind einfach wichtiger.
    Alles. Das ist jahrelange Arbeit von der Idee bis zur Umsetzung und jetzt muss alles perfekt werden. Sie wird ihre Bilder immer wieder aus dem Rahmen nehmen und putzen. Kein Stäubchen, kein Haar, soll den Anblick schmälern. Nichts darf jetzt mehr schiefgehen.
    "Also wer gestresst ist, wenn der Kopf brummt, dann passiert überhaupt nichts mehr."
    Marian ist da ein ganz anderer Charakter. Groß, raumgreifend, lässig. Bis kurz vor der Eröffnung wird er zusammen mit seinem Freund Jörg seine Installation aufbauen, sie immer wieder verändern, mal gewollt, mal wegen der Gegebenheiten. Die Presse wird ihn als den Kunstanarchisten wahrnehmen, doch das heißt nicht, dass er seine Arbeit nicht ernst nimmt.
    "Was auch immer ernst heißt, das heißt natürlich auch im richtigen Moment locker zu sein und entspannt zu sein und die Dinge auf mich zukommen zu lassen und einen klaren Kopf zu bewahren und gucken, was muss ich machen, wie kann ich noch spontan agieren, wie kann ich noch mal, wie diese Linie, ich brauch was, da fehlt was und ich will dann spontan handeln und mich vielleicht auch einer Gefahr aussetzen, fuck die Linie ist versaut, jetzt hab ich aber die Scheiße an der Wand und geht nicht mehr weg."
    Shit happens, und die eigentliche Frage ist, wie man dann damit umgeht. Ausflippen, cool bleiben? Stephanie hat Flecken auf einem ihrer Bilder entdeckt. Gestern schon, da hab ich geschrien, sagt sie, jetzt kann sie schon wieder sprechen.
    "Man muss einfach halt ganz genau gucken, abnehmen, alles sich anschauen, möglichst auch das alles versichert ist, dass es trotzdem oft noch Schäden gibt, oder irgendwas passiert, dass man die Sachen neu produzieren muss usw. und das sind natürlich enorme Kosten, die auf einen zukommen und das ist auch ne Lernerfahrung zu sehen, okay als Fotograf als Künstler muss man immer zumindest am Anfang investieren, um überhaupt seine Arbeiten zeigen zu können. Und das find ich sehr schwer."
    Der Aufbau strengt an. Jeden. Weil alles passen muss und wenn alles passt, weil man dann warten muss. Und Zeit bleibt, sich zu fragen, ob auch alles passt oder ob man nicht doch noch hier und da etwas ändern sollte. Lioba ist angeschlagen, letzte Woche war sie noch richtig krank, sie kämpft mit ihrer Müdigkeit. Birte scheint ruhig und bebt doch innerlich. Daniel leise, unauffällig, zurückgenommen. Große Auftritte liegen ihm nicht. Seine Arbeit trägt den Titel "Saubere Arbeit".
    "Saubere Arbeit ist wichtig, ja. Aber saubere Arbeit ist auch kein Garant für Perfektion. Manchmal muss man eben mit einem Härchen oder einem Staubkorn leben, geht nicht anders."
    Jury-Sitzung
    "So, sie hat also immer wieder Menschen zu sich eingeladen, hat sie in einem bestimmten Winkel ihres Zimmers nackt fotografiert. Diese Fotos hat sie ausgedruckt und hat sie einfach in ihrem Zimmer aufgehängt und hat sie irgendwie hängen lassen. So ..."
    Ende August 2013 in Hamburg. Coffee Plaza. 12. Stock. Ein gediegener Konferenzraum mit großartiger Aussicht auf den Hafen. Es ist sonnig und heiß. Seit 9 Uhr morgens sitzen hier sieben Experten für Fotografie, und vor ihnen und auf einem Monitor und auf einer Leinwand: 100 Abschlussarbeiten aus 30 Hochschulen. Bild folgt auf Bild, Erklärung auf Erklärung.
    "Ist für mich schwierig."
    Hans Christian Schink, deutscher Fotograf, mehrfach ausgezeichnet, häufig ausgestellt, und jetzt zum ersten Mal in der Rolle eines Juroren.
    "Was ist Kunst? Es gibt noch keine gültige Antwort darauf. Also man spürt das."
    Luminita Sabau, Gründungsdirektorin der DZ-Bank Kunstsammlung, und jetzt freie Kuratorin.
    "Ich erwarte nicht, dass die Fotografie neu erfunden wird."
    Ingo Taubhorn, Kurator am Haus der Fotografie, Deichtorhallen.
    "Ich kann eine Sitzung gar nicht alleine betrachten, weil ich jetzt das 10. Mal dabei bin und die sind jedes Mal anders, das ist das Tolle. "
    Mario Lombardo, Art Director. Ihn begeistert, die junge, die frische Kunst. Er könnte sich auch 200 Arbeiten anschauen.
    "Oh, das ist immer so ein bisschen die Frage, wie kommt man zu einer Idee."
    Josefine Raab, Kunstwissenschaftlerin, sie sitzt der Jury vor. Und ist, wenn man so will, die Mutter des Wettbewerbs. Zuvor war sie im Kunstverein in Wiesbaden.
    "Und das heißt, wir haben Ausstellungen gemacht, die teilweise nur von 4-500 Leuten besucht wurden. Also eher ein etwas armes Ergebnis, wenn man überlegt, wie viel Arbeit ja letztendlich in jeder Ausstellung steckt. Und die Idee zu 'gute aussichten' ist letztendlich gewachsen so wie jede andere Idee auch irgendwie wächst, man redet darüber, was kann man eigentlich tun, damit junge Künstler irgendwie ein großes Forum bekommen, damit sie bekannter werden, was gibt es draußen, was ist irgendwie unterwegs an Instrumenten oder an Tools. Einen Wettbewerb zu erfinden war ja jetzt nicht irgendwie das Ei neu zu erfinden oder so, sondern die gab es ja schon."
    "Wenn jetzt hier jemand sitzen würde, der vor 30 Jahren angefangen hat zu fotografieren, oder vor 40 oder 50 Jahren, der würde sagen, das haben wir damals alles schon gemacht."
    Kein Geld, aber eine Ausstellung
    Stipendien, Preisgelder, mal eine neue Kamera, eine kleine Ausstellung im Rahmen des Wettbewerbs. So sehen die Möglichkeiten für junge Künstler aus. Sich langsam ran tasten, Schritt für Schritt, Ausstellung um Ausstellung, Jahr für Jahr. "gute aussichten" bietet dagegen kein Geld, sondern gleich zu Anfang den großen Auftritt vor großem Publikum. Gefeatured von großen Namen. In der ersten Jury 2003 saß Andreas Gursky.
    "Ich hab Andreas Gursky angerufen, hab ihm die Idee erzählt und hab ihn einfach gefragt, ob er Lust hat, mitzumachen. Und er hatte relativ schnell ja gesagt. Er war nicht in der Lehre zu dem Zeitpunkt und er hat das irgendwie so als seinen Beitrag zur Jugendförderung sozusagen verstanden und er hat einfach zugesagt, dass er mitmacht. Und das war natürlich also wirklich von 0 auf 100."
    "Da ist wirklich eine unglaubliche, sensible, auf den Punkt auch was die Farben angeht, gebrachte Fotografie."
    Gerade begutachtet die aktuelle Jury eine Fotoserie, die den Alltag in einer heruntergekommenen Plattenbausiedlung beschreibt. Ein verlorener Ort für verlorene Menschen. Eine junge Frau steht vor dem Waschbecken im Badezimmer. Sie schaut ins Leere, sie raucht, sie scheint zu warten, worauf?
    "Also das bleibt jetzt erst mal drin."
    Unterschiedlichste Arbeiten von Nachwuchsfotografen
    Landschaften, Porträts, fiktive Objekte. Dokumentationen, Inszenierungen. Installationen, Fotomontagen, Digitalprints mit Sound, Videos, Fotobücher - die junge deutsche Fotografie ist vielfältig im Ausdruck und in der Themenwahl. Nach gut vier Stunden ist der erste Durchlauf beendet.
    "Es gibt Sachen, die man immer wieder sieht, die sich wiederholen, das heißt aber nicht, dass ich enttäuscht war, zumal das Abschlussarbeiten sind, Diplomarbeiten von ganz jungen Künstlern, man kann auch nicht erwarten, dass sie die Spitzenleistungen jetzt mit der ersten Arbeit vorlegen. Ich war nicht enttäuscht zum Teil sind es gute Handwerker, zum Teil gute Augen, aber selten kommt das zusammen.
    Aber selten heißt nicht nie. Manches wird schnell abgehackt: Ansatz gut, aber Ausführung arm. Wenn schon Kitsch, dann aber richtig, oder Bilder ohne Bilder. Durchaus bissig bisweilen die Kommentare, aber anderes wird dafür leidenschaftlich verteidigt. Am stillsten in der Runde ist der Fotograf Hans Christian Schink:
    "Ich glaube, dass das große Dilemma aus meiner Sicht ist, dass die Studenten, die ihre Einreichungen gemacht haben, eigentlich dem Bild kaum noch vertrauen, das heißt dass sehr häufig einfach theoretische Konstrukte aufgebaut werden, in die dann hinein fotografiert wird, wodurch eben auch sehr häufig eine Beliebigkeit entsteht."
    Er tut sich am Schwersten, stellt hohe Anforderungen, wohl auch, weil er sie an sich selber stellt.
    "Ich muss selbstkritisch gestehen, dass meine Abschlussarbeit auch nicht gelungen war, nur die Frage, ob ich Sie dann eingereicht hätte, ist eine andere."
    Doch es sind nicht die Studenten, es sind die Professoren, die die Abschlussarbeiten einreichen, und somit auswählen, wer überhaupt teilnehmen darf.
    "Es ist natürlich auch ein Spiegel dessen, was gerade an den Hochschulen passiert, sowohl in positiver aber natürlich auch in negativer Sicht. Und man beobachtet ganz stark, dass bestimmte Tendenzen, die dann vielleicht auch bestimmte etablierte Künstler halt einfach vorgeben, dass das dann einfach in eins zu eins auch auf die eigene Herangehensweise übertragen wird. Es fehlt manchmal dann auch wirklich die Haltung."
    Und somit das, was einen Künstler, erst zum Künstler macht. Ein paar gute Bilder, sagt Ingo Taubhorn, der Kurator der Deichtorhallen, kann jeder machen, aber ein Thema konsequent bearbeiten und es ebenso konsequent umzusetzen, es für eine Ausstellung zu konzipieren, das erwartet er, das will er selber sehen und dem Publikum zeigen. Lange wird an diesem Tag noch diskutiert und gerungen. Aber irgendwann muss es einfach entschieden sein. Und dann greift Josefine Raab zum Telefon.
    "Ich mach dann immer die Lottofee."
    "Ich habe diesen Anruf von der Josefine bekommen, als ich gerade mitten in einer Landschaft war."
    "Und das ist auch schon ganz lustig, wie die halt unterschiedlich regieren."
    "Ich hab gejubelt."
    "Und bei dem Jahrgang war es wirklich so, die waren in alle Winde zerstreut."
    "Und dann saß ich im Propellerflug auf den Weg nach den Lofoten, eine Insel in Nordnorwegen, dann war es ein bisschen komisch."
    "Und die haben sich wahnsinnig gefreut also die haben sich alle gefreut, auch die Jungs. Die sind dann so eher so verhalten."
    "Das macht sich wahrscheinlich gut im Lebenslauf."
    "Die versuchen dann so cool zu bleiben, oder realisieren es wahrscheinlich im ersten Moment gar nicht so."
    "Ich war ein bisschen irritiert, weil ich war auch sehr müde, und wusste überhaupt nicht, ich hab mich wahnsinnig gefreut natürlich, ich bin dann immer verhalten und danach kommen dann die Jubelschreie, so wenn man mit sich ist."
    "Ist dann natürlich ein sehr emotionaler Moment, also für sie und für mich dann auch. So ein bisschen die Glucke und ihre Küken."
    Pressekonferenz in den Deichtorhallen
    "Wie beschreibst Du deine Arbeit, siehst du dich als Künstler, ist die Fotografie, die du machst, ist das Kunst, und man fühlt sich da immer, man muss sich immer verteidigen, immer erklären, und das find ich sehr schwierig."
    "Im Moment bin ich total entspannt. Das ändert sich jedes Mal wenn ich mit der Presse reden muss."
    "Sich selber zu verkaufen, irgendwo hinzugehen, seine Arbeit zu präsentieren, das sind schon Dinge, die muss man erst mal erlernen, Schritt für Schritt. Da bin ich nach wie vor kein Meister drin, ich drücke mich ganz gerne und wenn jemand auf mich zukommt, freut mich das. Verkaufen, das ist halt nicht so jedermanns Dinge, gerade in der Fotografie, da wartet man doch öfter mal, da hab ich immer noch einiges vor mir an Weg."
    Pressekonferenz in den Deichtorhallen. Gut besucht. Zeitungen, Fernsehen, Radiostationen. Fast alles hängt an seinem Platz. Nur Marian ist nach wie vor mit seinem Aufbau beschäftigt. Alle haben sich schick gemacht, Nadja trägt ein rotes Kleid, Anna eine bunte Bluse, Marian eine grell gelbe Jacke. Sie geben erste Interviews.
    Frage, Antwort, Frage, Antwort. Wie war's fragt der Freund, nicht gut sagt Marian:
    "Das sind dann ja auch irgendwelche Sonderbedingungen und ich sitz nicht mit jemandem am Tisch und kann Schwätzchen halten. Sondern Frage Antwort, Frage Antwort, wie viel Zeit hab ich eigentlich? Es ist etwas, was mich eigentlich nervt, man würd sagen, ja um professionell zu sein hat man das ja auch irgendwann drauf, sich gut zu unterhalten und hat eine hohe Kultur des Redens. Das ist bestimmt nicht mein Hauptziel im Leben. Ich weiß nicht, ist okay."
    Ein einziger Satz von ihm, wird in dem Beitrag drin sein. Aber immerhin er wurde befragt, erscheint in Bild und Ton.
    Worte für Bilder und Konzepte finden. Neugierig machen, interessieren. Nach der Presse muss noch der Freundeskreis der Deichtorhallen, der zu 90 Prozent aus Menschen die auch fotografieren besteht, durch die Ausstellung geführt werden. Nadja ist die Ruhe selbst, Anna spricht leise, Birte stockt ein wenig, Stephanie ist sehr konzentriert, Christina ist nur glücklich, Lioba, immer noch angeschlagen, nimmt all ihre Kräfte zusammen, der stille Daniel überwindet seine Scheu und Marian?
    "Ich glaube, ich bin ganz gut weggekommen, oder? Es hat eigentlich Spaß gemacht."
    "gute aussichten gewonnen zu haben, das heißt, zunächst eben auch ziemlich viel Arbeit."
    Josefine Raab weiß ganz genau, was sie den Gewinnern antut:
    "Sie müssen in Vorlage treten, sie müssen produzieren, sie müssen irgendwie Listen schreiben. Sie müssen all diese ganzen praktischen Dinge irgendwie machen. Das ist für mich die Idee einer Nachhaltigkeit, so en passant, Dinge zu vermitteln, die in der Hochschule einfach nicht vermittelt werden oder immer noch ein bisschen zu kurz kommen, praktische Erfahrungen zu sammeln, Zugang zu bekommen zu unterschiedlichen Netzwerken, Leute kennenzulernen, mit Kuratoren in Kontakt zu treten, also einfach so diese ganz praktischen Dinge, die ihnen im Verlauf ihres weiteren Werdegangs eben einfach sehr nützlich sein werden."
    Erstes Treffen der Preisträger im September 2013
    Neustadt an der Weinstraße. September 2013. Eine Villa auf einem Hügel. Hier treffen sich die neun Preisträger zum ersten Mal. Für ein Wochenende sind sie angereist, lernen sich kennen, stellen ihre Arbeiten vor.
    "Das ist jedes Jahr ein wahnsinnspannender Moment. Also das find ich immer extrem spannend dann einfach zu gucken, wer sich hinter welchen Arbeiten verbirgt, ja, wie die Charaktere sind, was da für Menschen kommen, wie komplex die eben auch sind, ja und sicher dann aber auch in gewisser Weise dann irgendwo in ihren Arbeiten spiegeln, das ist ein extrem spannender Prozess."
    Gerade stellt Alwin Lay den anderen Gewinnern seine "modern Classic" vor:
    "Als junger Künstler macht es immer wieder Spaß, auf andere junge Künstler zu treffen, da ist man neugierig. Insiderinformationen, wie wirklich die Vibes sind in einer anderen Schule oder in einer anderen Szene, die kriegt man ja nur mit, wenn man Freunde da hat, oder wenn man mal ein Wochenende so mit anderen verbringt, saugt man dann so auf und nimmt das mit."
    Kennenlernen, sich austauschen, aber vor allem arbeiten. Stefan Becht, der zusammen mit Josefine Raab die "Guten Aussichten" leitet, gibt das Tempo und die Themen vor: Für die unterschiedlichen Ausstellungsorte müssen Pakete zusammengestellt, Kisten gebaut und Abzüge gemacht werden. Die Informationen für den Katalog müssen stimmen und auch Preis- und Verkaufslisten sind zu erstellen.
    "Also es ist einfach viel Organisation, was dort erforderlich ist, und das kann natürlich nicht komplett vom Wettbewerb getragen werden, und da müssen die Preisträger auch viel Energie selber investieren."
    Rebecca Sampson, die Preisträgerin von 2010. Sie ist hier als Hilfskraft, als Ansprechpartnerin für Unsicherheiten aller Art:
    "Ich hätte auch gerne jemanden gehabt, den ich 'Hey, pst, pst, wie geht das denn?' Hätte fragen können, denn manchmal traut man sich das ja nicht und denkt, oh Gott, alle wissen das nur ich nicht, aber letztendlich darf man ja nicht vergessen, man kommt halt direkt von der Universität und da gibt es natürlich viele Dinge, die man noch nicht weiß."
    All die Dinge neben der Kunst, ohne die die Kunst nicht Kunst sein kann, jedenfalls nicht auf Dauer und nicht als Broterwerb.
    "Für mich war das Kunststudium eher Zeit haben sich mit seinem Kram zu beschäftigen, darüber zu reden, aber ich habe da jetzt keine marktwirtschaftlichen Strategien gelernt, überhaupt nicht."
    "Gelernt hat man nicht, wie man als Künstler oder Künstlerin Finanzierungen aufstellt, wie man sich verkauft, wie man selbstbewusst an Galeristen und Galeristinnen herantritt."
    "Zum Beispiel das Aushandeln, wenn jetzt Magazine kommen, und sich für diese Arbeit interessieren, diese ganze Verhandlung und wie setzt man sich durch, dass man dann auch ein gerechtes Honorar bekommt für die Veröffentlichung usw."
    "Ich muss auch leben und ich muss meine Miete bezahlen und natürlich frag ich mich wie jeder Mensch, verdammte Scheiße, wie kann ich überhaupt überleben und. Aber ich hab einfach Lust zu leben so. Punkt."
    Museumspolitik und die Chance für junge Künstler
    Zurück in den Deichtorhallen. Letzte Worte und Erklärungen vor der Eröffnung. Bei Christina ist von Anspannung nichts mehr zu spüren, sie ist die Ruhe selbst, während ihre Augen funkeln. Sie sprüht vor Energie, es scheint als würde sie endlich aufblühen.
    "Ich erhoffe mir natürlich sehr viel: Ein Bekanntheitsgrad, eine Professionalisierung, dass meine Kunst ein breiteres Publikum bekommt, das vor allem, dass man seine Kunst noch mehr Menschen zeigen kann."
    "Was das Besondere auch an diesem Projekt ist, ist, dass wir die Arbeiten in einer Weise zeigen, so wie wir berühmte Leute oder berühmte Fotografen oder etablierte Fotografen zeigen."
    Ingo Taubhorn, Jurymitglied, Hausherr in den Deichtorhallen und auch selber Fotograf:
    "Da muss man an sich eigentlich so ein bisschen einfach in die 80er-Jahre zurücktreten in der Zeit, als ich auch studiert habe. Wenn da sich ein Museum für junge, noch nicht etablierte aber ganz frische Fotografie geöffnet hat, dann war das meistens in irgend einem Projektraum, es war dann irgendwie auf den Verkehrswegen innerhalb des Museums oder in der Nähe der Toilette oder in der Mensa, aber niemals sagen wir mal, in einem wirklich, in dem üblichen Schauroom."
    Anerkennung, Respekt. Für junge Künstler keine Selbstverständlichkeit. Die Deichtorhallen gehörten von Anfang an zu den "Guten Aussichten" weil Ingo Taubhorn die Idee begeisterte, und weil zu der Zeit auch darüber diskutiert wurde, wie man Museen neu denkt, wie man mit immer weniger Geld noch arbeiten kann und wie man junges Publikum in die Museen lockt. Das war mutig, sagt Josefine Raab:
    "Es ist sicherlich das Risiko gewesen, dass uns dann später von etablierten Kunstkritikern auch immer wieder mal um die Ohren geworfen wurde, was haben eigentlich solche Greenhorns irgendwie in großen, namhaften Museen zu suchen, wo manch ein etablierter Künstler noch nicht mal am Ende seiner Karriere ausstellt. Es ist durchaus immer wieder auch ein Punkt gewesen, der diskutiert wurde. Ja, machen wir das, können wir das machen, wie vertreten wir das dem Publikum gegenüber, wie vertreten wir das unseren anderen Künstlern gegenüber, wie vertreten wir das den vielen Absagen gegenüber, die wir machen müssen, einfach weil wir ja nur eine begrenzte Programmkapazität haben. Also das heißt: Es ist ja auch immer ein Stück Politik für die Häuser."
    Museumspolitik. Nicht die üblichen Verdächtigen zeigen, die großen Namen, die Block-Buster, sondern das junge, das frische, das auch gerade in der Fotografie den bekannten Rahmen sprengt.
    "Es gibt nicht, wie die Becher-Schule das vormacht, diese eine Positionierung von Fotografie, die die richtige, neue wäre in der Kunst, sondern es ist nun mal ein Kommunikationsmedium geworden, das in alle Bereiche so stark drin steckt, Fotografie, dass man dem auch nicht so einen Satz, also so eine Enge geben kann und da öffnet sich 'gute aussichten' ja auch in alle mögliche Richtungen mit meiner Position, aber auch mit vielen anderen. Und ich glaube, das ist auch das Wichtige an dem Medium, da ist auch so die Zukunft."
    Zukunft, die sich auch mit Alwin Lays Arbeit zeigt. Videos, Fotografien, Objekte. Ein großer Glaskasten auf einem Sockel, der mit einer schwarzen Flüssigkeit gefüllt ist. Espresso. Darin verborgen und somit für das Auge des Betrachters unsichtbar, eine Espressomaschine, die in ihrem eigenen Saft ertrunken ist. Sie löscht ihr eigenes Bild aus, sagt Alwin. Das Publikum lacht.
    Viele der Preisträger sind Umwege auf dem Weg zum Künstler gegangen
    "Meine Mutter hatte immer auf ihrer Gästetoilette, das war so eine Westerntoilette mit Schwingtür, war so eine Postkarte, wahrscheinlich aus einem Museum stand drauf: Lebe wild und gefährlich, Artur. Das ist doch eigentlich ein schönes Sinnbild eigentlich. Ich weiß gar nicht mehr, ob das jetzt die Frage beantwortet hat."
    Die Frage war, was ihn antreibt, warum Marian Luft macht was er macht. Warum er Kunst machen will.
    "Oje, jetzt kommen diese Fragen."
    "Also Kunst als Therapieform habe ich für mich selbst abgelegt."
    "Man behandelt in der Kunst Themen, die im normalen Alltag keinen Platz haben. Also es ist zumindest oft bei meiner Kunst so, dass was Politisches mitschwingt, oder was gesellschaftlich Relevantes, das wollen die meisten Menschen nicht so sehen und das hat halt in Anführungszeichen keinen Platz und dann muss man sich einen Weg suchen, wo das Platz hat und das ist bei mir die Kunst."
    "Ich hab schon als kleines Mädchen so ein Büchlein gehabt, wo ich Bilder festgehalten hab, die man sonst mit einer Kamera festgehalten hätte. Das war meine erste Kamera mit Stift und Büchlein."
    "Die Frage ist schwer für mich zu beantworten, weil ich hab die auch nie entschieden. Es ist eine Entscheidung seinen Interessen nachzugehen und seinen Leidenschaften. Ich will jetzt nicht von Bestimmung reden, aber es ist in einem oder es ist in einem nicht."
    Der Weg zum Künstler. Viele der Preisträger sind Umwege gegangen. Birte hat zunächst Sozialpädagogik studiert, Stephanie Musikethnologie, Daniel war in der angewandten Fotografie unterwegs und Christina hat lange als Grafikerin gearbeitet.
    "Ich meine das eine schließt das andere ja nicht aus, also man entscheidet sich für die Kunst und eine gewisse Lebensrichtung aber das heißt jetzt ja nicht, dass man noch einen normalen Job hat, so jetzt vielleicht nicht einen 40-Stunden-Job, ich seh das schon realistisch, dass man sich auf jeden Fall mehrere Baustellen bauen muss um seine Kunst weiter verfolgen zu können, weil Kunst machen ist eine Entscheidung, aber man muss die Kunst auch irgendwie produzieren können, das kostet alles Geld."
    Auftragsarbeiten, Seminare oder Workshops geben, Geld verdienen, um seine Kunst überhaupt machen und zeigen zu können. Kunst kostet. Auch das muss man wissen und vor allem aushalten können. Selbst die 'Guten Aussichten' kosten.
    "Also es natürlich auch wieder viel Arbeit, es ist schwer, zu sagen, was sich da jetzt wie aufwiegt, weil es ja auch alles selbstfinanziert werden muss, einen gleichzeitig gerade zu Beginn der Laufbahn auch in ein riesiges Schuldenloch stürzt, wo man dann auch erst mal mit steht gerade am Beginn. Das was jetzt hier hängt, da hab ich noch nicht einen Euro dran verdient und der Traum ist eben nicht mehr irgendwelche anderen in Anführungsstricheln doofe Foto-Jobs machen zu müssen, sondern dafür bezahlt zu werden, was man so liebt."
    Für ihre Arbeit über illegale urbane Kleingärtner hat Lioba über zwei Jahre lang in Portugal gelebt und fotografiert. Manchmal ging sie täglich hin, morgens, mittags und abends. Man muss aufpassen, sagt auch Stephanie. Sie lebt bescheiden, in einer kleinen Wohnung, das ist aber nur das eine.
    "Wenn man so intensiv arbeitet, ich arbeite auch gerne, man entwickelt sich zum Workaholic, man arbeitet nur und die persönlichen Bedürfnisse sind aber auch wichtig, um gesund zu bleiben, um überhaupt auch einen kreativen Gedanken weiter fließen zu lassen. Da muss ich sehr dran arbeiten, das auch zuzulassen."
    Doch jetzt erst mal die Eröffnung. Die Deichtorhallen sind rappelvoll. Draußen stehen sie sogar Schlange. Es ist so schön, dass endlich mal jemand guckt. Christina strahlt, sie steht bei ihren Bildern, wie es alle an diesem Abend tun. Sie gucken, wie andere gucken, sie lauschen, was sie sagen. Freunde sind gekommen, Verwandte. Es wird viel gelacht und alle sind gelöst. Hier und jetzt ahnen sie die Möglichkeiten, spüren, was es heißen könnte, diesen Weg auch weiter zu gehen.
    "Wär schön, wenn das über die Ausstellung hinaus passiert und auch in Zukunft Dinge über die ich mir Gedanken mache, für irgendwen wichtig sind."
    Auch Daniels Professor ist gekommen. Innerhalb von zwei Jahren, so hat er ihm mit auf den Weg gegeben, muss er sich jetzt entscheiden, ob er Künstler werden will.
    "Also die Kunstwelt hat jetzt ja irgendwo so Zeit zu schauen, ob sie mich haben möchte, und ich sag mal, ich hab auch noch ein bisschen Zeit mir das anzugucken, ob ich das auch machen möchte. Im Moment will ich das 100-prozentig machen, aber Dinge ändern sich ja auch."
    Was ist aus den vergangenen Preisträgern geworden?
    An diesem Abend zumindest sieht keiner der Preisträger so aus, als wolle er sich je irgendetwas anderes vorstellen. Hier und Heute bietet der Wettbewerb das, was sein Name verspricht: gute Aussichten Kunst zu machen, mitzumischen, seine Bilder zu zeigen. 90 Preisträger gab es in den letzen zehn Jahren. Was ist aus ihnen geworden?
    "Also manche verschwinden komplett aus dem Kontext, also so 10, 15 Prozent verschwindet in anderen Kontexte, fängt dann an vielleicht doch als Grafiker zu arbeiten oder geht selbst in die Lehre, wird Dozent, wechselt also die Seiten. Auf jeden Fall sind es fast zwei Drittel, die ganz gut auf dem Weg sind, und die den Weg einfach weiterbeschritten haben, die weitere Stipendien gewinnen, die Galerien haben mittlerweile, die eine rege Ausstellungstätigkeit haben. Wer davon lebt, sind sicherlich wenige, das ist ja auch immer so die Frage aber insgesamt ist es im gesamten Kunstbereich ja eher ein trauriges Bild. Es kann kaum ein Künstler wirklich von seinen Arbeiten leben. Das sind immer Ausnahmen. Aber ich glaube und das hör ich auch immer in Gesprächen, für viele war der 'gute aussichten'-Preis auch letztendlich so was wie eine Bestätigung und auch der Impetus, einfach weiter zu machen."
    Auch Rebecca Sampson ist auf die Eröffnung gekommen. Streift durch die Hallen, unterhält sich angeregt, nippt an einem Glas Wein. Ihre zwei Jahre sind um. Wofür hat sie sich entschieden.
    "So richtig entschieden habe ich mich da nicht, wenn ich ganz ehrlich bin, weil eigentlich schwimm ich so ein bisschen um meine Thematik drum herum, letztendlich was mich sehr interessiert ist gerade eine neue Richtung zu finden, in der die Fotografie anwendbar ist, und zwar geht es das mehr in die therapeutische Richtung. Ich arbeite ja viel mit essgestörten Menschen und ich versuche gerade mit einen Weg zu finden die Fotografie als neue Therapieform zu etablieren und arbeite da mit der führenden Klinik in Deutschland dran und versuche ganz neue Wege zu gehen. Das heißt: Ich kann nicht wirklich sagen, ich hätte mich für die Kunst entschieden, die Kunst ist wunderbar, aber da, wo der echte Mensch ist, schlägt mein Herz."
    Aber immerhin hat die Kunst ihr geholfen, ihr Herz zu finden, ihren Weg. In Hamburg werden sich 13.918 Menschen die Ausstellung anschauen. Jetzt ist sie schon weiter gereist. Nach München. Danach werden die jungen Künstler neue Projekte angehen. Einige haben schon Stipendien, neue Ausstellungen, Fördergelder. Haben sich für Preise beworben und Marian der "Kunstanarchist":
    "Es gibt keinen Plan A und keinen Plan B. Also ich bin mir sicher, dass es immer etwas gibt was ich machen kann. Vielleicht mach ich in 5 Jahren keine Kunst mehr, oder ist dann auch egal wie es heißt, eigentlich ist es mir auch egal wie du es jetzt nennst, ich mach halt Dinge, die irgendwie aussehen und heute hängen hier Bilder an der Wand und übermorgen tanze ich und dann mach ich Musik und dann treff ich mich mit Leuten und organisier einen neuen Waldkindergarten."