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Cotta-Biografie
Ein Manager für das Gute, Schöne, Wahre

Der Verleger Johann Friedrich Cotta zählte von Schiller und Goethe über Hegel, Humboldt und Heine alles, was Rang und Namen hatte, zu seiner Kundschaft. Der frühere Leiter des Cotta-Archivs in Marbach, Bernhard Fischer, hat nun eine Biografie vorgelegt, die den Manager Cotta mit all seinen Tricks und klugen Ideen vorstellt.

29.10.2014
    Eine Gipsbüste von Johann Friedrich Cotta, gefertigt 1843 von Ludwig Schaller.
    Eine Gipsbüste von Johann Friedrich Cotta, gefertigt 1843 von Ludwig Schaller. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Die Lebensgeschichte Johann Friedrich Cottas stellt unter unternehmerischen Gesichtspunkten eine einzigartige Erfolgsstory dar. Sie zeigt im Jahr 1787 einen jungen Mann, der sich als 23-jähriger studierter Jurist mit mathematischen Neigungen 17.000 Gulden leiht und seinem Vater einen überschuldeten Buchhandel in Tübingen abkauft, um dann bis ans Ende seines Lebens zu einem der reichsten Männer seiner Zeit mit einem Vermögen von 1,2 Millionen Gulden aufzusteigen. Zum Vergleich: Das Jahresgehalt eines Lehrers lag in dieser Zeit bei etwa 200 Gulden. Ein Vermögen, dass Cotta über Investitionen erzielte, die weit über das Verlegerische hinausgingen. Es ist das Verdienst der Biografie Bernhard Fischers, neben den verlegerischen Aktivitäten auch Cottas unternehmerische und politische Seiten sorgfältig dokumentiert und herausgearbeitet zu haben.
    Doch zunächst zu der Figur, die wie kein anderer gegen Ende des 18. und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die Infrastruktur für eine Bündelung geistiger Kräfte in Deutschland bereitstellte. Cotta beginnt als erstes damit, den Universitätsbuchhandel seines Vaters, der auf die Veröffentlichung der Schriften Tübinger Gelehrter ausgerichtet war, zu erweitern und sein Sortiment zu öffnen. Neben den Rezipienten akademischer Schriften hatte sich im 18. Jahrhundert für den Buchhandel ein lesefreudiges nichtakademisches Publikum herausgebildet, dessen Bedürfnis nach literarischer Unterhaltung Cotta zu befriedigen bereit war. Schon früh scheint die neue Leselust Frauen befallen zu haben. Mit der Herausgabe von literarischen Zeitschriften für "Frauenzimmer" wie "Amaliens Erholungsstunden", die "Flora" oder das "Taschenbuch für Damen" kommt Cotta dem Markt entgegen. Auch das erste belletristische Werk, das er verlegt, ein Roman der englischen Autorin Frances Burney (einem Vorbild Jane Austens) mit dem Titel 'Georgina', zielt auf eine weibliche Leserschaft. Eine Expansion in die anspruchsvolle deutsche Literatur seiner Zeit erfolgte sehr bald. Als Glücksfall erwies sich hier die Akquise Friedrich Schillers, wie Bernhard Fischer ausführt:
    "Cotta hatte das ganz große Glück, dass Schiller Schwabe war und 1793 Schwaben wieder besuchte, und Cotta hat es sich nicht nehmen lassen, sofort Fäden zu knüpfen, um in die Nähe von Schiller zu kommen. Entscheidend für Schiller war, dass Schiller eigentlich seit Jahren mit einem Lieblingsprojekt umging und seinen Freund Goeschen nicht dafür gewinnen konnte. Das war das Projekt einer literarischen Zeitschrift und Cotta hatte die Größe, dieses Lieblingsprojekt von Schiller in gewisser Weise mit seinem Wohlwollen zu begleiten und gleichzeitig seine eigene Vorstellung von seinem Lieblingsprojekt, das war nämlich eine politische Zeitung, damit zu kombinieren. (....) Literarische Zeitschrift, das hieß für Schiller, wenig Manuskripte selbst verfassen, aber viele Manuskripte von Freunden und Bekannten bekommen, die dann eben in einem Heft zusammengestellt wurden, und Schiller war einer der best- , heute würde man sagen, einer der bestvernetzten Autoren seiner Zeit, zudem buchhandelserfahren, er hat ja selbst eine Zeitschrift auch mal verlegt, also das eigentlich eine Partnerschaft zwischen Cotta und Schiller das größte Glück für beide gewesen ist. Schiller traf in Cotta einen Verleger, der zu allem bereit war, und Cotta fand in Schiller einen Autoren, der ein großes Netzwerk von anderen Autoren mitbrachte, der wusste, wie man Zeitschriften machte, und der vor allen Dingen eben nicht mehr schwäbisch dachte, sondern immer auf den deutschsprachigen Raum bezogen war."
    Cotta war der erste, der seine Autoren bei Neuauflagen beteiligte
    Bald zeigt sich das Geschick des Verlegers, Schillers Netzwerk zu nutzen und wichtige Autoren an sich zu binden. Der im Allgemeinen vorsichtige und sparsame Cotta zeigt sich bei großen Autoren wie Schiller und Goethe ungewöhnlich flexibel und großzügig, indem er den Autoren größtmögliche Freiheiten lässt und ihnen anbietet, selbst ihr Honorar zu bestimmen. Diese "think big"-Attitüde sicherte ihm sehr bald die Herausgeberschaft aller bedeutenden Autoren seiner Zeit. Er wurde zum Alleinverleger Schillers, den er von Göschen abwarb, Schiller wiederum warb über seine Zeitschriften Goethe, es folgten Schlegel und die Romantiker, Fichte und Schelling, Wieland und Jean Paul, Alexander von Humboldt, später Hegel. Der Editionsbogen spannt sich bis zu Autoren wie Ludwig Börne und Heinrich Heine.
    Cottas Umgang mit seinen Autoren unterscheidet sich dabei gravierend von den Usancen seiner Zeit: Wurde Autoren ihre Arbeit bis dahin nur einmal vergütet, so beteiligt sie Cotta bei jeder Auflage ihrer Werke aufs Neue. Die Höhe seiner Honorare ist exorbitant, kein Autor ist in der Lage, ihr zu widerstehen. Dabei, so Fischer, sei sein persönlicher Umgang stets von Liebenswürdigkeit und Sinn für Fairness geprägt gewesen.
    "Ja, die Cottasche Verlagspraxis ist, was die Gestaltungsmöglichkeiten für die Autoren angeht, und was die Gestaltungsmöglichkeiten überhaupt des Verhältnisses von Autor und Verleger angeht, in der Tat – ich will nicht sagen paradiesisch – aber mustergültig. Da konnte man alles regeln. Vom Preis des Buches über das Honorar, Format und Auflage."
    Für die Expansion des Verlags war es wichtig, die engen württembergischen Grenzen zu überwinden und den Zusammenschluss und Austausch mit der fortgeschrittenen norddeutschen Verlagsszene zu erreichen. Die Autoren des buchhändlerisch höher entwickelten norddeutschen Raums mit den Zentren Hamburg, Berlin und Leipzig band der Verleger Cotta ebenfalls durch die Höhe seiner Honorare. Lange Wege und Zollgrenzen überwand er, indem er Werke vor Ort drucken und über Kommissionäre vertreiben ließ. Wenn Friedrich Kittler vom Aufschreibesystem um 1800 schrieb, dann war Cotta einer, der zu diesem System wie kein anderer beigetragen hat, indem er die Kleinstaaterei für Produktion und Vertrieb überwand und sein Geschäft auf den deutschsprachigen Gesamtmarkt ausrichtete. Mit dem Monopol, die geistige Elite des Reiches zu vermarkten, trug Cotta maßgeblich zur Homogenisierung der deutschsprachigen Literatur und des politischen Diskurses seiner Zeit bei.
    "Er hat mit seinem Verlag für die Autoren eine Infrastruktur zur Verfügung gestellt, die es gestattete, dass ein Autor, der bei ihm in den Verlag kam, eben wusste, ich komme bis nach Russland, da werde ich genauso vertrieben wie in Dänemark, überall wo deutschsprachige Buchhandlungen sind, und das war in ganz Europa, kann man Cotta kaufen. Das war keine Provinzklitsche mehr."
    Großes Netzwerk und grenzenlose Expansionspläne
    Mit der Expansion ins Reich und auch über die Reichsgrenzen hinaus ging der Ausbau des Verlags zu einem Universalverlag einher, der neben der schönen Literatur und Philosophie auch historische, naturwissenschaftliche, technische und staatsrechtliche Werke vertrieb, und der neben Periodika wie die von Schiller edierten "Horen" oder den "Musenalmanach" mit der Herausgabe der "Allgemeinen Zeitung" schließlich auch eine Tageszeitung mit politischer Strahlkraft offerierte. Die "Allgemeine Zeitung" hatte auch überregional Abonnenten und wurde von Staatsmännern wie Genz oder Metternich gelesen. Abgeschreckt durch den Terreur in der Folge der Französischen Revolution sowie die napoleonische Despotie pflegt Cotta sein eigenes politisches Engagement im Sinne der konstitutionellen Monarchie und Aufhebung kleinstaatlicher Zollgrenzen:
    "Aber er ist eben auch ein ganz wichtiger südwestdeutscher Politiker insofern er derjenige ist, der 1815 bis 1819 maßgeblich daran beteiligt ist, dass Württemberg eine Verfassung bekommt. Und später in den 1820er Jahren ist er eben doch derjenige, der die Initiative hat für diesen berühmten südwestdeutschen, das heißt bayerisch-württembergischen und norddeutschen Handelsverein, der dann 1829 beschlossen wird und der dann fast nahtlos 1833 in den großen Deutschen Zollverein übergeht."
    "Das ist natürlich die standespolitische Seite von Cotta, das war für ihn ganz wichtig, dass er an allen Reformvorhaben der Buchhändler, der Verleger teilnahm und das führte ihn eben dann 1814 /15 auch auf den Wiener Kongress, um dort das Nachdruckverbot zu betreiben und auch eben die Pressefreiheit als Verfassungsgrundsatz in die deutsche Bundesakte aufnehmen zu lassen."
    Daneben vermehrt der ungemein rührige Cotta auch sein Vermögen. Er ist nicht nur Verleger, sondern betreibt zunehmend auch andere Unternehmungen. Er investiert mit dem Geld des Verlags in Projekte wie den rationellen Landbau, indem er vier Güter erwirbt, dort die Leibeigenschaft aufhebt und sie als Mustergüter für Schafzucht mitsamt den dazugehörigen Spinnereien für Wolle oder Flachs einrichtet. In Baden kauft er ein säkularisiertes Kloster und baut es als Kurpalast aus, auf dem Bodensee und auf dem Rhein investiert er mit Teilerfolgen in die Rheinisch-Preußische Dampfschifffahrt. Auch Autoren, die mit Cotta politisch nicht übereinstimmten, wie Börne oder Heine, nötigte er Respekt ab: "Das war ein Mann, der hatte die Hand über die ganze Welt", schreibt Heine über Cotta.
    Die Biografie Bernhard Fischers, das Ergebnis einer 20-jährigen Forschungsarbeit, stellt den Verleger als eine Person vor, die nicht nur den Apparat für die Verbreitungdeutscher Literatur und Wissenschaft im Vorfeld des Nationalstaates zur Verfügung stellte, sondern auch, beseelt vom Fortschrittsglauben der Aufklärung, auf die Kräfte des Marktes vertraute und kaufmännisches Kalkül mit dem Gemeinwohl zu verbinden suchte. Eine frühliberale Unternehmerpersönlichkeit mithin, deren rastlose Ideenproduktion und Promotion rationeller Produktions- und Vertriebsstrukturen im Verlagswesen die Ausbildung deutscher Geisteskultur im 19. Jahrhundert maßgeblich medial geprägt und hervorgebracht hat.
    Bernhard Fischer gelingt es, die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen seines Handelns detailliert zu reflektieren und damit ein Stück deutscher Kulturgeschichte lebendig zu rekonstruieren. Dass es sich bei dem überbordenden Quellenreichtum auch um eine gut lesbare und stilistisch brilliante Studie handelt, sei nur angemerkt. Das Buch, in einer schönen Ausgabe im Wallstein-Verlag erschienen, ist schon jetzt eine unverzichtbare Quelle für alle Leser, die sich für die institutionellen Bedingungen der deutschen Literatur und Wissenschaft im 19. Jahrhundert interessieren.
    Bernhard Fischer: "Johann Friedrich Cotta. Verleger – Entrepreneur – Politiker". Wallstein Verlag, 967 Seiten, 49, 90 Euro.