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Daddeln mit Pantoffeltierchen

An der Stanford-Universität in Kalifornien gehört Computerspielen quasi zum Forschungsprogramm. Die Objekte, mit denen die Forscher spielen, sind jedoch keine programmierten Fantasiegeschöpfe, sondern echte Lebewesen: Pantoffeltierchen.

Von Michael Lange | 31.10.2011
    Der Physiker Ingmar Riedel-Kruse blickt auf den Monitor. Dort bewegt sich ein Pantoffeltierchen von rechts nach links. Wie ein Computerspieler versucht der Wissenschaftler von der Stanford-Universität in Kalifornien das Tier zu steuern.

    "Der Spieler hat eine fast konventionelle Spielekonsole in der Hand, mit vier Knöpfen, die die vier Richtungen angeben. Wenn er einen Knopf drückt, wird ein entsprechendes Feld angelegt, und dann bewegen sich die Pantoffeltierchen in die entsprechende Richtung."

    Pantoffeltierchen, auch Paramecien genannt, sind Tümpel- oder Teichbewohner. Sie werden etwa einen bis zwei Zehntel Millimeter groß. Damit gehören sie zu den größten Einzellern. Mithilfe feiner Härchen auf ihrer Oberfläche, sogenannter Cilien, bewegen sie sich blitzschnell hin und her. Als Spielobjekte auf dem Monitor - und in der Realität in einer kleinen mit Wasser gefüllten Kammer, gleich neben dem Monitor.

    "Und dadurch, dass es natürlich eine sehr kleine Kammer ist, haben wir da ein Mikroskop mit Kamera drauf, und projizieren die aktuelle Bewegung der Pantoffeltierchen auf einen Computerbildschirm. Und über diese Bewegung der Pantoffeltierchen projizieren wir Objekte, die an konventionelle Videospiele erinnern."

    Mit den Knöpfen auf seiner Spielekonsole schaltet der junge Stanford-Professor schwache elektrische Felder ein und aus. So steuert er die Pantoffeltierchen, denn sie orientieren sich im elektrischen Feld. Das Ziel des Spieles ist es, die Einzeller in bestimmte quadratische Felder auf dem Monitor zu lenken. Jedes Mal, wenn ein Pantoffeltierchen in ein solches Quadrat hinein schwimmt, gibt es Punkte.

    "Alle Pantoffeltierchen in der Kammer reagieren, wobei man auch sagen muss, dass verschiedene Pantoffeltierchen unterschiedlich stark reagieren. Es ist schon eine gewisse Variabilität oder ein Eigenleben da."

    Ingmar Riedel-Kruse und sein Forscherteam haben bereits verschiedene Spiele mit Pantoffeltierchen erdacht. In einigen davon interagieren die kleinen Lebewesen sogar mit virtuellen Gegenständen auf dem Monitor.

    In einem Spiel namens Ciliaball geht es darum, die Pantoffeltierchen so auf einen virtuellen Ball zu lenken, dass sie den Ball auf dem Monitor genau im richtigen Winkel treffen und ihn so Richtung Tor befördern.

    "Wir sehen jetzt hier den virtuellen Ball auf dem Spielfeld. Wir steuern jetzt das Pantoffeltierchen zur Seite in Richtung Fußball. Wir treffen den Ball, und er schießt ins Tor. Nochmal Elfmeter. Und Schuss."

    Den Spielern macht das Spaß, und den Pantoffeltierchen sei es egal, betont Ingmar Riedel-Kruse.

    "Pantoffeltierchen sind Einzeller, und die Felder, die wir anlegen, sind sehr schwach."

    Und Spielen mit Lebewesen sei ja nicht grundsätzlich verwerflich.

    "Man muss sich immer genau überlegen, was man eigentlich macht. Ein Hundebesitzer spielt auch mit seinem Hund, in einer sehr positiven Art und Weise."

    Natürlich muss sich Ingmar Riedel-Kruse oft nach dem Zweck seiner Forschung fragen lassen. Und nicht nur deshalb plant er bereits Anwendungen, wie den Einsatz dieser biotischen Spiele in Museen. Wann gibt es für Kinder und Jugendliche schon Gelegenheit, mit lebenden Mikroorganismen zu interagieren? Und in Zukunft, so glaubt er, könne auch die Wissenschaft von den biotischen Spielen profitieren.

    "Man stelle sich vor, dass Leute über das Internet diese Spiele spielen, und die Spiele sind immer gleichzeitig ein Experiment. Was oft in der Wissenschaft fehlt, sind Leute, die bestimmte Experimente kontrollieren, steuern, auswerten. Und vielleicht können wir in manchen Forschungsgebieten Spiele so konstruieren, dass die Leute aus Spaß Spiele spielen und zugleich sinnvolle Daten sammeln, die relevant sind für die Medizin oder andere Forschung."

    Spaß haben und gleichzeitig die Forschung voranbringen. Ein Traumjob für alle, die gerne Daddeln.

    Zum Projekt von Professor Riedel-Kruse