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Daheim, aber dennoch fremd

Die Migranten Italiens haben auch ein anderes Gesicht als nur die Flüchtlinge auf Lampedusa. Das der zweiten Generation beispielweise, die in Italien aufgewachsen ist und sich in Mailand, Rom oder Neapel zuhause fühlt. Viele betrachten Italien als ihre Heimat und gelten dennoch als "anders".

Von Kirstin Hausen | 12.05.2011
    "Meine Eltern sind aus Äthiopien und Eritrea. Mein Vater ist mit einem Universitätsstipendium nach Bologna gekommen, meine Mutter hat sich 1974 ganz allein auf den Weg gemacht. Für eine Frau aus Eritrea war das in den Siebziger Jahren sehr ungewöhnlich."
    Seble Woldeghiorgis hat den Mut ihrer Mutter geerbt. Auch sie zögerte nicht, die Heimat zu verlassen. Weil der Arbeitsmarkt in Italien ihr keine Stelle bot, ging sie nach dem Studium in Mailand für ein Praktikum nach London. Und blieb drei Jahre.

    "In Grossbritannien hat niemand komisch geguckt oder nachgefragt, wenn ich sagte, ich sei Italienerin. Dabei habe ich mit Fragen nach meiner Herkunft gerechnet, schliesslich bin ich schwarz. Aber niemand meinte, eine Schwarze könne keine Italienerin sein. Und da habe ich verstanden, welche Aufgabe wir aus der zweiten Generation in Italien haben. Im Grunde müssen wir nur herumlaufen, sprechen, sichtbar sein, um der Gesellschaft klarzumachen, dass die Zukunft aussieht wie wir."

    Die 29-jährige Seble lebt heute wieder in Italien und engagiert sich ehrenamtlich für die Belange von Einwanderern.

    "Italien ist in seiner Identität immer noch bestimmten Merkmalen verhaftet, die überholt sind. Du bist nur dann Italiener, wenn du italienisch aussiehst, natürlich musst du weiß sein, und katholisch, da gibt es eine ganze Reihe von Charakteristika, die du erfüllen musst."
    Wer die nicht erfüllt, hat es schwerer bei der Arbeits- oder Wohnungssuche als diejenigen, die ins Raster passen. Das belegen Studien aus verschiedenen italienischen Städten. Eine umfassende Statistik zur Lebenssituation der Kinder von Einwanderern aus Nicht-EU-Staaten gibt es in Italien jedoch nicht, bemängelt Unicef. Das Kinderhilfswerk hat Daten aus acht Industrienationen miteinander verglichen und festgestellt, dass Italien sich bisher wenig Mühe gegeben hat, Datenmaterial über die Zweite Generation zu sammeln. Das erstaunt, weil die Regierungsparteien, allen voran die Lega Nord, das Thema Immigration zur Chefsache erklärt haben. Allerdings geht es ihnen dabei fast ausschliesslich um die Eindämmung der Immigration und nicht um die Integration der bereits ins Land Eingewanderten. Sie haben nämlich in der Mehrzahl kein Wahlrecht und sind damit für die Politik keine zu umwerbende Bevölkerungsgruppe. Im Gegenteil, sagt der Oppositionspolitiker Claudio Martelli.

    "Das Thema Immigration ist heiss, oder sagen wir besser, brandgefährlich. Wer es berührt, verbrennt sich oft genug daran die Finger!"

    Die Auswirkungen dieser Politik sind verheerend. So musste in Mailand eine Grundschule schliessen, weil unter den Schülern zu viele Kinder aus Einwandererfamilien stammten. Bildungsministerin Gelmini hat nämlich per Dekret eine Maximalgrenze von 30 Prozent ausländischer Kinder pro Klasse verhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Kinder mit ihren Eltern gestern eingewandert sind oder bereits in Italien geboren wurden. Ungerecht findet das eine Lehrerin aus der betroffenen Schule.

    "Der Grossteil der sogenannten "Kinder aus Nicht-EU-Staaten" ist in Italien zur Welt gekommen und hier in den Kindergarten gegangen. Ich verstehe nicht, wieso diese Kinder immer noch als Ausländer eingestuft werden."

    Auch Seble Woldeghiorgis versteht das nicht. Aber sie weiß, wie sich jemand fühlt, der Italien als seine Heimat betrachtet, und auf dem Papier Ausländer bleibt.

    "Das ist ein Drama ist, weil man sich nicht wirklich akzeptiert fühlt. Und dabei liegen die kulturellen Wurzeln hier. Viele Kinder von Einwanderern haben ja auch gar keinen Kontakt mehr zum Land ihrer Eltern. Meine Schwester beispielsweise: sie beherrscht die Muttersprache meiner Eltern nicht und fühlt sich im Land meiner Eltern wie ein Fisch auf dem Trockenen."

    Immer mehr Italiener mit Migrationshintergrund suchen in sozialen Netzwerken Kontakt zueinander, tauschen sich über ihre Alltagserfahrungen aus. Dabei beschreiben viele ihre Schulzeit als harmonisch und den Eintritt in die Arbeitswelt als Schock. Der 19-jährige Senegalese Hudu berichtet, dass ihm bei einem Vorstellungsgespräch gesagt wurde, ein Schwarzer hinter der Ladentheke würde die Kunden abschrecken. Die 22-jährige Dolores aus Ecuador schreibt, eine Stelle als Sekretärin deshalb nicht bekommen zu haben, weil ihr zukünftiger Chef meinte, sie würde ja sowieso bald wieder in "ihr Land" zurückkehren. Und auch die Akademikerin Seble Woldeghiorgis erinnert sich an ein Vorstellungsgespräch mit negativem Ausgang.

    ""Da habe ich eine halbe Stunde über mich und meinen Werdegang geredet und den Inhalt meiner Abschlussarbeit an der Universität erklärt, um dann in verwunderte Gesichter zu blicken, und zu hören: "Du sprichst aber wirklich gut Italienisch"."