Dienstag, 21. Mai 2024

Archiv


Das Ausleben der inneren Haltung des Punks

Seit rund 50 Jahren herrscht die Armee in Myanmar oder Burma. In diesem Jahr aber ist eine zaghafte Öffnung und Demokratisierung zu verzeichnen. Nun kam - unterstützt vom Goethe-Institut - die erste Band für einige Konzerte nach Deutschland.

Von Florian Fricke | 10.12.2012
    Der Festsaal Kreuzberg ist rappelvoll an diesem Samstagabend – ein Abend, der in die Rockgeschichte Myanmars eingehen wird, so Frontmann Darko in seiner euphorischen Ansage. "Side Effect" hat erst einmal außerhalb Myanmars gespielt, auf Bali. Und überhaupt erst zweimal sei die Band in Myanmar für einen Gig bezahlt worden, obwohl sie schon seit acht Jahren zusammen auftreten. Und nun spielen sie vor 300 ausrastenden Fans und können ihr Glück kaum fassen.

    "Wir spielen hauptsächlich in Yangon, wir kommen überhaupt nicht raus. In anderen Städten sind wir gar nicht gefragt. Aber das wird sich nun hoffentlich ändern."

    Darko, sein kleiner Bruder Joseff und Schlagzeuger Tser Htoo sind Teil einer recht überschaubaren Punkszene in Yangon, der ehemaligen Hauptstadt Myanmars. Insgesamt sind es um die 200 Punks, die sich um einen Punkladen scharen. Entdeckt wurde das Phänomen von Alexander Dluzak und Carsten Piefke, deren Film "Yangon Calling" immer noch sehr erfolgreich über die Festivals tingelt.

    "Gunia heißt er, der Besitzer dieses Punkladens und erste Punk Myanmars. Er hat also damals eine britische Musikzeitschrift in die Hände bekommen. Der Legende nach lag sie im Müll der britischen Botschaft in Yangon, wo er sie gefunden hat. Und da war eben eine Geschichte drin über die Sex Pistols, die es damals Mitte der 90er auch schon über zehn Jahre gab."

    "So, wie wir sie erlebt haben, ist das wirklich Anfang der 80er-Jahre Piccadilly Circus London. Und sie sind auch genau an dem Punkt eingestiegen. Während sich hier die Punkszene musikalisch in alle möglichen Richtungen entwickelt hat, sind die wirklich noch am Anfang. Inzwischen gibt's da auch Internet. Und die geben den Suchbegriff Punk ein und kopieren ohne Ende."

    "Side Effect" bezeichnen sich selber nicht als reine Punk Band, dafür haben sie zu viele musikalische Einflüsse. Die reichen von Nirvana über die Strokes bis zu Radiohead. Sie bezeichnen sich auch nicht direkt als politische Band, eindeutige Aussagen in ihren Songs sind ihnen viel zu gefährlich. Scum, einer der Hauptfiguren des Films, saß für eine geringe Menge Marihuana sechs Jahre im Gefängnis. Aber natürlich ist Punk per se ein politisches Statement, wie Sänger Darko zugibt.

    "Unsere Botschaft ist, dass sich die Menschen öffnen sollen. Wenn du frei sein willst, musst du zuerst frei denken können. Ich will nicht sagen, dass die Leute total verbohrt sind. Aber durch die Lebensverhältnisse sind sie schon blockiert."

    Auf die momentane politische Öffnung des Landes angesprochen, hält sich die Band ausgesprochen bedeckt. Viel zu groß ist die Überzeugung, dass sich für die bettelarmen Burmesen nichts ändern wird. Fernab jeder touristischen Romantik fühlen sie sich gefangen in einer bleiernen Zeit, im Warten auf eine Zukunft, die nie eintreten wird. Tser Htoo besitzt nicht einmal ein Schlagzeug. Als die Band über eine amerikanische Crowdfunding-Seite 3000 Dollar sammeln konnte, wurde das Konto eingefroren. Das verstieß gegen die amerikanischen Wirtschaftssanktionen gegenüber Myanmar. Die Band war fassungslos.

    "Wir sind doch nicht die Söhne oder der Neffen der Generäle. Mister Obama, sie schulden uns 3000 Dollar. Aber sie können uns natürlich auch in die USA einladen, das akzeptieren wir auch."

    Ihre mitgebrachten CDs waren schon vor Beginn des Konzerts ausverkauft. Mit dem Erlös konnte sich die Band zwei Tage Studiozeit in Berlin finanzieren. Natürlich revolutionieren "Side Effect" nicht die Punk-Musik, so ähnlich hat man das schon Tausende Male gehört. Aber sie lassen einen spüren, wie unglaublich wichtig ihnen die Musik und die Haltung dahinter ist. Bis zwei Uhr nachts spielten sie den Festsaal Kreuzberg zur Ekstase und hinterließen ein seliges Gefühl von Sympathie und Solidarität. Ein Traum wurde für sie wahr, so schön wie der erste Schnee ihres Lebens.

    Band- und Tourinfo:
    Diesen Freitag spielt die Band noch in Gera. Nächsten April wollen die Regisseure von Yangon Callig ein Buch samt DVD über Punk in Myanmar veröffentlichen. Dafür sammeln sie noch Geld auf der Crowdfunding-Plattform Startnext.de.
    NUR FÜR CORSO: Bandmitglieder von "Side Effect"
    Bandmitglieder von "Side Effect" (Florian Fricke)