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Das Beste zweier Welten

Materialforschung. - Metalle und Kunststoffe haben jedes für sich wünschenswerte Eigenschaften, allerdings sind sie notorisch heikel, wenn es an ihre Kombination geht. Genau daran versuchen sich immer mehr Materialwissenschaftler, die etwa die Formbarkeit des Kunststoffs mit der Leitfähigkeit des Metalls verbinden wollen.

Von Hellmuth Nordwig | 02.01.2009
    Unscheinbarer geht es nicht: Arne Haberkorn hält ein graues Stäbchen in der Hand, so lang und so dick wie ein Bleistift, nur etwas rauer und poröser. Doch der optisch unauffällige Stab hat es in sich.

    "Das ist der Beginn einer neuen Materialrichtung, die hier vorliegt, leitfähiges Plastik, einfach ausgedrückt."

    Denn hier hat der Ingenieur vom Bremer Fraunhofer-Institut für Materialforschung Kunststoff und Metall miteinander verheiratet. Dass dabei tatsächlich ein Material herauskommt, das den elektrischen Strom leitet, demonstriert er mit einem einfachen Schulversuch. Eine Glühlampe ist an eine Batterie angeschlossen – mit den Polen aber nicht über einen Kupferdraht verbunden, sondern über den Stab aus der Kunststoff-Metall-Mischung. Kaum hat Arne Haberkorn den Schalter umgelegt, leuchtet die Lampe auf.

    "Jetzt sieht man, dass nach dem Einschalten der Strom vom einen Ende zum anderen durch diese Kunststoffspur fließt, die zwischen den beiden Enden abgelegt wurde und das Kabel ersetzt."

    Das Geheimnis des leitfähigen Plastiks sind hauchdünne Metallfasern oder eine Metallschmelze, die unter die Kunststoffmasse gerührt werden. Auch sie wird aufgeschmolzen, um ein Bauteil zu gießen. Dadurch können die beiden Bestandteile optimal vermischt werden. 70 bis 90 Prozent Metall braucht man, damit sich im fertigen Werkstück ein leitfähiges Metall-Netzwerk im Kunststoffbett ausbildet. Diesen Aufwand würde der Bremer Forscher natürlich nicht treiben, wenn es nur darum ginge, die bewährten Kabel zu ersetzen. Haberkorn:

    "Unser Ziel ist, die Materialien als Freiform auf Oberflächen aufzutragen, zum Beispiel zum Anschluss von Sensoren oder um elektrostatische Aufladung abzuführen und dergleichen."

    Bisher ist es ziemlich umständlich, auf Kunststoffoberflächen elektrisch leitende Strukturen anzubringen. Zum Beispiel müssen in Flugzeugbauteile Aussparungen gefräst und anschließend genau passende Metallstreifen hinein geklebt werden. Das neue Material kann direkt als Schmelze auf die Oberfläche aufgebracht werden und haftet dann dort – denn seine Basis ist ja Kunststoff. Auto- und Flugzeugbauer haben großes Interesse an dem neuen Material. Vor allem, weil es so gut leitet wie Metall, aber deutlich leichter ist. Das trifft genauso für eine weitere Fraunhofer-Entwicklung zu. Am Institut für Chemische Technologie bei Karlsruhe mischt Timo Huber Kohlenstoff-Nanoröhrchen in den Kunststoff.

    "Das sind kleine Röhrchen aus reinem Kohlenstoff, die eine sehr gute Leitfähigkeit haben. Die bringt man in den Kunststoff ein, um darin ein Netzwerk aus elektrisch leitfähigen Komponenten zu bilden, das das Bauteil an sich elektrisch leitfähig macht."

    Hier genügen wenige Prozent Kohlenstoffröhrchen, um den Kunststoff leitfähig zu machen – das ist ein wesentlicher Unterschied zum Material aus dem Bremer Fraunhofer-Institut. Was in Karlsruhe herauskommt, besteht fast ganz aus Kunststoff und kann deshalb genauso verarbeitet werden. Gelagert wird das Gemisch, genau wie andere Kunststoff-Rohmaterialien, in Form erbsengroßer Kügelchen, als so genanntes Granulat. Huber:

    "Die Granulate werden dann beispielsweise im Spritzgießprozess zu Bauteilen weiter verarbeitet. Das heißt, da wird das Granulat zugeführt, aufgeschmolzen und mit Druck in eine Kavität gepresst, also eine Negativform von meinem Bauteil, wird abgekühlt. Ausgeworfen wird dann mein fertiges Bauteil. Wenn wir zum Beispiel an die Scheinwerfer oder Heckleuchten von Autos denken, können wir mit diesem Verfahren elektrisch leitfähige Pfade spritzgießen, um dort die Einbringung metallischer Komponenten zu ersetzen."

    Werkstoffverbünde wie die aus Kunststoff und einem leitfähigen Material werden derzeit intensiv erforscht. Denn solche Mischungen vereinen die Vorzüge beider Bestandteile. Konkrete Produkte mit den leitfähigen Kunststoffen gibt es zwar noch nicht, aber sie werden sicher nicht lang auf sich warten lassen.