Montag, 13. Mai 2024

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"Das Gedicht"

"Das Böse in der Politik", hat Joseph Brodsky einmal gesagt, "ist ein schlechter Stilist." Als leidgeprüfter Leser von sogenannter "engagierter" Dichtung muss man leider hinzufügen: Auch das Gute - in der Politik wie in der Dichtung - ist ein miserabler Stilist. Wer auch immer die Poesie auf politische Anständigkeit verpflichten will, der steuert regelmäßig auf ein ästhetisches Desaster zu. Schon vor vierzig Jahren hat Hans Magnus Enzensberger in seinem epochalen Essay über "Poesie und Politik" alles Notwendige über die rührenden Illusionen politischer Lyrik geschrieben. Enzensberger demonstrierte nicht nur die Unvereinbarkeit von Poesie und Herrscherlob, sondern analysierte auch die tiefe Schwäche jedweder Dichtkunst, die sich auf das Attackieren von Gewaltherrschern oder aber auf das Vorzeigen einer wackeren Gesinnung verlegt.

Michael Braun | 09.08.2002
    Aber die alten Illusionen und Naivitäten sterben leider nicht aus. Ausgerechnet in ihrem Jubiläumsheft hat nun die erfolgsverwöhnte Lyrik-Zeitschrift "DAS GEDICHT" ein Zeichen moralischer und poetischer Redlichkeit setzen wollen. Als Evergreen lyrischer Politikfähigkeit werden in der aktuellen Nummer 10 der Zeitschrift "Gedichte gegen Gewalt" feilgeboten. Über 50 deutschsprachige Dichter sind vertreten, nebst einigen Gastautoren aus Großbritannien, Afghanistan und dem Irak. "Gedichte gegen Gewalt": Ein solches Label ist höchstens als Signatur einer guten Gesinnung und einer wohlmeinenden Menschenfreundlichkeit tauglich, nicht jedoch als Markenzeichen ästhetisch gültiger Dichtung. Wer "Gedichte gegen Gewalt" predigt, bekundet ein instrumentelles Verhältnis zur Lyrik - und hat sich grundsätzlich im Genre geirrt. Denn Gedichte sind nun einmal keine sprachspielerisch aufgerüsteten Transparente, die ihre unfrohen Botschaften über das Böse in die Welt hinaus tragen.

    Es ist kein Zufall, dass sich in einer thematisch festgezurrten Anthologie "gegen Gewalt", die Poesie offenbar als Mittel zum Zweck missversteht, nur eine Handvoll ästhetisch relevanter Gedichte finden lassen. Ein wortmächtiges, in den Abgründen der deutschen Geschichte schürfendes Nachtstück von Uwe Tellkamp, Lutz Seilers bedrohliche Stimmen aus einem "kriegsherbst" und Nico Bleutges lyrische Reise zu den Toten einer "schlesischen Nacht" markieren mit der präzisen Wahrnehmung ihrer Gegenstände und einer dicht gewebten Metaphorik den ästhetischen Ausnahmefall. Die Regel sind allerdings Texte von gefälligem Biedersinn, von Johano Strassers sozialdemokratischen Warngedichten über Björn Kuhligks simples Berliner Politik-Szenario bis hin zu Wehwalt Koslowskys kabarettistischem Pfusch: "Schon morgen kommt die Leitkultur,/ Um die sie sich verzehren,/ Per Volksempfänger durch den Flur/ Und will dich Tugend lehren." Angesichts solcher Holzhammer-Satiren muss man sich bei der Lektüre in Gelassenheit üben. Auch der Essay-Teil des Heftes enttäuscht mit seinen notorischen Beschwörungen von der "gewaltfreien Kraft im Schönen" und der bewährten Gleichung "Poesie ist Moral". Am Ende lässt es sich der sonst so kenntnisreiche Alexander Nitzberg einfallen, Paul Celans "Todesfuge" mit dem schlichten Elaborat einer jungen ostdeutschen Dichterin kurzzuschließen. "Poesie und Politik", so hieß es einst bei Enzensberger, "ist immer ein leidiges Thema, getrübt von Ressentiment...und schlechtem Gewissen." Und manchmal, so muss man nach der Lektüre der neuen Ausgabe von "Das Gedicht" hinzufügen, ist dieses Thema auch getrübt vom Verlust der Maßstäbe.