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Das Geheimnis der Sandfilter

Umwelt. - Vor über 130 Jahren kam aus England eine Trinkwassergewinnung nach Deutschland, die bewusst auf die Selbstreinigungskraft von Sandböden am Ufer setzt. Das Wasserwerk Flehe in Düsseldorf nutzte 1870 zum ersten Mal die sogenannte Uferfiltration. Mit ihr lässt sich bis heute wirksam und kostengünstig Flusswasser in sauberes Trinkwasser verwandeln. Auch Berlin und Dresden verdanken dieser Technologie ihr gutes Wasser. Doch erst jetzt ist gelungen, die Vorgänge im Untergrund zu enträtseln.

Von Maren Schibilsky | 29.10.2008
    Der Tegler See im Norden Berlins. Die Großstadt bezieht seit über 100 Jahren aus diesem Havelsee einen Teil ihres Trinkwassers. Entlang des Nordufers befinden sich viele Filterbrunnen. Oberirdisch ist nur eine runde Betonfassung mit einem Deckel drauf zu sehen. Darunter geht 40 Meter in die Tiefe. Seit 1903 saugen die Brunnen das Grundwasser an, pumpen es nach oben und ins Wasserwerk. Was dort ankommt, ist besonders sauberes Wasser. Es stammt aus dem See. Und es hat eine lange Reise durch die unterirdischen Sandschichten am Ufer hinter sich. Dort wird es gereinigt. Krankheitserreger, Schwermetalle, Pestizide, Reste von Mineralölen bleiben auf der Strecke.

    "Man hat bisher darauf vertraut, dass das System problemlos funktioniert, hat aber heute erkannt, dass es einige Problemstoffe gibt, die neu in der Trinkwasseraufbereitung sind. Das sind Arzneimittel und Toxine von Algen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Uferfiltration in der Lage ist, auch diese Stoffe zu entfernen."

    Der Limnologe Günter Gunkel von der Technischen Universität Berlin watet bis zum Knie in den Tegler See. Im Flachwasser nimmt er eine Sandprobe vom Grund. Dort versickert das Wasser in die Tiefe, in die Uferbereiche hinein.

    "Wir haben eine Filtrationsstrecke von 50 bis 100 Metern zwischen dem Seeufer und dem Brunnen. Und wir haben zum einen geguckt, wo findet die Versickerung statt. Und zum anderen haben wir geguckt, wo auf der Versickerungsstrecke die biologischen Prozesse stattfinden und haben festgestellt, dass sie in sehr geringer Tiefe stattfinden."

    Günter Gunkel hat heraus gefunden, dass die wesentliche Wasserreinigung in nur zehn bis fünfzehn Zentimeter Tiefe stattfindet. Die Forscher hatten bisher vermutet, dass auf der gesamten Filterstrecke zwischen Ufer und Brunnen die Schadstoffe abgebaut werden. Dann hat sich der Berliner Limnologe die Sandproben genauer angeschaut. Unter dem Mikroskop. Günter Gunkel fand zwischen den Sandkörnern einen bizarren Mikrokosmos. Eine Lebensgemeinschaft aus Bakterien, Algen und Pilzen, die das Wasser reinigt.

    "Die wichtigste Erkenntnis war zweifellos, dass wir eine extrem hohe Aktivität und Anzahl der Organismen haben. Das hat uns wirklich überrascht. Und diese große Menge ist in der Lage, Stoffe, die mit dem Wasser eingetragen werden, abzubauen, zu veratmen, so dass sie völlig unschädlich werden."

    Milliarden von Bakterien, Algen und Pilzen pro Kubikzentimeter. Damit sie nicht weggespült werden, bauen sie sich netzartige Behausungen zwischen den Sandkörnern. So können sich die Mikroorganismen festhalten. Zum anderen fangen sie mit Hilfe dieser Netze ein Teil der Schadstoffe. Ein raffiniertes Reinigungssystem. Ein Forschungsprojekt des Berliner Kompetenzzentrums Wasser fand 2006 heraus, dass diese Mikroorganismen sogar Arzneimittelrückstände, Hormone und einige Algengifte unschädlich machen. In Berlin ist das Brunnenwasser so sauber, dass es im Wasserwerk nur noch belüftet werden muss, um Eisen und Mangan heraus zu lösen. Dann wird es nur noch über einen Kiesfilter geschickt. Eine kostengünstige Trinkwasseraufbereitung, um die andere Städte der Welt Berlin beneiden. Trinkwasser ohne Ozonbehandlung, Aktivkohlefilterung und Chlor. Die Biologin Alexandra Groß-Wittke erklärt, warum dieses System seit 100 Jahren ohne Verstopfung funktioniert.

    "Es regeneriert sich selbst sozusagen. Die großen Organismen fressen die kleinen. Die Lücken werden dadurch frei gehalten. Die Sandkörner werden abgeweidet vom Bewuchs und so regeneriert sich dieses System immer wieder selbst."

    Günter Gunkel fürchtet um das Gleichgewicht dieses Reinigungssystems. In vielen Flüsse und Seen steigen durch den Klimawandel die Wassertemperaturen an. Die Mikroorganismen zwischen den Sandkörnern erhöhen ihre Aktivität. Verbrauchen aber auch viel mehr Sauerstoff, so dass er schnell aufgezehrt ist. Das wird zum Problem - vermutet der Berliner Limnologe.

    "Wir gehen davon aus, dass das System in der Tat gefährdet ist. Unter diesen Bedingungen können die Organismen nicht mehr überleben. Und dann ist zu befürchten, dass der Reinigungseffekt nachhaltig gestört ist."

    Ohne Sauerstoff kein Leben zwischen den Sandkörnern. Die Uferfiltration könnte auf den Prüfstand geraten. Ob man da gegensteuern kann, das muss erst erforscht werden.