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Das geht auf keine Kuhhaut
Das Rätsel des Jungfernpergaments

Pergament ist der Vorläufer des Papiers und wurde aus den Häuten von Tieren hergestellt. Als besonders dünnes und edles Pergament gilt das sogenannte Vellum. Es wurde angeblich aus der Haut von totgeborenen Tieren oder sogar abgetriebenen Föten hergestellt. Britische Forscher wollten es jetzt genau wissen und untersuchten dazu alte Taschenbibeln.

Von Arndt Reuning | 24.11.2015
    Schwere, dicke Folianten. Reich illuminiert in Gold und Silber. So sahen Bibeln bis zum Ende des Hochmittelalters aus. Im 13. Jahrhundert kamen dann die ersten Taschenbibeln auf den Markt. Sie fassten alle Bücher der Heiligen Schrift in einem einzigen, handlichen Band zusammen. Ermöglicht wurde das durch ein neuartiges, hauchdünnes Material, Jungfernpergament genannt oder wörtlich übersetzt: Gebärmutter-Vellum. "Über die Herkunft dieser Pergamentsorte ist ausführlich spekuliert worden. Der Name legt nahe, dass die Haut dafür von totgeborenen Kälbern stammt. Weil die Taschenbibeln aber üblicherweise ein kleines Format besitzen, glauben andere Experten, dass das Vellum aus der Haut von Kaninchen oder Eichhörnchen gewonnen wurde. Und da die Bibeln im 13. Jahrhundert hergestellt wurden, konnte niemand das genau sagen - bis jetzt."
    Dass das Pergament für rund 20.000 Taschenbibeln, die damals angefertigt wurden, von Tierföten stammt, klang für Sarah Fiddyment unwahrscheinlich. Und daher hat die Forscherin von der britischen Universität von York nun eine Methode entwickelt, mit der sie die Tierart genau bestimmen kann - ohne die wertvollen Schriften zu beschädigen. Mit einem Radiergummi aus PVC, wie er zum Reinigen historischer Manuskripte verwendet wird, schabt sie kleinste Probenmengen von der Oberfläche der Buchseiten. Aus der genauen Zusammensetzung des Kollagens kann die Biochemikerin die Tierart bestimmen, die für das Pergament ihre Haut lassen musste. Die Methode sei in diesem Fall einem DNA-Test vorzuziehen, sagt sie.
    "Kollagen lässt sich viel leichter extrahieren als DNA. Es gibt einfach viel mehr davon in den Proben, Kollagen ist ja ein wichtiger Bestandteil der Haut. Die Analyse des Proteins ist schneller und billiger. Um also einfach nur die Tierart zu bestimmen, ist unser Test viel effizienter als eine DNA-Untersuchung."
    Einfach die Arten genutzt, die vorwiegend als Schlachtvieh gehalten wurden
    72 Taschenbibeln haben Sarah Fiddyment und ihr Team auf diese Weise untersucht, wobei sie üblicherweise mehr als nur eine Seite analysierten. 220 Proben kamen zusammen. Und keine einzige davon lieferte einen Hinweis darauf, dass die Bälge von kleinen Nagetieren zu dem wertvollen Vellum verarbeitet worden wären.
    "Wir haben jedoch etwas anderes entdeckt: Eine große Menge des Jungfernpergaments stammte tatsächlich von Rindern, so wie es angeblich auch sein sollte. Aber wir fanden ebenso zahlreiche Beispiele, in denen das Material auf Ziegen und Schafe zurückging. Verschiedene Tierarten haben also die Haut für dieses besondere Material geliefert, und nicht nur eine einzige."
    Welcher Spezies das Fell über die Ohren gezogen wurde, war regional unterschiedlich. Die Forscher aus York gehen davon aus, dass die Menschen einfach jene Arten nutzten, die vorwiegend in der jeweiligen Gegend als Schlachtvieh gehalten wurden: In Frankreich vor allem junge Kälber, in Italien Ziegen und in England Schafe, die dort ihrer Wolle wegen gezüchtet wurden. Und: Anhand bestimmter Biomarker fand Sarah Fiddyment keine Hinweise darauf, dass das Vellum von Föten stammt.
    "Wir nehmen an, dass es sich um recht junge Tiere gehandelt hat – aber nicht unbedingt um Totgeburten. Es müssen nicht zwangsweise Föten gewesen sein, obwohl ich mir sicher bin, dass sie gegebenenfalls auch verwendet wurden. Bei Ziegen und Schafen lässt sich auch die Haut bereits ausgewachsener Tiere noch zu Pergament verarbeiten. Sie muss dann nur entsprechend lange bearbeitet, abgeschabt werden, bis sie diese außergewöhnliche dünne Schichtdicke erreicht hat."