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Das Gold der Bakterien

Chemie. - Wesentlich umweltfreundlicher als Plastikprodukte sind Einmalartikel aus nachwachsenden Rohstoffen. Welche Methoden, Substanzen und Produkte dafür infrage kommen, erörterten Experten auf der Tagung "" in Gelsenkirchen.

Von Sascha Ott | 03.02.2006
    70 US-Dollar - auf dieses Rekordhoch stieg der Ölpreis im vergangenen August. Für dieses Jahr prophezeien die Experten neue Höhenflüge. Mit dem Ölpreis steigt die Stimmung unter den Verfechtern nachwachsender Rohstoffe. Denn die technischen Verfahren stehen längst zur Verfügung: Kunststoffe, Lösemittel und Textilfasern können auch ohne Erdöl aus Stärke oder Zellulose hergestellt werden. Der steigende Ölpreis erleichtert der alternativen Technik den Markteinstieg, erklärt Udo Mühlbauer vom Berliner Anlagenbauer Uhde Inventa Fischer:

    "Unsere Berechnungen zeigen, dass man in den wirtschaftlichen Bereich kommt, wenn der Rohölpreis um die 80 US-Dollar liegt. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass speziell in Deutschland es ja den Grünen Punkt gibt, der ja auch noch mal einen Euro pro Kilo kostet – diese Kosten würden dann bei biologisch abbaubaren Kunststoffen nicht anfallen – dann kommt man schon jetzt in den Bereich der Wirtschaftlichkeit."

    Bis zum Jahr 2020 sollen 20 Prozent der Chemikalien, Werkstoffe, Brenn- und Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen in so genannten "Bioraffinerien" hergestellt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Industrie ein möglichst breites Spektrum an alternativen Chemikalien angeboten werden. Deshalb hat das amerikanische Department of Energy nach neuen viel versprechenden Substanzen gesucht. Wie bei einer Casting-Show im Fernsehen wurden die Stärken der Kandidaten getestet: Marktchancen, Herstellungskosten und Innovationspotential.

    "Und aus diesem Casting von 300 Substanzen wurden dann letztendlich zwölf Substanzen ausgewählt und die Bernsteinsäure ist eben einer von diesen Top-12-Kandidaten, denen ein großes Potential als Plattform-Chemikalie zugemessen wird."

    In die Bernsteinsäure setzt Dr. Ute Merrettig-Bruns vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen besondere Hoffnungen. Der amerikanischen Studie zufolge eignet sich die Bernsteinsäure hervorragend als so genannte Plattformchemikalie. Das bedeutet: Sie könnte in Zukunft die Grundlage für viele unterschiedliche Produkte und Verfahren der chemischen Industrie bilden. Bisher allerdings wird die farblose Säure nur auf Basis von Erdöl produziert. Die Fraunhofer-Forscher arbeiten jetzt an einem alternativen Verfahren: Dabei nutzen sie, dass die Bernsteinsäure Teil des Stoffwechsels vieler Lebewesen ist. In einer Versuchsanlage stellen nun Bakterien die Säure aus Stärke her.

    "Wir haben verschiedene Stärkesorten getestet – Maisstärke, Kartoffelstärke, Weizenstärke – aber mit Maisstärke geht es wirklich am besten. Die Maisstärke wird als Substrat genutzt von den Bakterien. Stärke wird tatsächlich abgebaut, umgesetzt, umgewandelt in verschiedenen Stoffwechselprozessen. Und als Endprodukt wird dann tatsächlich die Bernsteinsäure ausgeschieden."

    Das klingt einfacher als es ist, denn die Bakterien sind wählerisch. Nur bei der richtigen Konzentration von Kohlendioxid und Kohlenhydraten scheiden die Bakterien eine rentable Menge Bernsteinsäure aus. Damit aus dem Labormodell eine großtechnische Anlage wird, soll die Palette der Einsatzmöglichkeiten erweitert werden. Bisher verwendet man die Säure vor allem in der Lebensmittelchemie. Jetzt sollen neue Kunststoffe, Textilfasern und biologisch abbaubare Lösemittel auf der Basis von Bernsteinsäure entwickelt werden.

    "Ein Anwendungsbereich, der auch konkret angedacht wird, ist ein ganz anderer: Nämlich Bernsteinsäuresalze als Enteisungsmittel für Straßen und Flughäfen. Neben der Gefrierpunkterniedrigung, also den Enteisungseigenschaften, sind Bernsteinsalze weniger korrosiv. Also sie sind wesentlich umweltfreundlicher als andere Salze, werden halt biologisch auch wieder abgebaut und sind wesentlich schonender zu Oberflächen."

    In Frankreich wird jetzt eine erste Fabrik gebaut, die pro Jahr 200 Tonnen Bernsteinsäure aus Stärke gewinnen soll. Diese Menge reicht für einen konkurrenzfähigen Preis längst noch nicht aus. Aber damit wäre immerhin ein Anfang gemacht, um der neuen alternativen Chemikalie den Weg in den Markt zu ebnen.