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Das Internet der Dienste

Informatik.- In Leipzig haben sich Deutschlands Informatiker in dieser Woche zu ihrer 40. Jahrestagung getroffen. Ihre Wissenschaft, darüber ist sich die Fachwelt einig, soll ein neues Image bekommen.

Von Peter Welchering |
    "Wir sehen das als eine Wissenschaft, die sich mit der Entwicklung von Diensten und vor allen Dingen mit der Integration von Diensten beschäftigt, die vor allem natürlich übers Internet integriert und konfiguriert werden können."

    Dieser Ansatz geht weit hinaus über solche Konzepte, wie zum Beispiel "Software als Service", "Computerdienstleistungen aus der Steckdose" oder das "Ambient Computing", also Computer, die versteckt in der Kleidung oder in den Kühlschrank eingebaut sind, automatisch Informationen austauschen und dem Menschen damit viele Besorgungen abnehmen können. Mit der Service Science will sich eine Informatik etablieren, die individuelle, auf den Benutzer zugeschnittene Dienste und flächendeckende Dienstleistungen mit einander verbindet. Professor Jähnichen nennt ein Beispiel.

    "Ich kann mir als Benutzer selber überlegen, ich will ins Kino, und den Kinodienst, den ich da habe, den möchte ich gerne noch mit einem Restaurantdienst verbinden und dann möchte ich noch einen Fahrplandienst im Prinzip involvieren und vielleicht notfalls auch noch einen Taxidienst, der mir das alles zusammenbaut. Ja, das wäre für einen Benutzer im Internet jetzt ganz schön, ich bau mir das zusammen, und immer wenn ich ins Kino gehen will, dann drücke ich aufs Knöpfchen und kriege das alles gleich geregelt."

    Die ganzheitliche Patientenüberwachung in Krankenhäusern und zu Hause mit vielen Sensoren und Auswerteprogrammen ist ein weiteres Beispiel, das sogar die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen ein wenig dämpfen könnte. Und die "Service Science" verbindet sogar Digitales mit dem guten alten Papier. Wie das gehen soll, hat der Darmstädter Informatiker Jürgen Steimle in seiner Doktorarbeit untersucht.

    "In diesem Projekt werden digitale Stifte eingesetzt, das sind Annotor-Stifte, eine kommerziell verfügbare Technologie. Diese Stifte ermöglichen es, dass man auf gewöhnlichem Papier ganz normal, wie mit einem herkömmlichen Kugelschreiber schreiben kann, das heißt, man verwendet Papier, wie man es alltäglich verwendet, zum Kommentieren, zum Markieren, auch um Informationen zu strukturieren und zu organisieren. Das Besondere bei dieser Technologie ist, dass die Inhalte gleichzeitig automatisch digital erfasst werden und an einen Computer übertragen werden. Dadurch sind alle Inhalte, die man geschrieben hat, auch automatisch digital verfügbar."

    Die Service Science Informatik muss sich deshalb intensiv um Schnittstellen kümmern, über die alle diese Dienste miteinander verbunden werden können und sollen. Stefan Jähnichen.

    "Wir reden über Schnittstellen, mit denen ich Services verbinden kann. Und das muss man standardisieren können. Der wirtschaftliche Vorteil für eine Firma, sich auf diesem Gebiet engagieren zu wollen, ist nur dann zu realisieren, wenn man die Standards selbst in der Hand hat oder zumindest mit definiert hat."

    Die Informatik mit ihren teilweise vom Benutzer schon gar nicht mehr wahrgenommenen Diensten darf deshalb nicht nur in technischer Hinsicht betrachtet werden. Begleitforschung ist notwendig, die die Auswirkungen auf die Gesellschaft untersucht. Und da müssen die Informatiker auch aus der Geschichte lernen, meint der Bremer Technikhistoriker Hans Dieter Hellige, der auf der Jahrestagung einen viel beachteten Vortrag über "die Kontrollnetze und rechnenden Räume des Konrad Zuse im Dritten Reich" hielt. Zuse ...

    "...wollte eine unmittelbare bürokratische Kontrolle durch ein unmerkliches technisches System ersetzen, Und wenn wir heute die Google-Welt sehen, wo alles beobachtet wird, alles unmerklich, dann könnte man sagen, hier sollte man mal schauen, wie schnell kann so etwas umkippen. Da muss man viele Fragezeichen setzen und sagen: Aufpassen. Insofern sind die Zuse’schen Visionen für uns heute doch ein interessantes Lehrbeispiel."

    Aus der Geschichte zu lernen und gesellschaftliche Auswirkungen der eigenen Arbeit zu bedenken, das scheint für viele Informatiker immer noch ungewohnt zu sein. Die 40. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik hat gezeigt, dass sie sich dieser ungewohnten Herausforderung stellen wollen.