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"Das kann man nicht runterspielen"

"Man kann sich nicht damit rausreden, dass andere es auch tun", sagt der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, über die Missbrauchsfälle. Die Kirche sei eine Instanz mit hohen moralischen Anforderungen.

Franz-Josef Bode im Gespräch mit Silvia Engels | 17.02.2010
    Silvia Engels: Immer mehr Missbrauchsopfer durch katholische Priester in den 70er- und 80er-Jahren melden sich in diesen Tagen in Deutschland zu Wort, vor allem in Berlin. Dort hatte die Bekanntgabe einiger Fälle sexuellen Missbrauchs durch Lehrer am katholischen Canisius-Kolleg den Stein ins Rollen gebracht. Daneben gibt es auch einen anderen Fall, der jetzt zeitlich zusammenfällt. Gestern traf sich Papst Benedikt XVI. im Vatikan mit irischen Bischöfen. Dort waren mehrere hundert schwere Missbrauchsfälle bekannt geworden.
    Das Thema, wir haben es gerade gehört, wird derzeit auch in Deutschland diskutiert. Morgen wird die beauftragte Berliner Rechtsanwältin Ursula Raue einen Zwischenbericht über die bekannt gewordenen sexuellen Missbrauchsfälle am von Jesuiten geführten Canisius-Kolleg abgeben. Schon im Vorfeld war bekannt geworden, dass es mittlerweile bundesweit rund wohl 100 Missbrauchsfälle an verschiedenen katholischen Schulen gegeben hat. Die Berliner Jesuiten haben heute zu einem Gebet eingeladen. Es gehe um eine Demonstration der Trauer, der Schuld und der Scham, sagte der Sprecher der deutschen Ordenszentrale in München.
    Am Telefon ist der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Er ist Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz. Guten Morgen, Herr Bode.

    Franz-Josef Bode: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Wir haben es gerade im Beispiel von Irland gehört. Diese beiden Fälle hängen nicht zusammen, aber da gab es ein Versagen der kirchlichen Autoritäten. Sehen Sie das auch in Deutschland?

    Bode: Ich denke, dass wir früher diese Fälle in den 70er-Jahren oft so verstanden haben, wenn sie dann bekannt wurden, dass man vielleicht durch Läuterung oder durch Auszeiten oder Exerzitien oder Therapien das lösen konnte, und man war nicht immer davon überzeugt, dass das eine lebenslange Prägung ist, und ist vielleicht damit dann nicht rigoros genug umgegangen und hat geglaubt, dass man durch Versetzung oder durch eine Zeit, die jemand nicht im Dienst ist, dass er einen neuen Anfang setzen kann sozusagen durch festen Willen oder so etwas. Darüber sind natürlich inzwischen ganz andere Erkenntnisse da, wie sehr diese Prägungen auch lebenslänglich sind und immer wieder auftauchen können, und deshalb haben wir ja in den letzten Jahren uns als Bischofskonferenz ja schon damit befasst und auch konkrete Überlegungen gemacht, wie denn, wenn jemand sich meldet, eine Vorgehensweise ein Prozedere sein kann und wo er sich bei einer unabhängigen Stelle melden kann. Wir haben eine solche Kommission in unserem Bistum schon seit einigen Jahren und das ist ein sehr viel objektivierterer Weg und der ist auch, glaube ich, in den letzten Jahren sehr viel positiv auch aufgenommen worden.

    Engels: Bischof Bode, da geht es um diejenigen, die sich melden. Aber muss nicht die Bischofskonferenz auch selber, muss die Katholische Kirche nicht selber auch mehr dem hinterherspüren? In diesen Fällen der 70er-, 80er-Jahre haben ja diese Versetzungen dazu geführt, die fehlende Kommunikation dazu geführt, dass eben diese Missbrauchsfälle dann an anderen Schulen offenbar weitergingen.

    Bode: Da bin ich auf jeden Fall der Meinung, dass die Kommunikation über diese Fragen vertieft werden muss und auch die Prävention. Jetzt als Jugendbischof kann ich sagen, dass wir uns sehr viel Gedanken machen zum Beispiel bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Zeltlagern, in der Jugendarbeit. Es gibt Kurse inzwischen über den Umgang mit jungen Leuten und wie auch Dinge missverstanden werden können und wie wir auch mehr noch herausbekommen können, ob Menschen mit einer solchen Prägung in unsere Jugendarbeit hineinkommen. Das ist zurzeit ein großes Thema, wie man da noch präventiver auch drangehen kann, und wir prüfen sehr viel mehr die Verantwortungen in Jugendverbänden und vor allen Dingen in den Zeltlagern, die ja zu Hauf in den Gemeinden stattfinden, wer sich da ehrenamtlich und hauptamtlich einfindet. Das, glaube ich, ist in der letzten Zeit sehr viel stärker bedacht worden.

    Engels: Kommende Woche befasst sich auch die Bischofskonferenz mit diesem Thema sexuellen Missbrauchs. Was erwarten Sie vielleicht auch an ganz konkreten Kommissionen, an ganz konkreten Geldern?

    Bode: Ich kann von konkreten Ergebnissen jetzt wenig sagen, weil das ja ein sehr komplexes Thema ist und sehr differenziert behandelt werden muss. Die Dinge liegen manchmal nicht so klar auf der Hand, wie man das so öffentlich jetzt sagt, sondern Verdächtigungen müssen ja geprüft werden und Glaubwürdigkeiten, und manchmal ist die Wahrheit ganz schwer auch rauszufinden. Deshalb, glaube ich, müssen wir als Bischofskonferenz uns, möchte ich sagen, mit verschiedensten Fragen dazu, einmal zur Prävention, dann ob diese Kommissionen, die eingesetzt worden sind, also das Verfahren, ob das greift, was macht man mit denen, die verdächtigt worden sind, aber wo die Strafverfahren eingestellt worden sind, und was macht man mit denen, die eine Strafe abgebüßt haben, nachträglich und wie gehen wir - das ist die wichtigste Frage - noch gerechter mit den Opfern um, welche Hilfen können wir dafür geben, das, glaube ich, ist ein ganzes Paket von Fragen, das da behandelt werden muss.

    Engels: Haben Sie da schon eine Idee, in welche Richtung es geht?

    Bode: Ich denke, dass der eingeschlagene Weg, den wir in der letzten Zeit hatten, wie ich ihn im Bistum hier auch erlebe, dass wir Personen haben, die jetzt nicht Kleriker sind, bei denen man sich melden kann, dass es ein Verfahren gibt, eine Kommission, und dann denke ich mal, dass wir gerade auch im psychologischen und begleitenden Sinn - die Kirche hat ein großes Netzwerk ja von Hilfen - den Opfern anbieten können.

    Engels: Der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes, hat auch finanzielle Entschädigung für die Opfer nicht ausgeschlossen. Was sagen Sie?

    Bode: Da kann ich Ihnen im Moment noch gar nichts zu sagen. Ich meine, dass es mehr eine Form der Entschädigung sein muss, die ihnen als Menschen durch Begleitung, durch Aufarbeitung hilft. Ich denke, dass Geld da eigentlich nicht das entscheidende Mittel ist, aber darüber kann ich im Moment noch gar nichts sagen, wie sich das entwickeln wird. Ich bin der Meinung, dass wir andere Hilfen haben.

    Engels: Gerechtigkeit für die Opfer, wie kann denn das nach all diesen Jahren noch anders laufen als über Geld, oder beispielsweise auch als eine klare öffentliche und vielleicht auch eine Entschuldigung durch den Papst?

    Bode: Das ist eine Frage, die wir sicher erörtern müssen. Der Papst hat ja jetzt schon bei den irischen Bischöfen sehr Klartext gesprochen und hat das ja alles sehr deutlich ausgesprochen und die Transparenz ist im Ganzen ja sehr viel größer geworden. So wie ich diesen Papst kenne, schmerzt ihn das wirklich bis zum Äußersten, und da werden wir eine Form finden müssen, wie wir uns auch jetzt nach der Bischofskonferenz dazu erklären. Wir stehen wie gesagt ja in der Fastenzeit und werden uns überlegen müssen, wie wir uns dazu stellen.

    Engels: Aber eine konkrete Entschuldigung, wie zum Beispiel viele irische Missbrauchsopfer das fordern, hat Benedikt XVI. bis jetzt nicht abgegeben?

    Bode: Ja, gut. Wir müssen sehen, wie wir jetzt damit umgehen. Ich denke, dass auch die Entschuldigung, die in vielerlei Hinsicht ja sonst schon auch ausgesprochen worden ist - ich habe im Jahr 2000 in unserer Bitte um Vergebung für Dinge, die in der Kirche passiert sind, auch diese Fälle mit genannt; das ist durchaus ja auch schon öfter geschehen und ich erinnere mich, bei dem Besuch in Australien beim Weltjugendtag hat der Papst auch noch mal ganz deutliche Worte gefunden, was von ihm damals auch erwartet wurde beim Weltjugendtag in Australien. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich dazu äußert.

    Engels: Jetzt wird auch nach Ursachen gesucht. Bischof Mixa aus Augsburg hat sich zu Wort gemeldet. Er macht gestern in einem Interview unter anderem auch die sogenannte sexuelle Revolution als gesellschaftliche Ursache für die Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche aus. Deckt sich das mit Ihrer Meinung?

    Bode: Ich bin vorsichtig, so schnell solche Ursachen einseitig zu benennen. Das ist wahrscheinlich eine sehr differenzierte Sache. Natürlich ist unsere Gesellschaft insgesamt sexualisierter geworden. Auf der anderen Seite haben wir uns manchmal in der Sexualmoral nicht auf ganz differenzierte Wege auch eingelassen. Ich glaube, dass es eine Vielfalt von Problemen gibt, die allerdings nicht, das würde ich ablehnen, am Zölibat hängen, weil man ja auch nicht nur unter Zölibatären das findet, sondern unter allen, die mit Kindern und Jugendlichen oder in Erziehungsberufen tätig sind. Ich denke, dass das Ursachen hat in dem gesamten Umgang. in der Kultur der Sexualität, die in den letzten Jahren auch durch die sexuelle Revolution nicht besser geworden ist.

    Engels: Bischof Mixa argumentiert auch, die Zahl der Missbrauchsfälle in katholischen kirchlichen Einrichtungen liege statistisch gesehen im verschwindend geringen Promillebereich. Kann sich denn die moralische Instanz Kirche mit dem Argument begnügen, auch nicht schlimmer zu sein als andere Institutionen?

    Bode: Nein. Das Argument kann man zunächst als Zahl benennen, damit es sachlich auch dargestellt ist, aber ich denke, jeder Einzelfall ist zu viel und man kann sich nicht damit rausreden, dass andere es auch tun, sondern wir müssen die einzelnen Fälle und den Einzelnen ernst nehmen und ich denke, dass da jede Tat zu viel ist. Man kann das zur Sachlichkeit insgesamt einordnen, aber für uns bleibt die Herausforderung als eine Instanz, die solche hohen Anforderungen auch moralischer Art stellt, eine ganz besondere Herausforderung. Das kann man nicht runterspielen.

    Engels: Der Vorsitzende der Jugendkommission der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz, der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Bode: Ja. Bitte schön, Frau Engels.