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Das Kreuz mit dem Kreuz

"Das Kruzifix bleibt hängen", verkündete Verteidigungsminister Ignazio La Russa in einer populären Talkshow.

Kirstin Hausen | 30.06.2010
    "Sie können ruhig daran sterben, die UNO und all diese internationalen Organismen zählen sowieso nichts","

    fügte er hinzu. Ein Eklat? Mitnichten. La Russa hat sich weder entschuldigt, noch seine Aussage zurückgenommen. Seine Abneigung gegen supranationale Institutionen deckt sich mit der Angst der Italiener, bevormundet zu werden. Nicht von der eigenen Regierung, auch nicht unbedingt von den Vereinten Nationen, sondern vor allem von der EU. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der ein Ehepaar aus Abano Terme in seiner Forderung, die Kruzifixe aus den staatlichen Schulen zu entfernen, unterstützte, wird zum Hassobjekt. Und die Familie aus der Kleinstadt in Venetien erhält Morddrohungen.

    Er spricht bedächtig, dieser Mann, der vor fast zehn Jahren mit dem Schuldirektor in Abano Terme über das Für und Wider von Kruzifixen in Klassenzimmern stritt.

    ""Begonnen hat alles mit meiner Überzeugung, das die Erziehung meiner Kinder in einer öffentlichen Schule neutral erfolgen soll, der Staat muss neutral bleiben."
    Der Schuldirektor weigerte sich, die Kreuze aus den Klassenzimmern zu verbannen, und es begann ein Klageweg, der bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führte.

    "Ich war gezwungen, diese Wahl zu treffen, weil ich sonst gegen meine Prinzipien gehandelt hätte."

    Die italienischen Gerichte lehnten seine Klage jedoch ab. Sie interpretierten das Kruzifix nicht nur als religiöses, sondern auch als kulturelles Symbol und als Teil der italienischen Identität. Es sei Anders- und Nichtgläubigen deshalb zumutbar, in einem Raum mit Kreuz zu lernen. So sieht es auch Monsignor Edoardo Menichelli, Erzbischof von Ancona und Sekretär der Kommission für Familienbelange der italienischen Bischofskonferenz.

    "Es ist wichtig zu lernen, die eigene Identität zu verteidigen. Wir müssen wissen, wer wir sind, denn nur, wenn du weißt, wer du bist, kannst du in Dialog mit anderen treten. Ich sehe in diesem Urteil eine falsche Lesart dessen, was Europa jahrtausendelang geprägt und ausgemacht hat."

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat anders entschieden. Ein Großteil der italienischen Bevölkerung sieht sich mit dem Urteil aus Straßburg in seiner kulturellen Identität bedroht..

    "Ich will, dass es bleibt als Symbol des Christentums."

    "Wenn jemand nicht an Gott glaubt, dann dürfte ihn ein Symbol dieses Gottes, an den er nicht glaubt, doch gar nicht stören."

    "Das Kreuz gehört zu unserer Kultur und muss bleiben."

    Die Frage eint Italiens Politiker, Regierungsvertreter, wie Opposition. Ihrem Kampf für das Kreuz im Klassenzimmer hat sich Pierluigi Bersani von der Demokratischen Partei mit den Worten angeschlossen, "das Kruzifix beleidige niemanden".
    Widerspruch kommt nur zaghaft. Als eine italienische Schülerin in ihrem Internetblog das Urteil begrüßte, hagelte es wütende Kommentare und Beschimpfungen. Die das Mädchen jedoch nicht einschüchterten, sondern zu dieser Videobotschaft per web veranlassten.
    "Und wenn ich Buddhistin wäre? Das Kruzifix über meinem Kopf könnte mich verletzen. Ist deine Religion wichtiger als meine? Das Urteil ist ein wichtiges Signal an Italien, wachen wir auf!"