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Das Recht auf Wissen und Nichtwissen

Der Deutsche Ethikrat hat sich mit der Zukunft der genetischen Diagnostik auseinandergesetzt und nun seine Ergebnisse vorgestellt. Im Gespräch mit Monika Seynsche erläutert Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth die Details.

Von Volkart Wildermuth | 30.04.2013
    Monika Seynsche: Aus dem Erbgut eines Menschen lassen sich jede Menge Informationen herauslesen. Hinweise auf die Augenfarbe zum Beispiel, aber auch auf das Risiko, irgendwann im Laufe des Lebens an einer bestimmten Krankheit zu leiden. Gleichzeitig fallen und fallen die Kosten für die Sequenzierung des Erbguts. Und die Methoden werden schneller und auch empfindlicher. Einerseits ist es gut, denn so können Krankheiten frühzeitig erkannt werden. Andererseits zieht diese Genomforschung aber auch einen Rattenschwanz ethischer Probleme nach sich. Denn würden Sie zum Beispiel wissen wollen, dass Sie irgendwann an einer unheilbaren Krankheit sterben werden? Der Deutsche Ethikrat hat heute eine Stellungnahme zur genetischen Diagnostik veröffentlicht. Mein Kollege Volkart Wildermuth hat sie gelesen und ist uns jetzt aus Berlin zugeschaltet. Das ist ja nicht das erste Mal, dass sich der Ethikrat zur Gendiagnostik äußert. Warum jetzt diese erneute Stellungnahme?

    Volkart Wildermuth: Das war 2003 – da hat sich der damals noch Nationale Ethikrat mit der pränatalen genetischen Diagnostik beschäftigt. Jetzt hat die Bundesregierung den Deutschen Ethikrat aufgefordert, sich nochmal zu positionieren. Und zwar ganz einfach, weil die technische Entwicklung so rasant ist, dass neue ethische Fragen auftauchen. Das fängt ja damit an, dass heutzutage nicht mehr gezielt einzelne Gene untersucht werden, sondern dass man im Grunde aufs Blaue das Ganze Genom analysieren kann. Das ist eine neue Entwicklung. Eine andere neue Entwicklung ist, dass solche Gentests über das Internet verfügbar sind, dass sie im pränatalen Bereich schon im Blut der Mutter gemacht werden können, um Aussagen über das werden Leben zu gewinnen – dass also die Hürde für solche Gentests deutlich gesunken ist.
    Seynsche: Und was steht jetzt in dieser Stellungnahme drin? Also was empfiehlt der Deutsche Ethikrat?

    Wildermuth: Also das ist eine ganze Liste von Forderungen. Im Grunde ist aber das Interessante, dass vorher ausführlich die Probleme aufgearbeitet werden. Zentral ist, damit jeder selbstbestimmt damit umgehen kann, die Aufklärung. Bisher legt ja das Gendiagnostikgesetz vor, dass der Arzt sagen muss, ‚dieses Gen wollen wir untersuchen, dabei kann folgendes herauskommen‘. Und dann schließen sich diese Therapiemöglichkeiten an. Das ist natürlich nicht mehr möglich, wenn das komplette sequenziert ist. Denn es sind dreieinhalbtausend Gene für Erbkrankheiten bekannt, es sind unendliche Varianten, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Alzheimer und so weiter beeinflussen, bekannt. Da kann der Arzt nicht jedes einzelne aufklären. Und deshalb sagt der Ethikrat, müssen da ganz neue Lösungen ran. Eine Möglichkeit wären sozusagen Pauschaleinwilligungen. Sodass ich als Patient sage, ‚ich will nur über Dinge informiert werden, für die es eine Therapie gibt‘ oder ‚ich will nur über Dinge informiert werden, die eine ganz hohe Wahrscheinlichkeit haben, dass sie tatsächlich auch eintreten‘. Also da müssen neue Möglichkeiten gefunden werden. Ganz wichtig ist die Frage: Wie geht man mit Minderjährigen um? Da, sagt der Ethikrat, ist das Recht auf Nichtwissen entscheidend. Da sollen die Eltern nicht sagen können, wir machen jetzt mal eine Genomanalyse und gucken mal, sondern da sollen wirklich nur bei konkreten Fragestellungen konkrete Gene analysiert werden, damit sich dann die Kinder und Jugendlichen, wenn sie selbst erwachsen sind, frei entscheiden können, was sie über ihr Erbgut wissen wollen, und was nicht.

    Seynsche: Es gibt ja ganz viele Risiken, ganz viele Wahrscheinlichkeiten, dass eine Krankheit auftreten könnte. Das sind aber immer nur Risiken oder Wahrscheinlichkeiten und in den seltensten Fällen die konkrete Krankheit aus den Genen ablesbar. Muss da also auch der Patient umdenken und besser mit diesen Informationen umgehen können, sie besser einschätzen können?

    Wildermuth: Ein gewisses Grundverständnis für Statistik ist da extrem Hilfreich. Es ist auch wirklich die Frage, was man damit anfängt, dass man gesagt bekommt, Sie haben ein doppelt so hohes Risiko, Alzheimer zu bekommen. Das tritt dann bei den meisten eben am Ende doch nicht ein. Also da muss man ein neues Gefühl, Gespür dafür kriegen, was das eigentlich für einen selber bedeutet. Und der Ethikrat sagt, vielleicht braucht man auch ein neues Berufsbild, den genetischen Berater. Denn die Ärzte können das im Grunde gar nicht leisten. Es gibt gar nicht genügend Ärzte für Humangenetik, die dieses Verständnis wecken könnten. Vielleicht muss das also dieses neue Berufsbild heran. Das ist eine der Forderungen, oder zumindest eine der Überlegungen, die der Ethikrat hier anstellt.

    Seynsche: Und was folgt jetzt auf diese Stellungnahme? Also sind das Handlungsempfehlungen – für die Bundesregierung zum Beispiel?

    Wildermuth: Ja, es gibt einige konkrete Hinweise, die wurden ja den Nachrichten auch schon genannt, dass man zum Beispiel ein Internetportal macht, das die verschiedenen Gentests erläutert. Dann gibt es Änderungen im Gendiagnostikgesetz. Damit das zum Beispiel in Zukunft auch Gentests über das Internet miteinschließt. Die fallen da zum großen Teil bisher noch gar nicht drunter. Und es gibt natürlich Empfehlungen, die sich insbesondere mit der pränatalen Diagnostik beschäftigen. Und da gab es dann auch Auseinandersetzungen, ganz unterschiedliche Positionen – die einen sagen, man muss diese pränatale Diagnostik deutlich einschränken, die anderen sagen: Warum soll man die Neugier der Frau infrage stellen? Die wird schon ihre Gründe haben, wenn sie das wissen will. Also da gibt es innerhalb des Ethikrats Streitigkeiten. Ich denke, diese Forderungen zur Änderung des Gendiagnostikgesetzes sind sehr vernünftig. Die werden sich schnell umsetzen lassen. Beim Schwangerschaftsabbruch ist die Diskussion wahrscheinlich noch ganz am Anfang.