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Das Unternehmertum als Tugend

Unternehmer sind nicht mehr nur in klassischen Firmen anzutreffen, es gibt sie heute auch in Krankenhäusern und an Universitäten. Sie schaffen rentable Strukturen und gleichzeitig etwas Neues. Unternehmerische Strukturen bringen Wettbewerb, und so wird höher, schneller, weiter auch an zuvor untypischen Standorten größer geschrieben.

Von Kersten Knipp | 20.03.2008
    Der Unternehmer ist eine schillernde Figur. Eine Figur, die viele herausfordert, die inspiriert und zugleich beleidigt. Denn der Unternehmer, so steckt es schon im Wort, unternimmt etwas. Etwas zu unternehmen, aktiv zu werden, sich von den Verhältnis nicht beherrschen zu lassen, sondern sie nach Möglichkeit zu verändern - eine solche Leistung ist alles andere als selbstverständlich. Im Grunde geht sie den ganzen Menschen an, und zwar nicht nur acht Stunden täglich, sondern den ganzen Tag über, jeden Tag der Woche. Denn wer etwas unternehmen, nach vorne bringen, entwickeln will, der ist permanent gefordert.

    Gelegentlich sogar überfordert. Und er fordert andere. Vielleicht überfordert er auch sie. Er verlangt ihnen ab, möglichst viel, am liebsten alles zu geben. Und wenn diese Forderung im Hochkapitalismus zum Standard wird, dann, so Ludger Heidbrink, einer der wissenschaftlichen Leiter der Tagung, führt das zu jenem schlechten Image, das das Unternehmertum derzeit auch hat.

    "Die ursprüngliche Idee, dass wir im Moment beobachten, dass das Leitbild des Unternehmertums für unsere Gesellschaft immer wichtiger wird, auf der anderen Seite aber auch sehr umstritten ist. Also es gibt auf der einen Seite die Tendenz, alles, was mit dem Unternehmertum in der freien Marktwirtschaft zusammenhängt, zu kritisieren. Die Angst davor, dass da so etwas wie ein Ökonomisierung der Lebensformen folgt, dass wir alle dem Wettbewerbsdruck unterliegen, dem Leistungsdruck unterliegen, dass das Individuum sozusagen vermarktlicht wird und zugerichtet wird."

    Dennoch, der Unternehmer besticht weiterhin. Er gilt als Leitbild der Gesellschaft, dessen Beispiel man, dem alle folgen sollten. Der Unternehmer bewegt etwas, und das ist spätestens seit Romans Herzogs Rede vom Ruck, der durch Deutschland gehen müsse, zu einem Ideal geworden. Latent, so Ludger Heidbrink, gilt der Unternehmer auch als gesellschaftliche Lichtgestalt.

    "Wir beobachten in vielen Bereichen, dass das Leitbild des Unternehmertums zu einem neuen Vorbild geworden ist, von Reformprozessen vor allen Dingen, also gerade im Bereich der öffentlichen Einrichtungen gibt es die neuen public-management-Bewegungen, die dafür sorgt, dass eben Verwaltungseinrichtungen und andere Institutionen effektiver arbeiten. Also auch Universitäten und Krankenhäuser werden nach dem Leitbild des Unternehmens neu organisiert."

    Der Unternehmer als Vorbild. Als kreative Gestalt. Vielleicht ist er sogar ein Schöpfer. Und dann könnte er sich auch kultureller Wertschätzung erfreuen. Das deutet zumindest die Kulturgeschichte an. So wies der Philosoph Peter Koslowski auf eine seltsame Koinzidenz hin: Just in dem Moment, als die deutsche Romantik den Dichter als inspiriertes, schöpferisches Wesen feierte, etablierte sich erstmals auch jenes Bild vom Unternehmer, wie es heute bekannt ist. Ist der Unternehmer zuletzt also ein Dichter? Vielleicht zu Teilen, meint Koslowski.

    "Ja also das fällt eigentlich in die Zeit der Romantik, die Idee, dass der Dichter und der Unternehmer gemeinsam haben, dass sei was Neues erdenken, was es vorher nicht gab. Aber es ist nur ein Teil. Also ein Unternehmer, der nur Dichter ist, der packt es auch nicht. Also ein Dichter, der braucht sich nicht darum zu kümmern, ob das jetzt Gewinn bringt oder nicht, aber der Unternehmer muss das. Und das scheint mir die Kunst zu sein: Was Neues zu entwickeln, eine neue Idee zu haben und gleichzeitig sie ganz streng und ökonomisch und rational zu verwirklichen."

    Der Unternehmer als tatkräftiger Dichter, vielleicht ist diese Formel gar nicht so entlegen. Denn der Dichter lebt von Inspirationen. Und genau das tut auch ein Unternehmer. Aber nicht nur er. Sondern das ganze Unternehmen. Innovationen, Ideen, Entwicklungen: Ein Betrieb, so der Philosoph und Unternehmer Sven Murmann, lebt zuletzt von nichts anderem als der Inspiration seiner Mitarbeiter.

    "Und das ist sozusagen ein Firmenwert, der in der Bilanz nicht auftaucht, der aber eigentlich den Unternehmenswert ausmacht. Auch wenn man über den Verkauf eines Unternehmens mit einem Käufer spricht, wird man vor allen Dingen auch darauf verweisen. Hier sehe ich ganz deutlich einen Trend innerhalb der Wirtschaft, dass man diesen immateriellen Vermögenswerten in einer Wissensgesellschaft mehr Bedeutung gibt. Und das denke ich, ist nicht nur eine Entwicklung, die kurzfristig nur an die New Economy gebunden ist, sondern das ist etwas Nachhaltiges, das jetzt auch langsam in die älteren Industrien eindringt."

    Unternehmertum und Inspiration. Vielleicht, kann man daraus folgern, ist der Kapitalismus ja eine gewaltige Inspirationsmaschine: Wer sein Geld am Markt verdient, muss sich etwas einfallen lassen. Er muss auf der Höhe der Zeit sein, muss Strömungen, Entwicklungen, Bedürfnisse erkennen. Ein Unternehmer muss ganz auf der Höhe seiner Zeit sein, direkten Draht zur Gegenwart halten.

    Genau das aber gilt als Anforderung traditionell nicht nur an den Unternehmer, sondern an jeden Menschen. Nutze deine Möglichkeiten, sei schöpferisch, unternimm etwas - das, so der Philosoph Dieter Thomae, ist eine uralte Maxime, die längst nicht nur auf die Wirtschaft beschränkt ist. So verstanden, ist die Ökonomie des Geldes eigentlich nur ein Nachbild der Ökonomie der Seele. Die aber lässt die Wirtschaft in neuem, durchaus fragwürdigem Licht erscheinen.

    "Und von da aus erscheint dann das Unternehmerische im engen, ökonomischen Sinn dann wie eigentlich so eine Art Schrumpfversion. Und dann kann man plötzlich auf diese Weise das Ökonomische wieder kritisieren, nämlich dass die zum Beispiel sich primitive Vorstellungen darüber machen, wie man so seine Haut zu Markte trägt. Dass die zu wenig darüber nachdenken, wie man jetzt diese Bildungsprozesse eigentlich befördert, sondern nur die Ergebnisse abgreifen wollen und so weiter. Und das heißt also bei Lebensführung - das ist ja das Stichwort, über das wir hier nachdenken - ist ganz entscheidend, dass man auch bei diesem Führen diese Ambivalenz mithorcht."

    So verstanden, wird das Unternehmerische zur Anrufung - zu einer höchst zweideutigen Anrufung allerdings. Denn sie ist einerseits mit einem Glücksversprechen verbunden, und baut auf der philosophischen Tradition der Selbstentfaltung und Autonomie des Individuums auf. Andererseits ist sie aber mit einer permanenten Demütigung verbunden. Denn der Markt macht längst keine Pause mehr. Gehandelt wird immer, ein Ziel ist nie erreicht, wie bei Olympia geht es immer noch schneller, höher, weiter. Was aber, wenn man mal Pause machen will? Das geht nicht. Und das, so der Philosoph Ulrich Bröckling, kann auf Dauer ganz schön wütend machen.

    "Und mit dieser Wut muss man irgendwie umgehen. Und mit dieser Wut kann man sehr unterschiedlich umgehen. Man kann sie kompensieren und geradezu zu einem enthusiastischen Verfechter dieser unternehmerischen Anrufung werden, das hat so etwas mit Identifizierung mit dem Angreifer, wenn man es psychoanalytisch formulieren würde, also eine Art Überkompensation.

    Man kann damit ironisch umgehen, also einerseits mitmachen, andererseits die Distanz formulieren und immer hin- und herswitchen zwischen diesen beiden Formen. Und man kann melancholisch damit umgehen, man kann klagen, man kann die Ökonomisierung der Lebenswelt beklagen und das als eine Verfallsgeschichte erzählen. Alle diese Formen reagieren auf dieses Moment der Unabschließbarkeit und auf diese Ambivalenz: einerseits Glücksversprechen, andererseits Demütigung und die Wut, die daraus folgt."

    Unternehmertum als Frustration, zumindest gelegentliche Frustration, wenn man mal Golf spielen gehen will, dafür aber partout keine Zeit hat. Aber man muss sich ja nicht nur auf dem Golfplatz rumtummeln. Das Unternehmertum, zeigte die Tagung, ist zu komplex für schlichte Klischees. Es ist ein Prinzip der Lebensführung. Anrufung, Inspiration, wenn man es pathetisch will. Gelegentlich auch ein exzessives Ideal. Aber doch eines, das in Schwung hält. Morgen ist auch noch ein Tag. Stimmt, aber der heutige ist noch nicht zu Ende. Ein Stündchen Arbeit lässt sich da noch reinquetschen.