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Dem Untergang geweiht

Umwelt. - Nur langsam kommt New Orleans nach den Verwüstungen durch Hurrikan Katrina im vergangenen Jahr wieder auf die Beine. Auch die Natur erholt sich nur schleppend - so beispielsweise die schützenden Sümpfe und Salzmarschen an der Küste.

Von Volker Mrasek | 24.10.2006
    Den Schlickgräsern im Marschland des Mississippi-Deltas steht das Wasser schon heute förmlich bis zum Hals. Diesen Schluss zieht James Morris aus seinen Feldstudien auf der Pflaumen-Insel vor Massachusetts. Das kleine Eiland liegt zwar nicht im Golf von Mexiko, besitzt aber ganz ähnlich geartete Feuchtgebiete. Also nutzte der Biologieprofessor der Universität von South Carolina die Daten von der Pflaumen-Insel und entwickelte daraus ein allgemeines Modell für das Zusammenspiel zwischen Salzmarsch und Wasserpegel. Nun glaubt Morris zu wissen, welchen Meeresspiegelanstieg das Ökosystem im Golf von Mexiko vielleicht noch verkraften würde:

    "An der Südost-Küste der USA wird es kritisch bei einem Meeresspiegelzuwachs von einem Zentimeter pro Jahr."

    Das klingt beruhigend. Denn ein Zentimeter pro Jahr ist ziemlich viel. Im globalen Mittel steigt der Meeres-Pegel im Augenblick bei weitem nicht so stark. Die Zuwachsrate beträgt gerade mal drei Millimeter pro Saison. Doch im Flussdelta des Mississippi sieht die Sache anders aus:

    "Der Meeresspiegel steigt auch im Golf von Mexiko nur sehr langsam. Aber parallel dazu sinkt das Küstenland ab, und das sehr schnell. Der Mississippi ist vor langer Zeit eingedeicht worden, um Überschwemmungen zu verhindern, und er hat keine Verbindung mehr zum umliegenden Marschland. Die Steine und Bodenpartikel, die er mitführt, werden weit draußen ins Meer gespült, das heißt, das Küstenfeuchtgebiet bekommt schon lange keinen Sediment-Nachschub aus dem Fluss mehr und sinkt ab. Relativ gesehen steigt der Meeresspiegel im Mississippi-Delta deshalb viel stärker als anderswo. Schon heute ist es ein Zentimeter pro Jahr."

    Das bedeutet: Wenn die US-Bundesstaaten Louisiana und Mississippi das Feuchtgebiet an der US-Golfküste wiederherstellen wollen - und damit auch den natürlichen Hurrikan-Schutzriegel für New Orleans - dann bleibt im Grunde keine Zeit mehr. Dann sollten sie so schnell wie möglich dafür sorgen, dass wieder Flusssedimente in die Salzmarschen eingetragen werden, bevor sich der Anstieg des Meeresspiegels weiter beschleunigt - über die kritische Ein-Zentimeter-Schwelle hinaus. Denn dann, sagt James Morris, gingen die Gräser der Salzmarschen im Mississippi-Delta endgültig verloren. Das Ökosystem sei schon heute akut gefährdet. Auch das Meer trägt zwar mit der Flut Sediment in das Feuchtgebiet ein. Doch längst nicht so viel wie einst der Mississippi:

    "Normalerweise profitieren die Pflanzen sogar davon, wenn der Meeresspiegel ansteigt. Sie wachsen dann stärker, das Grasgeflecht wird dichter und fängt mehr Sediment auf, das mit der Flut angeschwemmt wird. Das erhöht das Marschland. Es wächst praktisch mit, wenn der Pegel steigt. Aber diese Balance besteht nur, so lange der Meeresspiegel nicht zu schnell wächst. Da gibt es eben einen kritischen Schwellenwert. Wird er überschritten, kann das Marschland nicht mehr Schritt halten mit der Erhöhung. Und dann geht es relativ rasch zu Grunde."

    Stimmt die Plus-1-Zentimeter-These des US-Biologen, dann stehen die Chancen schlecht für das Feuchtgebiet im Mississippi-Delta. Hier und da gibt es zwar bereits Stellen, an denen die Deiche des Flusses episodisch geöffnet werden. Dort fließt also wieder mehr Sediment in das vom Untergang bedrohte Marschland. Doch das sind nur erste, räumlich stark begrenzte Projekte. Der weitaus größte Teil des Feuchtgebietes sinkt weiter ab, während der Meeresspiegel weiter steigt - derzeit um drei Millimeter pro Jahr, wie gesagt. Doch dieser Wert könnte sich noch erhöhen. Seit den 90er Jahren hat sich der Meeresspiegelanstieg bereits beschleunigt. Sollte das so weitergehen, ist es womöglich schon zu spät für die Rettung der Salzmarschen am Mississippi.