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"Den Klotz Westerwelle, den hat die FDP immer noch am Bein"

Negativurteile in der Politik halten sich sehr lange, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, Manfred Güllner. Dass Außenminister Westerwelle bei den Wählern so schlecht ankomme, könne der FDP auch nach ihrer personellen Neuausrichtung weiterhin sehr schaden.

Manfred Güllner im Gespräch mit Martin Zagatta | 14.05.2011
    Martin Zagatta: Ich spreche mit Professor Manfred Güllner, dem Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa, guten Morgen, Herr Güllner!

    Manfred Güllner: Ja, schönen guten Morgen!

    Zagatta: Herr Güllner, der neue FDP-Chef Rösler hat gestern angekündigt, den – so wörtlich – Wiederaufstieg der Liberalen zu betreiben. Meinen Sie, kann ihm das gelingen?

    Güllner: Na ja, das hängt davon ab einerseits, was er als Wirtschaftsminister zustande bringt. Und zum anderen, glaube ich, ist noch ein schwerer Brocken da, dass ist nämlich der Außenminister Westerwelle. Denn das Negativbild, was von Westerwelle entstanden ist, ist ja nicht entstanden, weil er FDP-Vorsitzender war, sondern weil er Außenminister ist. Da gucken die Leute hin, da haben sie gesehen, wie er das Amt ausgefüllt hat.

    Und auch nach ja nun fast, es sind ja bald zwei Jahre, die er Außenminister ist, er hat noch keine Konturen gewonnen und die Menschen haben den Eindruck, oder der Eindruck hat sich festgesetzt, dass er das nicht richtig kann. Wenn wir die Menschen fragen, ist er dafür geeignet, dann sagen fast 70 Prozent, der kann es nicht.

    Das andere sind aber auch das, was die FDP bisher gemacht hat in der Regierung, und da muss man noch mal kurz zurückblenden auf 2009, wer die FDP gewählt hat, das ist ja der klassische Mittelstand gewesen. Das sind die Handwerker gewesen, das sind die kleinen Unternehmer gewesen, das sind die freien Berufe gewesen. Also eine ganz bestimmte Gruppe in der Gesellschaft, die Erwartungen hatte an die FDP. Und das war eben nicht die Steuersenkung, wie Herr Westerwelle immer betont, das waren, wenn es die Steuern anbelangte, Steuervereinfachungen, vielleicht ein bisschen Steuergerechtigkeit, aber nicht plumpe Steuersenkung.

    Und vor allen Dingen aber hatte der Mittelstand erwartet, dass bewahrt wird oder dass zurückgedrängt wird die Krake Bürokratie, die ja diesen Mittelstand drangsaliert mit täglich neuen Verordnungen, mit Kontrollen ja stasimäßiger Art, wenn Sie an die Finanzbeamten, die ganze wuchernde Bürokratie denken. Und da ist nichts passiert. Wenn Herr Rösler da etwas ändern würde, dann könnte das Vertrauen langsam zurückkommen, aber das muss man erst mal abwarten.

    Zagatta: Wenn ich da vielleicht zunächst auf den Punkt kommen darf, den Sie angesprochen haben, auf den Misserfolg unter Westerwelle und seine Person: Da argumentiert die FDP ja jetzt, wenn er sich auf den Job als Außenminister konzentrieren kann, dann könnte das Ganze noch zu einem Erfolg werden. Halten Sie es für ausgeschlossen, dass Guido Westerwelle noch zum Sympathieträger wird?

    Güllner: Nach allen Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten haben, muss man hier ein bisschen die Hoffnung dämpfen der FDP. Denn wenn ein Urteil mal so negativ ist, dann hält sich das ziemlich lange und dann braucht es eine ganze Menge, um ein solches Urteil zu revidieren. Denken Sie an Herrn Lafontaine. Da ist das Negativurteil 1990, als er Kanzlerkandidat der SPD war, gefällt worden. Und das hält bis heute an. Lafontaine ist bis heute einer der unbeliebtesten Politiker.

    Nehmen Sie in der Hauptstadt Walter Momper. Da haben die Wähler ihm 1990 bei der Wahl die Rote Karte gezeigt, sie wollten ihn nicht. Als er 1990 wieder antrat, hat die SPD die katastrophalste Niederlage in Westberlin erlitten, weil man das Negativurteil nicht revidiert hat.

    Und bei Westerwelle hat sich das so festgesetzt. Und man muss ja auch nur mal gucken, er ist ja der einzige Außenminister in der langen Geschichte der Bundesrepublik, der so schlecht angesehen ist. Alle bisher - ich will sie jetzt von Heinrich von Brentano bis Steinmeier nicht alle aufzählen -, aber denken wir nur mal an die letzten beiden. Nämlich Fischer: Vor der Bundestagswahl 1998 haben 80 Prozent gesagt, der Kerl darf nicht Außenminister werden! Als er Außenminister geworden war, war er in wenigen Wochen akzeptiert. Und ich habe irgendwo gestern aus der FDP gehört: 'Na ja, Fischer kam ja erst in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode.' Das ist Unfug, Fischer war nach wenigen Wochen akzeptiert, weil er ein … Ich weiß nicht, ob er ein guter Außenminister war, aber er war ein begnadeter Darsteller und die Menschen haben ihn für gut befunden.

    Zagatta: Aber als guter Darsteller gilt Westerwelle ja eigentlich auch. Ist es seine Außenpolitik, die ihn so unbeliebt gemacht hat, oder kommt er einfach schlecht rüber? Was hat ihn so unbeliebt gemacht, was hat ihn in diese Rolle gebracht?

    Güllner: Na die Menschen gucken ja hin und beobachten, wie jemand auftritt. Und Fischer hat sozusagen den Außenminister gegeben, man hat ihm das abgenommen. Bei Westerwelle … - er mag es ja versuchen, ihn darzustellen -, aber die Menschen nehmen ihm das nicht ab. Er hat die falschen Gesten, er lacht im falschen Augenblick, der Gesamteindruck ist so, dass die Leute eben glauben, kann er das, oder sogar sagen, er kann es nicht.

    Zagatta: Aber er hat der FDP doch immerhin 15 Prozent beschert?

    Güllner: Ja, aber das ist ja nun nicht der Person Westerwelle geschuldet, sondern das waren die Erwartungen des Mittelstandes. Die sind ja zu großem Teil, wenn man sich die Wanderung anguckt 2009, von der CDU gekommen, das waren ja frühere CDU-Wähler, die enttäuscht waren von der CDU, die gesagt haben, die reden jetzt von Enteignung, von Verstaatlichung. Das waren Begriffe, die standen zuletzt im Ahlener Programm der CDU von '47, das hat Adenauer schon '49 mithilfe von Ludwig Erhard konfisziert. Aber, und deshalb sind sie zur FDP gewandert.

    Vor allen Dingen, weil sie dachten, die CDU kümmert sich nur noch um Großkonzerne. Die haben über Conti geredet, über Karstadt geredet, über Opel geredet, über die Großbanken, aber nicht mehr über den sauerländischen Sensenfabrikanten und den schwäbischen Fensterhersteller. Und die sind dann zur FDP gewandert, weil sie gehofft haben, die FDP würde in der Regierung – die man ja wollte, man wollte ja eine bürgerliche Regierung haben – auf die CDU aufpassen und die Interessen des Mittelstandes in die Politik einbringen. Und das ist eben nicht passiert.

    Zagatta: Wo gehen diese Menschen jetzt hin, gehen die zur CDU zurück? Die Wahlergebnisse sprechen ja eine andere Sprache. Aber von der FDP dann zu den Grünen zu wechseln, ist ja auch ein weiter Weg?

    Güllner: Das Problem dieser bürgerlichen Regierung ist, dass die, die von der CDU zur FDP gewandert sind, eben nur zu einem kleinen Teil zurückkommen. Wenn wir mal die Wähler von 2009 der FDP nehmen, dann geht etwa ein knappes Viertel wieder zurück zur CDU. Noch weniger als ein Viertel würde wieder FDP wählen. Auch das ist ja ein historisch einmaliger Vorgang, dass die kleinere Regierungspartei so drastisch an Vertrauen verliert in so kurzer Zeit. Das gab es in der Wahlgeschichte der Bundesrepublik bisher noch nie. Und ein Viertel geht in die Wahlenthaltung der 2009er Wähler, und ein kleiner Teil wandert zu den Grünen aus lauter Verzweiflung. Denn da gibt es fundamentale Unterschiede zwischen FDP- und Grünen-Wählern. Aber auch, wie gesagt, ein kleiner Teil geht wirklich aus lauter Verzweiflung zu den Grünen.

    Zagatta: Können Sie schon etwas sagen, wie der neue Parteichef, wie Philipp Rösler wahrgenommen wird von den Wählern? Kann der zu einem Pluspunkt für die FDP werden, oder wird der auch schon negativ gesehen?

    Güllner: Im Augenblick wird er glaube ich eher negativ gesehen, er ist ja auch als Gesundheitsminister eher aus Sicht der Menschen … ich will nicht zu hart urteilen, aber es geht doch in Richtung eher Enttäuschung. Ulla Schmidt hatte keine hohen Sympathiewerte, aber man hatte von ihr das Gefühl, dass sie sich in der Schlangengrube dort zurechtfindet.

    Bei Rösler hat man das Gefühl, er hat sich in die Schlangengrube Gesundheitspolitik begeben und ist da nicht, beherrscht das nicht souverän. Und dann kommt noch hinzu, wenn er jetzt Wirtschaftsminister wird: Er löst ja ab Herrn Brüderle, der ja dabei war, ein bisschen Konturen zu gewinnen. Brüderle war zunehmend akzeptiert als Wirtschaftsminister. Und den löst Herr Rösler ab, der als Gesundheitsminister auch nicht besonders positiv bewertet wird. Also das war auch nun keine sehr glücklicher Personalaustausch, der da vorgenommen worden ist. Und jetzt muss man abwarten, ob Rösler wirklich in die Richtung Politik machen kann. Und das kostet ja nicht viel, wenn ich die Bürokratie etwas zurückdränge …

    Zagatta: … könnte das dann reichen, Herr Güllner? Ihr Institut handelt ja die FDP im Moment bei nur vier Prozent etwa. Also Rot-Grün hätte derzeit haushoch insgesamt die Nase vorn vor Schwarz-Gelb. Heißt das, mehr als zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl schon etwas, oder ist da doch noch alles offen?

    Güllner: Bis 2013 ist noch eine lange Zeit, und wenn Rösler wirklich in die Rolle des Wirtschaftsministers hineinwächst und die vorhandenen Erwartungen, die 2009 da waren, irgendwo auch zum Teil erfüllen kann, kann die FDP sich wieder erholen. Denn sie haben ein großes Potenzial von Bürgerinnen und Bürgern, die eigentlich eine liberale Partei wählen würden oder sich vorstellen können, eine solche Partei zu wählen. Nur es hängt wirklich von der Partei selbst ab und wir müssen noch mal an den Anfang des Gesprächs denken, den Klotz Westerwelle, den hat die FDP immer noch am Bein.

    Zagatta: Den müsste sie aus Ihrer Sicht loswerden?

    Güllner: Hätte Westerwelle als Außenminister zurücktreten müssen. Wer FDP-Vorsitzender ist, das interessiert die Menschen relativ wenig.

    Zagatta: Professor Manfred Güllner, der Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Herr Güllner, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Güllner: Bitte schön!