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Denkzettelwahl in NRW "wird nicht klappen"

Vier Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zeigt sich Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) zuversichtlich. Bei der momentanen Prognose von 46 Prozent für Schwarz-Gelb, müssten die Regierungsparteien noch drei Prozent hinzugewinnen. "Und das werden wir schaffen."

Jürgen Rüttgers im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 11.04.2010
    Barbara Schmidt-Mattern: Herr Ministerpräsident, in vier Wochen sind Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Sie regieren dieses Land seit fünf Jahren gemeinsam mit der FDP. Nun hat der Amtsinhaber normalerweise gute Karten, wiedergewählt zu werden, aber Ihre Wiederwahl ist gefährdet. Seit Wochen hat die schwarz-gelbe Koalition keine Mehrheit in den Umfragen. Wie erklären Sie sich das?

    Jürgen Rüttgers: Das, was uns natürlich Kopfzerbrechen und Arbeit macht, ist die Tatsache, dass mit der Linkspartei eine neue Partei in den Landtag kommen wird, wenn man den Umfragen denn glauben soll. Das macht, wie das schon bei der Bundestagswahl auch war, das Problem aus, dass dann sich die Verhältnisse innerhalb des Parlaments verschieben.

    Wir liegen im Moment mit 46 Prozentpunkten bei den aktuellen Umfragen knapp vor der Mehrheit, das heißt, wir müssen noch drei Prozent hinzugewinnen. Und das werden wir in den vier Wochen schaffen.

    Schmidt-Mattern: Stehen Sie denn noch zu Ihrem angekündigten Wahlziel: 40 plus X für die CDU?

    Rüttgers: Ich habe gesagt, das kann auch mehr sein. Das werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Nur eines ist klar, dass, wer stabile Verhältnisse in Nordrhein-Westfalen haben will, diesmal mit beiden Stimmen die CDU wählen muss.

    Schmidt-Mattern: Das ist die erste Wahl in Nordrhein-Westfalen mit zwei Stimmen. Sie gelten als Politiker, der die Dinge strategisch ziemlich genau und exakt plant, auch Ihre eigene Karriere.

    In den letzten Monaten hat es aber nun Entwicklungen gegeben, gegen die alle Planung eigentlich nichts hilft. Es gab ziemlich viel Streit und Unmut in der schwarz-gelben Bundesregierung in Berlin, es gibt einen FDP-Chef, der durch seine Äußerungen, unter anderem zu Hartz IV, seine Partei und sich selbst ins Umfragetief katapultiert hat, und Sie hatten eine Sponsorenaffäre zu überstehen hier in Nordrhein-Westfalen.

    Jetzt könnten Sie für all diese Dinge, die in den letzten Wochen passiert sind, die Quittung erhalten am 9. Mai. Fürchten Sie eine Denkzettelwahl?

    Rüttgers: Ich bin sicher, das wird nicht klappen. Das wird deshalb nicht klappen, weil Nordrhein-Westfalen ein großes, ein selbstbewusstes Land ist, die Menschen sind stolz auf Nordrhein-Westfalen, seine Fähigkeiten, seine Stärken, seine Zukunftsperspektiven. Und deshalb wird das eine Landtagswahl werden. Das war immer so, das ist auch dieses Mal so.

    Der Versuch, jetzt den Menschen einzureden, Nordrhein-Westfalen sei nicht wichtig, man müsse gegen Berlin wählen - der kennt das Land nicht, der kennt die Stimmung nicht. Natürlich war es so, dass der Start der Koalition in Berlin schwierig war. Aber das hat sich in den letzten Tagen und Wochen gebessert, da geht es aufwärts. Und insofern werden wir auch in der Schlussphase des Wahlkampfs die notwendige Unterstützung, den Rückenwind, haben.

    Schmidt-Mattern: Bleiben wir noch ein bisschen bei Ihrer eigenen Partei. Ihr Parteifreund Josef Schlarmann, der Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung ist, wirft der Bundesregierung politischen Aktionismus vor, unter anderem gegen den Plan, Mindestlöhne in der Pflegebranche einzuführen. Da gibt es also wieder neue Querschläge aus den eigenen Reihen innerhalb der CDU. Das muss Ihnen doch so kurz vor der Wahl ziemlich auf die Nerven gehen, oder?

    Rüttgers: Dass solche Interventionen dann immer zu einer gewissen Unruhe führen, ist wahr. Ich glaube, dass die Politik, die wir hier gemacht haben, die immer auf zwei Punkte gesetzt hat, nämlich auf wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit, wirklich eine Zukunftspolitik gerade für die Wirtschaft ist. Und insofern ist schon das Thema, das da diskutiert wird, nämlich die Frage der Mindestlöhne, schon von einer gewissen Bedeutung.

    Aber ich bin mit Herrn Schlarmann und mit Angela Merkel der Auffassung, dass wir keine gesetzlichen Mindestlöhne wollen, sondern dass die Tarifparteien gefordert sind. Das ist der Weg der sozialen Marktwirtschaft - nicht die Politik bestimmt die Löhne, sondern die Tarifparteien. Ich möchte starke Tarifparteien haben. Ich will auch die Gewerkschaften nicht schwächen, sondern will, dass die sagen, was angemessen ist für die Wirtschaft, für die einzelnen Unternehmen. Wenn die Politik das macht, dann ist das immer so weit weg von der Wirklichkeit in den Betrieben, in den Branchen, dass das auf Dauer nicht vernünftig ist.

    Schmidt-Mattern: Wir schauen gleich noch genauer nach Nordrhein-Westfalen selbst und auch auf die entscheidenden Themen hier. Lassen Sie uns aber im Moment noch beim Blick auf das ganze Land bleiben und vielleicht auch beim Blick auf die Kanzlerin. Sie haben Angela Merkel gerade selbst schon erwähnt. Frau Merkel feiert an diesem Wochenende ihr zehnjähriges Bestehen als CDU-Bundesvorsitzende. Welches Zeugnis stellen Sie ihr denn aus?

    Rüttgers: Sie hat als Bundesvorsitzende die CDU gut geführt. Das war ein Start in einer schwierigen Situation. Die CDU ist heute die einzige Volkspartei, die es in Deutschland noch gibt. Das ist sie unter anderem deshalb, weil wir in den vergangenen Jahren dafür gesorgt haben, dass die CDU in allen Schichten der Bevölkerung weiter verankert bleibt. Und dazu gehört auch und gehörte die Öffnung in alle Schichten, in alle Bereiche der Gesellschaft. Das ist, glaube ich, der wichtigste Punkt der letzten Jahre.

    Gerade der Absturz der SPD - Stichwort Agenda 2010, Stichwort Hartz IV - hat ja gezeigt, dass, wenn eine Partei sich von den Menschen zurückzieht, wenn mehr ideologisch Politik gemacht wird als pragmatisch offen für die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Bevölkerung, dass dann eben der Charakter der Volkspartei verloren geht. Das war bei der SPD so, das ist bei der CDU, bei der CSU nicht passiert. Und das ist, glaube ich, ein gutes Zeugnis, was man ihr und ihrer Arbeit alleine schon von den Fakten her dann ausstellen muss.

    Schmidt-Mattern: Ein anderes bundespolitisches Thema, das aber sehr stark hier in den Landtagswahlkampf hinein ragt, ist das Thema Atomkraft und die verlängerten Laufzeiten von Atomkraftwerken. Die Grünen haben bereits angekündigt, den 9. Mai zu einer Abstimmung über die Atomkraft zu machen. Wie stehen Sie zur Frage verlängerter Laufzeiten für Atomkraftwerke?

    Rüttgers: Ja, wir haben nun in Nordrhein-Westfalen keine Atomkraftwerke. Insofern weiß ich nicht, was dann bei dieser Landtagswahl die Grünen sich vorstellen, worüber abgestimmt wird.

    Schmidt-Mattern: Na ja, der Bundesrat wird ja mit entscheiden müssen, das haben Sie ja selber schon gesagt, dass der Bundesrat mit beteiligt werden muss. Und insofern kommen ja dann auch wieder Sie oder Ihr Nachfolger als Ministerpräsident ins Spiel.

    Rüttgers: Also zu glauben, dass das alles nicht mehr notwendig wäre, hat ja mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Und deshalb bin ich dafür, dass zuerst mal der Energiemix festgelegt wird, und dass bei der Frage der Verlängerung der Laufzeiten - wenn dann die jetzt in Auftrag gegebenen Berechnungen vorliegen - man sehr ruhig abwägt, wie viel können wir aufbauen im Bereich regenerativer Energien, und wann soll denn der Auslauf der Kernenergie neu fixiert werden. Die Frage können Sie aber erst entscheiden, wenn Sie wissen, welches Ziel Sie eigentlich erreichen wollen und müssen.

    Ich habe einen ganz praktischen Vorschlag hier für Nordrhein-Westfalen gemacht: Ich glaube, dass wir große Kraftwerke brauchen als Industrieland. Wir brauchen in der Grundlast solche Kraftwerke, die rund um die Uhr Strom liefern. Da muss man aber neue haben, denn die sind im Hinblick auf das Klima viel besser als die alten. Also neue bauen und die alten abschalten. Dann sind wir schon einmal einen Schritt weiter in Richtung Klimapolitik. Und den anderen Teil, also für unsere Wohnungen und für unsere Häuser, da glaube ich, dass man da eine zweite Schiene einbauen muss: Energieversorgung dezentral mit Kraftwärmekopplung, mir regenerativen Energien - und zwar die gesamte Palette, alles was da geht -, um damit gleichzeitig auch in dem Bereich einen Schritt voranzukommen. Und ich glaube, dass wir da ganz gut aufgestellt sind, als Energieland zu zeigen, wie das geht.

    Wir machen das gerade im ländlichen Bereich, da haben wir die ersten Orte, die wir versuchen, fast energieautark zu machen. Wir wollen jetzt im Ruhrgebiet auch einen Stadtteil mit 50.000 Einwohnern einmal umstellen, exemplarisch zeigen, dass das geht mitten in einer Stadt. Und wenn Sie wollen, ist das dann so etwas ähnliches, was gerade in Abu Dhabi versucht wird, mitten in der Wüste einfach eine neue Form der Energieversorgung zu entwickeln - da in der Wüste, bei uns mitten in der Metropole.

    Schmidt-Mattern: Ich schlage noch mal den Bogen zurück von Abu Dhabi nach Deutschland. Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat ganz konkret einen Vorstoß gemacht vor einigen Wochen und hat gesagt, man könnte über eine verlängerte Laufzeit von maximal acht Jahren sprechen. Dann meldete sich die Bundestagsfraktion und sagte: Nein, das muss viel länger sein. Da zeichnet sich innerhalb der CDU ein neuer Streit schon wieder ab, deswegen noch mal die ganz konkrete Nachfrage bei Ihnen, Herr Ministerpräsident: Für welche Jahreszahl verlängerter Laufzeiten plädieren Sie?

    Rüttgers: Ja, wenn ich das wüsste, dann bräuchten wir die ganzen Berechnungen, die jetzt gemacht werden, gar nicht zu erstellen. Die müssen Sie aber wissen, bevor Sie überhaupt sagen können, wie viel das ist. Ich erwarte daher sehr, den Prozess ganz transparent zu machen, ihn ganz öffentlich zu führen. Aber wie gesagt, Sie brauchen zuerst mal die Berechnungen, die notwendig sind im Hinblick auf den Energiemix, und Sie brauchen eine politische Entscheidung auch über den Energiemix.

    Schmidt-Mattern: Eine andere Frage oder ein anderes Streitthema, zu dem Sie sich auch immer wieder gezwungenermaßen zu Wort gemeldet haben, ist das Thema Steuersenkungen. Sie haben gefordert vor einiger Zeit, es müsse Klarheit herrschen in dieser Frage vor dem 9. Mai, vor der Landtagswahl. Andererseits sagen Sie, dass seriöse Äußerungen zu Steuersenkungen erst nach der Steuerschätzung möglich sind. Nun kommt ja diese Steuerschätzung erst wenige Tage vor der Landtagswahl. Das heißt, da widersprechen Sie sich ein bisschen selbst.

    Rüttgers: Nein, überhaupt nicht. Die werden in der ersten Hälfte der Woche kommen, und dann man ja wohl in der zweiten Hälfte noch vor der Landtagswahl sagen, in die und die Richtung soll es jetzt gehen. Schauen Sie, die Frage der Steuerschätzung ist wichtig, weil klar sein muss, wie groß die finanziellen Spielräume in den nächsten Monaten und Jahren sind.

    Das andere ist: Man muss klar sagen, dass es noch andere Kriterien gibt, die man berücksichtigen muss. Hans-Dietrich Genscher hat mit recht darauf hingewiesen, dass die Frage Haushaltskonsolidierung für Wachstum sehr, sehr wichtig ist - mindestens genau so wichtig, wenn nicht sogar wichtiger wie eine steuerliche Entlastung. Ich habe prinzipiell nichts gegen steuerliche Entlastungen, nur das Geld muss man haben.

    Und da eines der großen finanziellen Probleme, die wir zur Zeit haben, die kommunalen Finanzen sind, habe ich dazugefügt: Ich werde als Ministerpräsident einer Steuersenkung nicht zustimmen, die dazu führt, dass noch weitere Schwimmbäder geschlossen werden, dass Kindertagesstätten nicht ausgebaut werden können und damit die kommunalen Finanzen in eine noch größere Schwierigkeit kommen als wir jetzt schon haben.

    Schmidt-Mattern: Wolfgang Schäuble, der Finanzminister, gehört ja mit zu den CDU-Politikern, die eine Abschaffung einer Gewerbesteuer ins Spiel gebracht haben. Die Gewerbesteuer ist natürlich bislang immens wichtig für die Haushalte der Kommunen. Wie stehen Sie zu dieser Frage, sind Sie auch für eine Abschaffung - ja oder nein?

    Rüttgers: Die Kommunen möchten diese Steuer behalten, weil es ihre Steuer ist, weil sie die Autonomie haben, selber zu entscheiden über diese Steuer.

    Schmidt-Mattern: Und was möchten Sie?

    Rüttgers: Und ich kann das verstehen. Ich habe, nachdem ich den Versuch gemacht habe, mich dazu entschieden, dass ich den Willen der Kommunen an dieser Stelle respektiere. Also, ich glaube nicht, dass wir eine Lösung finden werden gegen den Willen der Kommunen. Und das ist dann auch im Kern richtig, denn wenn die Betroffenen nicht wollen, macht es auch keinen Sinn.

    Schmidt-Mattern: Zu den vielen Themen, das muss man im Moment sagen, die im Bund eine Rolle spielen und die jetzt auch hier im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf eine Rolle spielen, gehört auch die Frage, ob Deutschland Häftlinge aus Guantanamo aufnehmen soll. Ihr Integrationsminister Armin Laschet hat sich am Freitag im Deutschlandfunk strikt gegen die Aufnahme von Häftlingen aus dem Lager ausgesprochen. Herr Ministerpräsident, sehen Sie das auch so?

    Rüttgers: Ich teile die Auffassung von Armin Laschet. Natürlich muss man unter Freunden hilfreich sein, aber zuerst einmal, glaube ich, sind die Amerikaner gefordert zu sagen, wohin die Häftlinge sollen. Und insofern sehe ich auch keinen Ansatz, jetzt Häftlinge nach Nordrhein-Westfalen zu holen.

    Schmidt-Mattern: Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière zeigt sich da ja etwas offener in der Frage. Kommende Woche reist die Kanzlerin nach Washington, und dann wird es sicherlich auch wieder um die Häftlingsfrage gehen. Wäre es da nicht wichtig, gerade jetzt der Kanzlerin den Rücken zu stärken und zu signalisieren: Ja, wir nehmen Häftlinge auf?

    Rüttgers: Das ist auch - wie so häufig - eine konkrete Frage und keine abstrakte Frage. Natürlich unterstützen wir die Kanzlerin, natürlich trete auch ich ein für eine sehr intensive deutsch-amerikanische Freundschaft, aber wenn ich dann vor der Frage stehe, ob ein Häftling nach Nordrhein-Westfalen kommt, dann muss ich dafür die Verantwortung übernehmen. Und ich glaube, dass diese Verantwortung zuerst einmal in Washington liegt.

    Schmidt-Mattern: Lassen Sie uns vier Wochen vor der Wahl auf die Parteienlandschaft hier in Nordrhein-Westfalen schauen. Ihr Koalitionspartner, die FDP, fällt bislang in diesem Wahlkampf eher wenig auf. Das heißt: wenig Präsens und kaum ein inhaltlicher Vorstoß, der bislang in der Öffentlichkeit besonders viel Beachtung gefunden hätte. Wie angeschlagen sind die Liberalen?

    Rüttgers: In Nordrhein-Westfalen überhaupt nicht. Wir arbeiten exzellent zusammen. Wir haben hier fünf Jahre gezeigt, dass man ohne dauernden Streit das Land voranbringen kann. Das ist auch der Grund, warum ich die Koalition mit der FDP fortsetzen möchte.

    Schmidt-Mattern: Sie selbst haben kürzlich gesagt, die CDU in Nordrhein-Westfalen macht Politik für alle Menschen, nicht nur für zehn Prozent der Bevölkerung. Deutlicher kann man einen Koalitionspartner aber kaum abwatschen, oder?

    Rüttgers: Nein, sondern das ist eine klare Beschreibung des Anspruchs der CDU hier in Nordrhein-Westfalen. Und da das Wahlziel der FDP zehn Prozent lautet habe ich das nur aufgenommen.

    Schmidt-Mattern: Wie kommt es dann aber, dass man sich gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die FDP für Sie derzeit eher ein Pflicht- als ein Wunschpartner ist?

    Rüttgers: Nein, überhaupt nicht. Ich möchte diese Koalition fortsetzen. Das sage ich in jedem Interview und ich sage es immer ganz klar. Die Menschen wollen wissen, für welche Konzepte, für welche Inhalte man steht, was man tun will, wenn man gewählt wird. Und da kann man nicht einfach alles auflassen. Die SPD sagt, die Linkspartei ist derzeit nicht regierungsfähig, lässt aber offen, ob sie mit ihr zusammenarbeitet.

    Schmidt-Mattern: Sie werfen der Opposition vor, sich Optionen offen zu halten. Für Sie als CDU würde es aber nach jetzigem Umfragestand rein rechnerisch ja auch für andere Koalitionen reichen. Schwarz-Grün ist eine Option, die große Koalition aus SPD und CDU wird immer wieder als Möglichkeit genannt. Wo ist da der Unterschied zwischen Ihnen und Frau Kraft? Auch Sie halten sich Optionen offen.

    Rüttgers: Na ich bitte Sie, es ist ja wohl ein Unterschied, ob ich auf der einen Seite sage, ich möchte die Koalition mit der FDP fortführen und dann diskutieren andere über die Fragen, ob es große Koalition oder Schwarz-Grün gibt.

    Schmidt-Mattern: Bärbel Höhn hat mal gesagt, über Schwarz-Grün redet man nicht, Schwarz-Grün macht man. Darf ich Ihre Antwort bis hierhin so verstehen, dass Sie diese Ansicht mit Frau Höhn teilen?

    Rüttgers: Nein, sondern ich will eine Koalition mit der FDP machen.

    Schmidt-Mattern: Sie greifen Ihre Herausforderin Hannelore Kraft auch sehr persönlich an, Herr Rüttgers. Sie sagen zum Beispiel, Frau Krafts Erfolgsbilanz passe auf eine Briefmarke und Sie haben die SPD verurteilt als Fußkranke des alten Regimes, die keinen Job in der Wirtschaft abbekommen haben. Warum diese abfällige Wortwahl, Herr Ministerpräsident?

    Rüttgers: Also, ich bin nun jemand, der gerade aus dem Linksbereich in den letzten Wochen massiv - auch ganz persönlich - angegriffen worden ist. Und wenn man dann mal über Fakten redet, dann geht das große Erschrecken los. Wenn die SPD, und da war Frau Kraft auch Amtsinhaberin, 16.000 Lehrerstellen abbauen wollte und wir sagen: Guckt doch mal da hin, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen, dann sagen alle, das kann man doch nicht sagen.

    Schmidt-Mattern: Schließen Sie Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün nach dem 9. Mai aus?

    Rüttgers: Also, ich weiß nicht, was Sie an Koalitionsaussagen erkennen. Ich will lieber die konkreten Programmpunkte sehen. Und da sehe ich bei der SPD keine klaren Aussagen. Ich sehe deshalb auch keinen Grund ein, warum ich mich von morgens bis abends mit Koalitionsfragen beschäftigen soll.

    Schmidt-Mattern: Dann schauen wir doch noch mal ein wenig zurück auf Ihre Regierungsbilanz der letzten fünf Jahre. Sie haben die SPD nach 39 Jahren Herrschaft im größten Bundesland hier im Jahre 2005 abgelöst. Was haben Sie erreicht und was ist Ihnen nicht gelungen, Herr Rüttgers?

    Rüttgers: Wir haben die Finanzen stabilisiert. Zugegeben, jetzt durch die Krise mussten auch wir wieder hohe neue Schulden machen. Aber wir haben 2008 bewiesen, dass die Einnahmen bei diesem Landeshaushalt nach mehr als 30 Jahren das erste Mal wieder höher lagen als die Ausgaben.

    Wir haben viel, viel für die Kinder getan, 2,7 Milliarden mehr ausgegeben, 8000 zusätzliche Stellen für Lehrerinnen und Lehrer, massiv Ganztagsschulen ausgebaut, Kindertagesplätze ausgebaut, die gab es so gut wie nicht in Nordrhein-Westfalen.

    Das heißt, mit dem Erfolg, dass der Unterrichtsausfall halbiert worden ist, dass wir noch nie so wenig Sitzenbleiber hatten, dass wir noch nie so viele Studienanfänger hatten, und da bin ich natürlich stolz drauf.

    Schmidt-Mattern: Die Schulpolitik - Sie haben eben schon einige Details angesprochen - ist ja jetzt auch eines der wichtigsten und umstrittensten Themen im Wahlkampf. Sie haben gerade aufgezählt, was Sie in den letzten Jahren für Schulen, auch für Kindergärten und Hochschulen getan haben. Das klingt quantitativ nach sehr viel, aber offenbar schlägt sich das in der Qualität ja noch nicht so wieder.

    Wir haben nach wie vor große Missstände in den Schulen, wir haben immer noch viel Unterrichtsausfall, überfüllte Klassen, zu wenige Lehrer. Wir haben teilweise sehr schlechte Zustände an den Hauptschulen. Warum hat sich qualitativ so wenig verbessert?

    Rüttgers: Ich weiß nicht, wie Sie auf die Behauptungen kommen. Der Unterrichtsausfall ist halbiert, seitdem wir da sind. Dass wir natürlich in den fünf Jahren noch nicht alles aufholen konnten, was wir an Erblast hinterlassen bekommen haben, das ist klar. Wir haben beim Abitur die besten Abiturergebnisse, die es je in Nordrhein-Westfalen gegeben hat. Und das zeigt doch, dass man die Schulen von innen reformieren kann.

    Bei den Hauptschulen haben wir die langjährige Vernachlässigung beendet, haben jetzt investiert in Ganztagsplätze. Seitdem es meine Regierung gibt, gibt es auch Ganztagsplätze im Bereich der Hauptschulen, der Realschulen und der Gymnasien. Die hat es vorher in Nordrhein-Westfalen nicht gegeben.

    Also, das heißt, wir sind da ein großes Stück voran gekommen. Aber das muss natürlich noch fortgeführt werden. Das ist noch nicht genug. Wir wollen weitere Ganztagsplätze. Wir wollen weitere Plätze für Kinder unter drei Jahren, um da voran zu kommen. Es gibt auch ein neues großes Projekt, das ich mir in den nächsten fünf Jahren vornehmen will. Ich will die Klassen kleiner machen, denn die ganze Philosophie, die ich habe, ist - und da stimme ich voll überein mit den Fachleuten wie etwa dem PISA-Papst Professor Baumert - man muss die Schule so organisieren, dass sie vom Kind her denkt. Und das ist ja auch mein Vorwurf gegenüber dem anderen Konzept, eine Einheitsschule zu machen.

    Einheitsschule - da gibt es nun keine Studie, die beweist, dass das besser ist als ein gegliedertes Schulwesen. Also, es heißt, ich stehe für Bildungsvielfalt, die anderen für Einheitsschule. Und das ist die Frage, die jetzt auch bei der Wahl zur Abstimmung steht.

    Schmidt-Mattern: Ein anderes wichtiges Thema, auf das ich auch noch zu sprechen kommen möchte hier im Wahlkampf, ist die Arbeits- und Wirtschaftspolitik. Da fällt einem ganz schnell ein Begriff ein, der in den letzten Jahren mehr und mehr mit Ihrem Namen verbunden worden ist, nämlich das Schlagwort vom selbst ernannten Arbeiterführer.

    Allerdings haben während Ihrer Regierungszeit gleich mehrfach Unternehmen in Nordrhein-Westfalen dicht gemacht: 2006 der Handy-Hersteller BenQ, 2008 Nokia, jetzt steht die Zukunft des Bochumer Opel-Werks auf der Kippe, und im ganzen Ruhrgebiet gibt es nach wie vor zweistellige Arbeitslosenzahlen. Sind Sie statt eines Arbeiterführers eher ein Arbeitslosenführer?

    Rüttgers: Ich habe auf jeden Fall für die Arbeitsplätze gekämpft und uns ist es gelungen, auch Unternehmen hier zu halten und zu retten. Wir haben weniger Arbeitslose als zu Beginn meiner Amtszeit. Wir haben über 200.000 versicherungspflichtige Arbeitsplätze mehr als zu Beginn meiner Arbeitszeit. Opel in Bochum ist nicht gefährdet, sondern wir haben gerade noch in der vergangenen Woche die Bestätigung nochmals bekommen, dass langfristig der Standort gesichert ist.

    Da kämpfen wir im Moment um die Elektromobilität, und das alles immer jeweils zusammen mit den Betriebsräten vor Ort. Das war bei Opel so, das war bei Nokia so, das war bei BenQ so. Und wir haben übrigens auch gleichzeitig dann eine Vielzahl von neuen Firmen aus dem Ausland hierher geholt. Das heißt, hier ist Dynamik in der Wirtschaft und wir setzen damit den erfolgreichen Kurs fort, dass die Wirtschaft sich auch erneuern muss.

    Schmidt-Mattern: Lassen Sie mich noch mal kurz nach Opel nachfragen. Sie plädieren für Staatshilfen. Die Entscheidung ist bislang nicht gefallen. Was wird denn aus dem Bochumer Werk, wenn es keine Staatshilfen gibt? Die FDP, der Bundeswirtschaftsminister, ist ja der Frage, ob es Staatshilfen geben soll, gegenüber eher wenig aufgeschlossen.

    Rüttgers: Nein, das kann man so nicht sagen, sondern wir sind einig in der Frage - Länder, in denen es Opel-Standorte gibt, wie der Bund -, dass Opel so behandelt wird wie andere Unternehmen auch, wie die über 13.000 mittelständischen Unternehmen, denen wir hier in den letzten zwei Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise geholfen haben mit Bürgschaften.

    Und das ist natürlich bei einem großen Unternehmen etwas komplizierter. Da sind noch zwei Fragen offen. Das soll in den nächsten Tagen geklärt werden. Opel geht davon aus, dass die notwendigen Antworten noch gegeben werden können. Und dann gibt es auch keinen Grund, warum man dann nicht etwa eine Bürgschaft beschließen soll, um den Neustart von Opel hier möglich zu machen.

    Schmidt-Mattern: Herr Rüttgers, Sie sind nicht nur der Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, Sie sind auch der CDU-Landesvorsitzende. Die CDU ist in den letzten Monaten negativ in die Schlagzeilen gerutscht. Das ging los im letzten September, als bekannt wurde, dass die Oppositionsführerin Hannelore Kraft per Video überwacht wurde. Die Veranlassung dafür kam aus der Staatskanzlei.

    Rüttgers: Entschuldigung, da muss ich unterbrechen. Sie ist nicht überwacht worden, sondern da hat es eine Ankündigung gegeben. Die ist sofort gestoppt worden.

    Schmidt-Mattern: Gut, aber es gibt andere Beispiele. Ihr Ex-CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst, der inzwischen wegen der Sponsorenaffäre gehen musste, hatte zuvor doppelte Zuschüsse zur Krankenversicherung erhalten, einmal von der Landes-CDU und dann auch als Landtagsabgeordneter. Ich würde gerne an Sie aufgrund all dieser Schlagzeilen die Frage richten, was aus dem C in Ihrer Partei hier gerade wird in Nordrhein-Westfalen, dem C auch im christlichen Sinne gebotener Anstand in der Politik?

    Rüttgers: Gerade das C zeigt ja, dass der Mensch auch Fehler macht. Und wenn jemand Fehler macht und sie dann auch zugibt und dann auch den Fehler wieder gut macht oder sogar die politische Verantwortung - sprich Rücktritt - übernimmt, dann zeigt das ja, dass wenn viel gearbeitet wird eben auch Fehler passieren.

    Aber wir haben immer bei jedem Fall offen gesagt was war, haben dann auch die Konsequenzen daraus gezogen. Und ich glaube, dass das gerade vor dem Hintergrund auch des Cs im Namen unserer Partei die richtige Art und Weise ist, mit Fehlern umzugehen.

    Schmidt-Mattern: Und welche Fehler haben Sie gemacht?

    Rüttgers: Ich habe natürlich auch in den fünf Jahren Fehler gemacht. Wer macht keine Fehler, wenn viel gearbeitet wird? Aber ich glaube nicht, dass es Fehler gibt, über die dann öffentlich debattiert worden ist oder hätte debattiert werden müssen.

    Schmidt-Mattern: Herr Ministerpräsident, vielen Dank für das Gespräch.