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Der Cocktailpartyeffekt und andere Störgeräusche

Hören funktioniert unbewusst, kaum jemand kennt die komplexen Prozesse im Ohr und Gehirn, die aus Schallwellen "gehörte" Informationen machen. Zu den größten Rätseln zählt dabei, wie wir aus einer Vielzahl von Schallquellen - sprechende Menschen, bellende Hunde, lärmende Autos - die Stimme desjenigen herausfiltern, der etwas erzählt. Bei Gesunden läuft das perfekt ab, bei Schwerhörigen sieht das ganz anders aus: Kommunikation gelingt ihnen nur noch, wenn die Hintergrundgeräusche weitgehend eliminiert sind. Hörgeräte helfen nur teilweise, weil es noch nicht gelungen ist, die komplizierten Vorgänge des Gehörs technisch nachzubilden. Am Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst fand nun eine internationale Tagung statt, bei der über Hörgeräte diskutiert wurde, die genau diese Defizite lindern sollen.

Von Mirko Smiljanic |
    Eine Cocktailparty: Stimmen, Gläserklirren, dezente Musik. Alle reden miteinander, teilweise zu zweit, teilweise in kleinen Gruppen – aber nicht jeder versteht, was sein Gegenüber ihm sagt. Krampfhaft versucht mancher aus den Lippenbewegungen das Gesprochene abzulesen – umsonst, Gehör und Gehirn sind in dieser akustischen Umgebung überfordert. 15 Prozent aller Deutschen leiden unter einer Innenohr-Schwerhörigkeit; Tendenz steigend, schon deshalb, weil unsere Gesellschaft immer älter wird und Schwerhörigkeit ein klassisches Altersproblem ist. Bei jungen und gesunden Menschen arbeitet das Gehör perfekt und vor allem im Dauerbetrieb.

    Der Schall geht in unser Ohr, in unser Innenohr, wird dort in seine verschiedenen Frequenzen zerlegt und wird auf den nachfolgenden Stationen der Hörbahn im Gehirn in noch weitere Eigenschaften zerlegt, und aus diesen Eigenschaften puzzelt sich das Gehirn dann eine sehr getreue akustische Abbildung der Umgebung wieder zusammen.

    Professor Birger Kollmeier leitet das Hörzentrums an der Universität Oldenburg. Der Mediziner und Physiker unterscheidet zwei Hörschäden: Erstens die Schallleitungs-Schwerhörigkeit und zweitens die Innenohr-Schwerhörigkeit. Bei der Schallleitungs-Schwerhörig-keit registriert das Gehör nicht mehr den vollen Pegel einer Schallquelle und zwar unabhängig von der Frequenz: Dunkle und helle Töne werden gleichermaßen leise wahrgenommen. Die Therapie besteht letztlich darin, den akustischen Eindruck durch Hörgeräte zu verstärken. Ganz anders sieht es bei der Innenohr-Schwerhörigkeit aus. Hier sind die Systeme des Innenohres betroffen,...

    ...das heißt die Umsetzung der Schallsignale in Nervenimpulse. Das ist nicht nur eine Abschwächung des Schallsignals sondern vor allem eine Verzerrung. Ein Patient mit Innenohrschwerhörigkeit nimmt die Klangwelten nicht mehr so deutlich und trennbar wahr wie ein Normalhörender.

    Bemerkbar macht sich die Innenohr-Schwerhörigkeit unter anderem daran, dass der Patient nach zu leisen Tönen plötzlich den Eindruck hat, er höre alles extrem laut. Außerdem kann er die unterschiedlichen Hörquellen nicht mehr unterscheiden – der Cocktailpartyeffekt!

    Insbesondere diese unterschiedliche Hörstärken-Empfindlichkeit kann man mit so genannter Multikanaldynamik-Kompression in den Griff kriegen, also dieses Problem, nach zu leise kommt gleich zu laut, das bekommt man mit einem gut angepassten Hörgerät, das mit mehreren Kanälen arbeitet, gut in den Griff. Was man mit den heutigen Hörgeräten nicht hundertprozentig in den Griff bekommt, ist eben der Cocktailpartyeffekt. Es gibt schon einige Ansätze, die in Hörgeräten vorhanden sind, wie Richtmikrophone, die sich auf eine bestimmte Raumrichtung konzentrieren und andere Richtungen unterdrücken,...

    ...oder aber das Hörgeräte erkennt, ob jemand spricht oder ob der Schall eine andere Ursache hat. Registriert es gesprochene Sprache, werden automatisch die Hintergrundgeräusche herunter geregelt. Wirklich präzise arbeiten diese Verfahren nicht, das HiFi-Hörgerät der Zukunft funktioniert nach Birger Kollmeiers Vorstellung völlig anders. Denkbar wäre etwa, wenn ein Minicomputer den gesamten Schalleindruck dahin gehend untersucht, welche Signale der Patient überhaupt für einen guten Höreindruck braucht. Alles Überflüssige wird gelöscht. Vergleichbar ist dies mit dem so genannten MP3-Verfahren aus der Musikindustrie...

    ...da werden ja auch gewissen Informationen von dem Eingangsignal, von dem Audiosignal erst gar nicht übertragen, trotzdem hört es sich gut an für einen Normalhörenden. Bei Schwerhörigen muss man ein solches MP3-Verfahren noch weiter treiben, man muss genau herausfinden, welche Schallanteile können wir bis zum Gehirn, bis zur individuellen Schwerhörenden transformieren.

    Das ist leicht gesagt, aber schwer umzusetzen: Denn wer den Bauplan dieser Maschine kennt, kennt auch die Konstruktionsprinzipien des menschlichen Hörsystems. Und hier gibt es trotz großer Fortschritte weitaus mehr Fragen als Antworten. Lösen lässt sich das Problem ohnehin nur Interdisziplinär: Neben Medizinern sind Computerexperten, Neuro- und Kognitionswissenschaftler, Sprach- und Hörforscher sowie medizinische Physiker und Ingenieure beteiligt. Immerhin hat das Projekt ein ehrgeiziges Ziel: Die Forscher möchten das Gehör auf einem Chip abbilden! Erste Schritte sind am Hörzentrum der Universität Oldenburg getan.