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Der Japan-Boom

Mangas sind nicht der einzige japanische Kulturexport: Sushi-Bars sprießen in allen westlichen Großstädten aus dem Boden, selbst die Mode, vor allem Mädchenmode gilt bei jungen Leuten als hip.

Von Matthias Hennies | 02.12.2010
    Den Trend gibt es weltweit und die Japaner stehen an der Spitze: Westliche Länder, in denen die Produktion von Autos oder Fernsehapparaten immer unrentabler wird, versuchen stattdessen Umsatz mit der Kulturindustrie, mit Fernsehserien oder Modedesign zu machen. Japan hat zurzeit den größten Erfolg damit: Was einst als fragwürdiges Groschenprodukt galt, hat das Land weltweit zum Trendsetter gemacht: Comics, "Manga", und Zeichentrickfilme, "Anime" genannt, haben sich unter jungen Leuten so rasant verbreitet, dass japanischer Lebensstil heute umfassend vermarktet wird, von Sushi-Gerichten bis zur Mädchenmode. "Cool Japan" wurde das Phänomen getauft, aufgrund eines amerikanischen Presseartikels. Und die japanische Regierung griff den Trend dankbar auf:

    "Anfang 2002 war Japan ökonomisch und moralisch immer noch in einer schlechten Phase und da kam die japanische Regierung auf diesen Artikel und hat wohl gedacht, warum machen wir da keine Kampagne draus? Und so war das keine gezielte Strategie zur Hebung der nationalen Laune oder des Bruttosozialprodukts, sondern eine Fügung aufgrund des Artikels eines westlichen Journalisten."

    Der Außenminister persönlich setzte sich für die "Cool Japan"-Kampagne ein, berichtet die Japanologin Lisette Gebhardt, Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Es geht dabei eben nicht nur um Umsätze, sondern auch um das Bild Japans in der Welt, um ein neues Markenzeichen für das "Land der aufgehenden Sonne". Und so sind die Comiczeichner überrascht, dass Werke der populären Kultur plötzlich als genuin japanisch gelten, als Erbe des berühmten Farbholzschnitts:

    "Dass die sich jetzt als Nachfahren großer japanischer Holzschnitt-Künstler etwa sehen würden, geschieht nicht so häufig – meistens dann, wenn sie eben von japanischen Offiziellen ins Ausland entsandt werden, dann bekommen sie einen kulturmissionarischen Auftrag ins Gepäck und auch wenn der Künstler einen französischen Zeichner zum Vorbild hätte, muss er dann sagen im Namen von "Cool Japan", ja, ich lehne mich an Edo-zeitliche Holzschnitte an, an den großen Hokusai."

    Die offizielle Unterstützung des "Cool-Japan"-Booms stößt bei manchen Intellektuellen in Japan denn auch auf Widerspruch, erzählt Gebhardt. So entstünde ein allzu oberflächliches Bild des Landes, heißt es. Sie möchten sich lieber durch die traditionsreiche Hochkultur repräsentiert sehen. Professor Toshiya Ueno, Medienwissenschaftler an der Wako-Universität in Tokio, hält die Produkte der populären Kultur letztlich für austauschbare Form ohne Inhalt:

    "Denken Sie an chinesische Nudeln: Die gibt es überall, in Deutschland, Holland oder Japan. Aber die haben nichts mit der originalen chinesischen Nudelsuppe zu tun. So ist es auch mit der Manga- und Anime-Kultur: Sie verbreitet sich ohne jeden Bezug zu ihrer originalen japanischen Herkunft. "

    Die Basis für den Boom der Zeichentrickfilme und Comics liegt im Land selbst. Dort machen Manga rund 70 Prozent des gesamten Buchmarkts aus. Sie haben eine riesige Gemeinde eingefleischter Fans, Otaku genannt. Ihre aufwendigen Kostümfeste, bei denen sie in der selbstgeschneiderten Kleidung ihrer Helden auftreten, finden in den USA längst breite Nachahmung. Toshiya Ueno allerdings hält die "Otaku" für verdeckte Nationalisten. In ihren Internetforen, warnt er, tauchten immer wieder Hasstiraden gegen andere asiatische Staaten auf.

    Irritierend wirkt auf Außenstehende auch die japanische Girlie-Mode, die sich ebenfalls nach Westen verbreitet hat: Mit pink-farbenen Handtäschchen, karierten Röcken und Kniestrümpfen ziehen sich junge Frauen in die Rolle naiver Schulmädchen zurück, scheint es. Doch die Japanologin Gebhardt erinnert daran, dass die Frauenbewegung auch in Japan stattfand. Japanische Frauen seien heute selbstbewusster als Männer, erklärt sie:

    "Das Mädchenhafte ist eher eine Art von Parodie, würde ich meinen. Und auch ein Zeichen von Selbstbewusstsein, anders als vielleicht das ein Europäer sehen würde, der meint, die japanische Frau muss sich erniedrigen, machen manche Frauen das in Japan, weil sie ein Spiel mit ihrer Geschlechterrolle betreiben, ein Spiel mit dem Frau–Sein."

    Ob es an der Kampagne der Regierung liegt oder einfach am kommerziellen Erfolg, der "Cool Japan"-Boom hat tatsächlich Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Auslands. Das verbreitete Bild des kämpfenden Japan, zuerst geprägt durch die Kamikaze-Piloten des Zweiten Weltkriegs, dann durch die gnadenlose Aufholjagd der Industriekonzerne, wandelt sich allmählich. In den USA zum Beispiel, wo man Japan lange als Feind wahrnahm:

    "Junge Amerikaner und auch die amerikanischen Intellektuellen sehen das Japanische mittlerweile als Gegenwelt zu einer saturierten, plutokratischen, patriarchalischen, männlichen amerikanischen Gesellschaft und schreiben Japan größeres Verständnis für den Menschen und die Natur zu, sehen also hier eine Alternative zu westlichen Vorstellungen."

    Schwieriger ist der Image-Wandel in Asien. Dort haben viele Länder während des Zweiten Weltkriegs unter japanischen Soldaten gelitten, die sich als "Herrenmenschen" fühlten und zahlreiche Gräueltaten verübten. In der japanischen Wissenschaft ist diese Periode zwar aufgearbeitet worden, doch in der Politik wird sie bisher nur sehr zögerlich thematisiert. Auch in den Massenmedien ist die Debatte über die Vergangenheit noch nicht recht ingang gekommen. Das Erbe des elitebewussten Kaiserreichs belastet nach wie vor die Beziehungen nach Südostasien und vor allem zur Volksrepublik China. Entspannt hat sich dagegen das Verhältnis zu Südkorea – nicht zuletzt unter Einfluss der populären Kultur: Die Rundfunkanstalten der beiden Länder haben untereinander Fernsehserien ausgetauscht und damit sogar einen Reiseboom der neu gewonnenen Fans ausgelöst.

    Auch die Wissenschaft in Deutschland bleibt von der Japan-Welle nicht unberührt. Alexandra Ivanova, Japanologie-Studentin an der Universität Frankfurt, kennt viele Kommilitonen, die das Fach gewählt haben, weil sie Manga-Fans sind – und die Studieninhalte haben sich entsprechend gewandelt:

    "Die Inhalte des Fachs Japanologie verändern sich, in der letzten Zeit fingen Medieninhalte immer mehr an, einzusickern und auch neue popkulturelle Phänomene und Manga-Forschung hat sich etabliert, Anime-Forschung hat sich etabliert, der Otaku spielt eine Rolle, das verändert sich und man kriegt von "Cool Japan" auch im Fach viel mit."