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Der Niedriglohn der Arbeit

Mehr als vier Millionen Menschen sind arbeitslos - und spüren jetzt mehr Druck. Wer einen Job nicht annimmt, muss mit empfindlichen Sanktionen rechnen. Doch wo sollen die Jobs herkommen, bei Arbeitslosenquoten von über 20 Prozent in einigen Regionen? "Arbeit ist machbar" - Das ist die Antwort zweier Wirtschaftsprofessoren aus Magdeburg. Sie haben eine detaillierte Anleitung darüber geschrieben, wie dauerhaft neue Jobs geschaffen werden können - im Niedriglohnbereich.

Rezensentin: Friederike Schulz |
    Als ob es nicht schon genug Modellversuche zur Belebung des Arbeitsmarktes gebe und noch nicht genügend Bücher über Arbeitsmarktpolitik. Doch dieses Buch ist eine echte Bereicherung. Wer es gelesen hat, stellt sich unwillkürlich die Frage: Wieso hört keiner auf die beiden Autoren? Ihre so genannte "Magdeburger Alternative" ist so gut begründet und plausibel, dass man sie jedem Arbeitsmarktpolitiker als Pflichtlektüre verordnen möchte. Ronnie Schöb und Joachim Weimann sind Professoren für Volkswirtschaftslehre an der Universität Magdeburg. Da liegt die Befürchtung nahe, bereits im ersten Kapitel könne der Leser mit Grafiken über Lohnstückkosten und Formeln zur Errechnung der Grenzproduktivität überhäuft werden. Die Sorge ist unbegründet. Das 200-Seiten-Werk ist durchweg flott und anschaulich geschrieben und auch ohne VWL-Studium verständlich.

    So wie ein guter Arzt die Ursache einer Erkrankung kennen muss, um eine wirksame Medizin verabreichen zu können, so müssen wir herausfinden, warum heute so viele Menschen ohne Arbeit sind, wenn wir den Arbeitsmarkt heilen wollen. Wir müssen wissen, was schief gegangen ist.

    Und deswegen beginnt "Arbeit ist machbar" mit einer Analyse der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen 30 Jahre. Erste Station ist die Ölkrise im Herbst 1973. Zum ersten Mal wurde Arbeitslosigkeit zu einem echten Problem. Auf wenigen Seiten erläutern die Autoren die Gründe. Ein wichtiger Punkt sind dabei die zu hohen Lohnsteigerungen. Die Gewerkschaften rechneten in Folge der Ölkrise mit einer hohen Inflationsrate. Deswegen begannen sie einen knallharten Arbeitskampf um Lohnerhöhungen. Auch der Deutschlandfunk berichtet Anfang 1974 immer wieder über die unerbittlichen Streiks im Öffentlichen Dienst:

    Das Angebot der Arbeitgeber von gestern Abend ist bekannt. Lohn- und Gehaltserhöhungen von zehn Prozent, mindestens jedoch um 140 DM monatlich. Die Reaktion der Gewerkschaften ebenfalls bekannt: Eine Ablehnung, eine Interpretation als völlig unzureichend...

    Doch die Gewerkschaften hatten sich verschätzt. Die Inflation blieb niedriger als erwartet. Somit stiegen die Reallöhne in beträchtlichem Maße an. Ronnie Schöb und Joachim Weimann erklären in wenigen Sätzen den komplizierten Zusammenhang zwischen Reallohnsteigerungen und der zunehmenden Arbeitslosigkeit.

    Das was die Arbeitnehmer insgesamt durch Reallohnsteigerungen an Einkommenszuwachs gewonnen haben, ist dadurch kompensiert worden, dass die Beschäftigung geringer ausgefallen ist, als die steigende Produktion erlaubt hätte. Reallohnsteigerungen machen Arbeit im Vergleich zum Kapital teurer. Es wird lohnender, Maschinen die Arbeit der Menschen verrichten zu lassen.

    Der historische Abriss ist präzise und bringt die vielen Fehler der bisherigen Arbeitsmarktpolitik auf den Punkt. Ein Lehrstück gerade für jüngere Leser, die die Politik der 70er und 80er Jahre nur aus Erzählungen kennen. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Zeit nach der Wiedervereinigung, als der damalige Bundeswirtschaftsminister Möllemann den Menschen in Ostdeutschland versprach, ihre Lebensverhältnisse schnellstens zu verbessern.

    Wir wollen keine auseinanderklaffende wirtschaftliche Entwicklung mit allen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen und Folgen. Es darf keine Zwei-Klassen-Gesellschaft in Deutschland geben.

    Die Löhne in Ostdeutschland stiegen sprunghaft um bis zu fünfzig Prozent. Gerade im Niedriglohnsektor wurde die Arbeit zu teuer. Da halfen auch keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ohne Umschweife demontieren die beiden Autoren die milliardenschweren Programme der 90er Jahre. Die Regierung Schröder kommt nicht besser weg. Das viel gerühmte Mainzer Modell - eine Luftnummer, sagt Ronnie Schöb.

    Das Problem auf dem Arbeitsmarkt ist zweiseitig. Wir haben auf der einen Seite das Problem, dass durch die Sozialhilfe der Anreiz, Arbeit zu suchen, sehr gering ist. Das war die Seite, die das Mainzer Modell angegangen ist: Lohnkostenzuschüsse für denjenigen, der bereit ist, wieder zu arbeiten. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere ist die Arbeitsnachfrageseite. Wer soll denn diese Jobs schaffen für diejenigen, die jetzt Arbeit suchen. Darauf gibt das Mainzer Modell keine Antwort. Die Lohnkosten sind für die Unternehmer zu hoch. Sie sind nicht bereit, mehr Leute einzustellen als sie momentan beschäftigen.

    Auch die Hartz-Gesetze haben für dieses Problem keine Lösung bereit. In der Tat fragt man sich, warum die Politik diese Frage ausspart. Die beiden Professoren behaupten nicht, eine ultimative Antwort gefunden zu haben. Aber sie zeigen einen Weg auf, wie ihrer Meinung nach knapp zwei Millionen Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor geschaffen werden könnten. Das würde bedeuten, dass sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland halbiert. Die Arbeit muss billiger werden. Deswegen übernimmt der Staat auf Dauer die Sozialversicherungsbeiträge, erläutert Ronnie Schöb.

    Der Trick ist, dass diese Subventionen netto den Staat gar nichts kosten. Wer jetzt arbeitslos ist, hat Anspruch auf Krankenversicherung. Wenn der Staat jetzt die Krankenversicherung übernimmt, bezahlt er nicht mehr als für denjenigen, der arbeitslos war. Diese Subvention kostet den Staat nichts, weil die Sozialversicherungsbeiträge bei den Geringqualifizierten nichts anderes war als eine Strafsteuer für Arbeit in diesem Lohnsegment.

    Die Sicherheitsvorkehrungen gegen Missbrauch der Subventionen sind umfangreich und gut durchdacht. So dass der Leser am Ende überzeugt ist: Es gibt keinen Grund, warum die "Magdeburger Alternative" nicht funktionieren sollte. Im Oktober sind Ronnie Schöb und Joachim Weimann bei Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Böhmer eingeladen. Es wäre ihnen zu wünschen, dass ihre Ratschläge dann endlich Gehör fänden.

    "Arbeit ist machbar", behaupten die Magdeburger Ökonomen Ronnie Schöb und Joachim Weimann in ihrem 193 Seiten dicken Buch. Es trägt den Untertitel. Die neue Beschäftigungsformel. Janos Stekovics Verlag, Dößel 2004, und kostet 16,80 Euro.