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Der Part des Menschen

Polarforschung. - Ein Eisbohrkern von der James-Ross-Insel vor der Küste der Antarktischen Halbinsel gibt Einblick in 50.000 Jahre Klimageschichte einer Region, die sich zurzeit in atemberaubendem Tempo erwärmt. Die Ergebnisse stehen in der aktuellen "Nature".

Von Dagmar Röhrlich | 23.08.2012
    Nur bis 1958 reichen die meteorologischen Aufzeichnungen der antarktischen Halbinsel zurück. Trotzdem beunruhigen die Daten: Weder in der West- und erst recht nicht in der Ostantarktis sind die Temperaturen während der vergangene Jahrzehnte auch nur annähernd so schnell gestiegen wie dort:

    "Den Daten der meteorologischen Stationen zufolge hat sich die antarktische Halbinsel rapide erwärmt. Als ich als junger Mann zum ersten Mal die vorgelagerte James-Ross-Insel besuchte, war sie noch von mächtigen Schelfeismassen umgeben. 1995 sind diese Eismassen innerhalb weniger Wochen verschwunden und als Eisberge aufs Meer hinaus geschwommen."

    Deshalb habe er die James-Ross-Insel als Standort für eine Eisbohrung gewählt, um die Klimageschichte der Antarktischen Halbinsel zu analysieren, erzählt Robert Mulvaney vom British Antarctic Survey in Cambridge:

    "An der Stelle, die wir dafür ausgesucht haben, war das Eis 364 Meter mächtig. Wir durchbohrten es bis zum Gestein darunter. Im Labor stellten wir dann fest, dass dieser Eisbohrkern für 50.000 Jahre Klimageschichte steht."

    In der nun veröffentlichten Analyse schauten sich die Forscher vor allem die vergangenen 15.000 Jahre an, also wie sich das Klima seit der jüngsten Eiszeit entwickelt hat. Danach stiegen die Temperaturen zunächst allmählich an - über die Jahrtausende hinweg mit ein bis zwei Zehntel Grad Celsius pro Jahrhundert:

    "Zu Beginn dieser warmen Periode vor rund 10.000 Jahren war das Klima sogar um etwa 1,3 Grad wärmer als heute. Insgesamt betrug die Erwärmung seit dem Ende der Eiszeit damals 6 Grad Celsius. Dann, vor ungefähr 9000 Jahren, sank die Temperatur leicht, lag bei heutigem Niveau. So blieb sie bis vor rund 2500 Jahren."

    Von da an kühlte das Klima um anderthalb Grad ab, erreichte vor 600 Jahren den kältesten Punkt seit dem Eiszeitende. Anschließend stiegen die Temperaturen wieder an:

    "Die Erwärmung vor 600 Jahren begann recht langsam mit nur zwei Zehntel Grad pro Jahrhundert. Der Analyse des Eisbohrkerns zufolge setzte vor 50 Jahren eine starke Beschleunigung auf 1,5 Grad Celsius pro Jahrhundert ein."

    Den meteorologischen Daten zufolge waren es während der vergangenen 50 Jahre sogar zwei Grad. Anscheinend überlagerten sich bei dieser schnellen Erwärmung der antarktischen Halbinsel zwei Phänomene: der langsame, natürliche Trend, der vor 600 Jahren begann - und der beschleunigende, wohl menschengemachte. Und immer reagierte das Eis:

    "Während der jüngsten Eiszeit war der Eispanzer der Antarktis natürlich sehr viel größer und begann mit dem Ende der Eiszeit zu schmelzen. Um die James-Ross-Insel war das Schelfeis vor 5000 Jahren wohl verschwunden. Vor 2500 Jahren erschien es wieder: und zwar genau zu dem Zeitpunkt, für den der Eisbohrkern die Abkühlung anzeigt. Bis vor 20 Jahren war das Schelfeis stabil, dann zerfiel es. Der Punkt ist, dass die Temperaturen während der vergangenen 50 Jahre denen vor 5000 Jahren ähneln - und dass sie in der Tendenz immer schneller ansteigen."

    Dass das nun endlich klar belegt sei, darin sieht Eric Steig von der University of Washington in Seattle den wichtigsten Beitrag dieses Aufsatzes:

    "Überall gehen die Temperaturen rauf und runter, mal langsamer, mal schneller. Ob eine Entwicklung etwas bedeutet, zeigt erst der Zusammenhang. Den aktuellen Ergebnissen zufolge läuft die Erwärmung der Antarktischen Halbinsel auch im Kontext sehr schnell."

    Robert Mulvaney fürchtet: Bliebe dieser Trend erhalten, könnten einige der antarktischen Schelfeisgebiete, die seit der jüngsten Eiszeit stabil geblieben sind, innerhalb weniger Jahrzehnte verschwinden.