Archiv


Der Spagat zwischen Islam und Moderne

Im Iran lebt ein junges Volk: Zwei Drittel der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Von Politik will diese junge Generation nicht viel wissen - sie richtet sich in der Religionsdiktatur ein und ringt mit sich selbst: zerrissen zwischen westlicher Moderne und iranischer Tradition. Viele begehren auf, nehmen Strafen für unsittliches Verhalten in Kauf: Die Kluft zwischen der jungen Bevölkerung und dem konservativen Regime ist so groß wie nie zuvor. Gunnar Köhne berichtet.

    Universität Teheran, Fakultät für politische Wissenschaften. Wer hier studiert, gehört zur furchtlosen Elite des Landes.

    Wieder und wieder gibt es auf diesem Campus Proteste gegen die Regierung. Vahid Abedini von der Studentenorganisation "Gefestigte Einheit" hat die größte Demo der letzten Zeit mit organisiert. Es war Ende September, der Staatspräsident Ahmadinedschad hatte eine Rede im Audimax angekündigt. Hunderte Demonstranten verlangten Einlass. Es gab Prügel und Festnahmen. Vahid und seine Freunde waren erbost. Hatte sich Ahmadinedschad nicht wenige Tage zuvor, am Rande einer UN-Vollversammlung den Fragen amerikanischer Studenten gestellt?

    "In der Columbia-Universität hat Ahmadinedschad behauptet, in unserem Land gebe es alle Freiheiten und hat alle Fragen zugelassen. Na gut, dachten wir, wenn die amerikanischen Kommilitonen unseren Präsidenten sogar nach der Situation der Schwulen im Iran befragen dürfen, warum dürfen wir ihn dann nicht einmal fragen, warum das Mensaessen und die Wohnheime so miserabel sind?"

    Vahid Abedini ist wegen eines kritischen Flugblattes zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Fast jeden Monat, sagt er, geht er auf die Abschiedsparty eines Kommilitonen. Wer kann, verlässt den Iran.

    "Ich studiere seit sechs Jahren hier an der Uni - und ich sehe wie die Studenten immer depressiver werden. Die Lust, sich politisch zu engagieren sinkt. Nirgendwo können wir jungen Leute unsere Wut loswerden. Nicht einmal unsere Fragen können wir loswerden. Diese Depression ist schon chronisch. Es macht viele von uns regelrecht krank, viele treibt es in die Sucht."

    Ein Büro in bester Teheraner Stadtlage. Mohammed Taki Fakhrian, bärtiger Chef der islamischen Schülerunion schiebt ein Videospiel in seinen Laptop. Die konservative Schülerunion, mit einer halbe Million Mitglieder größte staatlich gelenkte Jugendorganisation, ließ das Spiel nach amerikanischen Vorbildern entwickeln - bloß unter umgekehrte Vorzeichen: Ein Kommando der Revolutionsgarden befreit metzelnd zwei entführte iranische Atomingenieure aus den Fängen der Israelis. Das Spiel wird gratis an Irans Schulen verteilt. Fakhrian hofft, durch dieses Spiel den westlichen Einfluss auf die Jugend zurückzudrängen und die Wehrhaftigkeit der Jugend zu stärken:

    "Wir glauben zwar nicht mehr, dass die Kriegsdrohungen der Amerikaner ernst gemeint sind, aber man darf den Feind auch nicht unterschätzen. Darum erziehen wir unsere Jugend zur Wehrhaftigkeit, und führen an Schulen auch Wehrübungen durch."

    Doch den meisten Teheraner Jugendlichen steht augenscheinlich nicht der Sinn nach solchen Kriegsspielen. Sie überrennen die ausländischen Sprachinstitute der Stadt. Die Fremdsprache als Sprungbrett ins Ausland, zum Studium oder zur Arbeit. Auch das deutsche Sprachinstitut kann den Ansturm der jungen Leute kaum bewältigen. Die Warteliste zählt über 2000 Bewerber. In einem der Kurse fallen klare Sätze auf gutem Deutsch zur Lage der iranischen Jugend:

    "Ich glaube, dass wir heute keine Freiheit haben im Iran. Und die Arbeitslosigkeit. Und die wenigen Möglichkeiten hier zu studieren. Wir sind hoffnungslos."

    "Sogar auf der Strasse, wenn man mit seiner Freundin zusammen ist und die Polizei ihnen begegnet, dann haben sie Probleme. Wenn sie kein Ehepaar sind dürfen sie nicht miteinander spazieren gehen."

    Sex außerhalb der Ehe ist im Iran offiziell verboten. Doch jeder dritte Teheraner Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren hat in einer Untersuchung angegeben, sexuell aktiv zu sein. Die Scheidungsrate steigt, ebenso die Zahl der illegalen Abtreibungen. Und auch die Prostitution ist längst Alltag in der Hauptstadt. Gleichzeitig verschärft die Regierung ihre so genannte Sittlichkeitskampagne, beklagt sich eine junge Frau in einem Teheraner Cafe:

    "Weil mein Kopftuch zu kurz war und viel Haar sichtbar war, haben sie mich neulich mit auf eine Polizeiwache genommen. Erst als meine Eltern kamen und sich auswiesen, wurde ich wieder freigelassen. .. Viele aus meiner Generation sind depressiv, es gibt kaum Jobs, viele wollen das Land verlassen und der Drogenkonsum ist wirklich schlimm."

    In wenigen Ländern ist der Konsum harter Drogen so verbreitet wie im Iran, sagt die UN. Mehr als eine halbe Million Drogenabhängige soll es allein in Teheran geben. Ein Schuss Heroin ist zum Preis einer Schachtel Zigaretten zu haben.

    Ein Wohnzimmer im reichen Teheraner Norden. In den schweren Polstermöbeln sitzen vier schwarz gekleidete Studenten und spielen auf ihren elektrischen Gitarren. Ihre Haare tragen sie halblang und struppig. Ihre knapp bekleideten Freundinnen schauen dem Treiben zu, während sie an ihren Getränken nippen. Die eigenen vier Wände sind der einzige Ort im Iran, wo man Rockmusik spielen darf und wo auch am Händchenhalten niemand Anstoß nimmt. Eine Karriere als Rockgruppe bleibt diesen Musikstudenten in der Islamischen Republik verwehrt. Die Regierung greift wieder hart durch. Erst Ende August wurden alle 300 Besucher eines privaten Rockkonzertes verhaftet. Kian und Ardawan, die beiden 22jährigen Gitarristen, kleiden ihren Zorn in vorsichtige Worte:

    "Ich wünsche mir, eines Tages aus dem Haus treten und tief durchatmen zu können - und zwar die Luft der Freiheit."
    "Wir wollen wenigstens in unserem Bereich, der Musik mit allen ihren Stilrichtungen, frei sein. Alles andere soll mir egal sein."

    Zwei Jahre Militärdienst stehen den jungen Männern noch bevor. Ausgerechnet in einer Zeit der Konfrontation mit dem Westen. Dabei lieben diese jungen, zornigen Iraner beides: ihr Land und den amerikanischen Blues.