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Der Volksheilige Padre Pio
Zwischen Aberglaube und Frömmigkeit

Padre Pio ist für die einen der Volksheilige schlechthin, für andere ein Scharlatan. In Italien sind Bilder des Kapuziner-Mönchs mit dem weißen Rauschebart allgegenwärtig. Seine Gebeine werden im Februar aus Anlass des Heiligen Jahres im Petersdom präsentiert. Wer war dieser Mann, der 1968 gestorben ist? Ein verwirrter Exzentriker oder ein großer Mystiker?

Von Corinna Mühlstedt | 03.02.2016
    Hände versuchen, die letzten Sonnenstrahlen des Tages einzufangen.
    Lichtgestalten, Kampf gegen Dämonen, mystische Erfahrungen - der Volksheilige Padre Pio war zu Lebzeiten umstritten (picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr)
    "Padre Pio ist ein Volksheiliger – die Nähe zum Volk ist seine Stärke und sein Charisma. Er hat eine radikale, mystische Ausstrahlung und vermittelt eine archaische Kraft, die der Mensch auch heute braucht und sucht."
    "Also für einen aufgeklärten Westeuropäer ist das sehr schwer zu verdauen: Dazu kommt, dass er nachts mit dem Teufel gekämpft hat. Da war immer wieder die Frage: Ist er verrückt? Ist er psychisch krank? Oder ist da wirklich etwas dahinter?"
    "In unserer Familie haben wir viel von Padre Pio gelernt. Er hat uns vor allem gelehrt, das Leid zu akzeptieren und Christus zu vertrauen. Wir haben Padre Pio bei allen Problemen um Rat gefragt. Er war immer da für uns."
    Francesco Forgione, bekannt als Padre Pio, war zu Lebzeiten schwer umstritten. Seine Gegner beschimpften den süditalienischen Kapuziner als Exzentriker. Doch Millionen von Menschen aus aller Welt schätzen ihn als Mystiker und Ratgeber.
    Umstrittene Persönlichkeit
    "Versuchen wir nach dem Vorbild Jesu zu leben, vor allem im Schmerz. Dann können wir erfahren, dass wir immer mehr eins mit Gott werden."
    Das Gottvertrauen, das er anderen vermittelt, muss der junge Francesco schwer erringen. Als der Sohn eines armen Landarbeiters aus Apulien 1903 im Alter von nur 15 Jahren in den Kapuziner-Konvent von Forgione eintritt und den Ordensnamen Pio erhält, wird er als freundlich und ruhig beschrieben. Über seine beängstigenden Visionen spricht der Novize nur mit seinen spirituellen Begleitern innerhalb des Ordens.
    "Einmal kam eine lichtvolle Gestalt zu mir und sagte: 'Komm mit mir, Du sollst zu einem mächtigen Krieger werden.' Dann führte sie mich auf ein weites Feld. Dort standen auf der einen Seite schöne Menschen in weißen Kleidern und auf der anderen Seite schreckliche dunkle Gestalten. Schließlich sah ich ein riesiges, Furcht erregendes Monster auf mich zukommen, und die Lichtgestalt neben mir forderte mich auf, gegen diesen Dämon zu kämpfen. Ich weigerte mich. Doch die Lichtgestalt sagte: 'Ich werde Dir helfen und nicht zulassen, dass er Dich schlägt'".
    So geschah es, berichtet der Novize. Schließlich habe ihm die Lichtgestalt versichert:
    "Dieses Monster wird immer wieder kommen, um Dich anzugreifen. Bekämpfe es tapfer und zweifle dabei nie an meiner Hilfe."
    Projektionen unbewusster Ängste
    Erlebnisse wie dieses kann die Tiefenpsychologie auf verschiedene Art erklären. Möglicherweise belasteten den jungen Pio Albträume oder Bilder von blutigen biblischen Schlachten. Die Episode könnte aber auch die schweren inneren Kämpfe des angehenden Mönchs um eine asketische Lebensführung spiegeln. In zahlreichen alten Heiligen-Legenden versinnbildlichen Dämonen menschliche Versuchungen. Stets handle es sich dabei um die Projektionen unbewusster Ängste nach außen, erläutert der Jesuit und Religionspsychologe, Hans Zollner.
    "Ich glaube, dass wir da einiges von der Tiefenpsychologie lernen können, die sagt: alles, was ich bei mir nicht annehme, was ich unterdrücke, und zu dem ich nicht stehe vor mir selber, das findet andere Kanäle und kommt dann dort raus, wo ich es nicht will."
    Wie dem auch sei: Padre Pio wird zeitlebens, vor allem nachts, von abenteuerlichen Auseinandersetzungen mit furchterregenden Monstern berichten. Pietro Bongiovanni ist Pfarrer in Rom. Er kannte den weltberühmten Kapuziner persönlich.
    "Diese grauenvollen Nächte, in denen Padre Pio gegen Dämonen kämpfte, sind allgemein bekannt. Pater Eusebio, der lange Pios Assistent war, hat mir einmal gesagt: Pietro, Du kannst Dir diese Nächte nicht vorstellen. Einmal kam aus Pios Zimmer ein solcher Lärm, dass ich spontan eingetreten bin, und ich sah ihn mit dem Gesicht in einer Blutlache am Boden liegen."
    Die Schilderung lässt noch eine weitere Deutung der Vorgänge zu.
    "Nach den Aussagen vieler Zeitgenossen litt Padre Pio von Jugend an unter Tuberkulose. Die Krankheit war vor rund 100 Jahren in Süditalien weit verbreitet. Oft wurde sie nicht diagnostiziert, oft schamvoll verschwiegen. Stets aber hatte sie für die Betroffenen schwerste physische und psychische Konsequenzen."
    An der Schnittstelle zwischen Mittelalter und Moderne
    Akute Anfälle mit Atemnot und blutigem Husten, konnten für Menschen ohne medizinische Kenntnisse durchaus den Charakter eines "Überfalls von Dämonen" haben.
    "Sehen Sie: Padre Pio lebte in gewisser Weise an der Schnittstelle zwischen Mittelalter und Moderne. Denn die ländlichen Regionen Süditaliens waren bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg völlig vernachlässigt. Selbst die Elektrizität kam erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in diese Gegend. Davor herrschte dort buchstäblich noch das Mittelalter: fast niemand konnte studieren, es gab keine medizinische Versorgung, die Leute lebten in ärmlichen Hütten und mussten oft genug hungern."
    Aufgrund seiner Erkrankung kann Padre Pio nach seiner Ordination 1910 nur eingeschränkt als Priester arbeiten. Er verbringt einige Jahre in seinem Heimatort Pietrelcina, doch sein Zustand bessert sich kaum. Er leidet körperlich und seelisch.
    "Mein Gott, wann werde ich mich ein wenig in Dir ausruhen dürfen? Ich wäre bereit durch tausend Höllen zu gehen, wollte am Ende nur ein Strahl Deiner Liebe, in meinen Geist eindringen, der mir die Sicherheit dieser Liebe gäbe."
    1916 wird Pio von seinen Ordensoberen in das kleine apulische Bergdorf San Giovanni Rotondo geschickt. Man hofft, dass die frische Luft zu seiner Genesung beiträgt. Pio ist von der idyllischen Landschaft und Ruhe, die das winzige Kloster umgibt, begeistert. Er schreibt nach Hause:
    "Ich spüre, dass ich für sehr, sehr lange Zeit hier bleiben und nicht mehr fortgehen werde. Sorgt Euch nicht um mich."
    Gleichzeitig macht der junge Kapuzinermönch immer öfter mystische Erfahrungen, die ihm Kraft geben.
    Ekstatische Erlebnisse
    "Ich erhalte von Gott ständig Trost. In manchen Momenten scheint es mir sogar, als müsste ich vergehen aufgrund der übermächtigen Zärtlichkeit, die mir von ihm zu Teil wird."
    Die ekstatischen Erlebnisse steigern sich und erreichen 1918 ihren Höhepunkt.
    "Ich nahm unseren jungen Leuten die Beichte ab, als ich plötzlich mit größtem Schrecken eine himmlische Gestalt sah. Sie hielt einen langen Speer mit einer scharfen Spitze in der Hand und stieß ihn mir mit aller Kraft in die Seele. Seither fühle ich in meinem Innersten eine stets offene Wunde."
    In Pios Beschreibung spiegeln sich die Schilderungen großer mittelalterlicher Mystiker. So liest man etwa bei dem spanischen Karmeliter Johannes vom Kreuz, dem Weggefährten von Teresa von Avila im 16. Jahrhundert.
    "Es gibt feurige Pfeile göttlicher Liebe, die in unsere Seele eindringen. Sie entfachen in uns ein Feuer und hinterlassen eine Wunde der Liebe."
    Immer tiefer sucht Padre Pio in seinem eigenen Leid die mystische Einheit mit Christus am Kreuz. Er folgt darin nicht zuletzt seinem Ordensgründer Franziskus von Assisi und erlebt wie er Außergewöhnliches.
    "Um mich herum herrschte absolute Ruhe, als ich wieder die mysteriöse himmlische Gestalt sah. Doch diesmal flossen aus ihren Händen und Füssen, sowie aus ihrer Seite Blut. Bei ihrem Anblick erschrak ich so sehr, dass ich dachte, sterben zu müssen. Dann zog sich die Gestalt wieder zurück und ich sah, dass auch aus meinen Füssen und Händen, sowie aus meiner Seite Blut flossen."
    Die sogenannten Stigmata beziehungsweise Wundmale - in Entsprechung zu den Wunden Jesu, von denen die Bibel berichtet - machten Padre Pio berühmt. Bald schon strömten Pilger aus ganz Italien nach San Giovanni Rotondo. Durch sie erhielt die bitterarme Region unvermittelt Einkünfte. Doch der junge Kapuziner fühlte sich zunehmend von Neugier und Sensationslust bedrängt. Pietro Bongiovanni, der ihn persönlich kannte:
    "Das Aufsehen um die Person von Padre Pio ging nicht auf ihn selbst zurück, sondern auf Geschäftemacher und religiöse Fanatiker. Überlegen Sie: Vor 100 Jahren war in San Giovanni Rotondo nichts als Einsamkeit, Elend und Unwissenheit. Da kam dieser junge Mönch, und man merkte, dass er besondere spirituelle Gaben hatte. Daraufhin haben viele dieser einfachen Leute den Kopf verloren. Ein besonderes Problem waren die Frauen, die sogenannten 'spirituellen Töchter' von Padre Pio. Wie sie ihn verehrten – das führte zu Klatsch und Tratsch, Eifersucht und Neid."
    Die explosiv sich entladenden Emotionen brachten Padre Pio in das Kreuzfeuer von Kritikern. Schließlich sah sich der Kapuziner sogar mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe die Wunden an seinem Körper gezielt durch ätzende Substanzen erzeugt. Der italienische Historiker Sergio Luzzatto vertritt diese These bis heute und klagt die Menschen im Umfeld des Ordensmannes an, ihn vermarktet zu haben. Dabei überliefert er ein interessantes Zitat von Padre Pio.
    "Ich bin das, was Gott aus mir gemacht hat. Aber das, was all diese Leute aus mir machen, bin ich nicht. "
    Charakteristiken eines Hysterikers und Psychopathen?
    Auf Anordnung des Vatikans musste sich Pio mehreren ärztlichen Untersuchungen stellen. Der Franziskaner und Arzt, Agostino Gemelli, urteilte danach mit aller Härte.
    "Das Ganze ist ein Bluff. Padre Pio zeigt alle Charakteristiken eines Hysterikers und Psychopathen. Die Wunden an seinem Körper sind gefälscht, das Ergebnis pathologischer Vorgänge."
    Doch damit nicht genug. Angesichts einer wachsenden Zahl finsterer Unterstellungen, so der Mainzer Kapuzinermönch Helmut Rakowski, beschlossen Kirchenverantwortliche sogar, die Gespräche Padre Pios im Beichtstuhl abzuhören.
    "Ja, das stimmt. Die übelsten Vorwürfe gegen ihn waren, dass er Frauen bei der Beichte missbraucht habe oder zumindest anzüglich war, das ausgenutzt habe. Und dann hat man tatsächlich Mikrophone dort platziert, ohne sein Wissen natürlich, was völlig gegen die Regeln der Kirche ist, dass natürlich die Beichte unantastbar ist. Es kam nichts raus. Man hat ihn immer wieder rehabilitiert. Es hat sich nichts beweisen lassen."
    Bis heute sind im Blick auf die Wundmale Padre Pios Fragen offen. Während die Psychiatrie dazu neigt das Phänomen der Stigmatisierung als "krankhaft" einzuordnen, gilt es in der Psychoanalyse als "psychosomatischer" Vorgang: als körperliche Folge einer radikalen inneren Identifizierung mit dem Gekreuzigten.
    Der Religionspsychologe und Jesuit Bernhard Grom schreibt dazu 2009:
    "Eine übernatürliche Ursache ist nicht auszuschließen, doch lässt sich Stigmatisation möglicherweise einfacher als psychogene Hautblutung erklären... Extrem sensible Personen können beim Mitleiden mit dem leidenden Jesus diese Hautveränderungen autosuggestiv herbeiführen."
    Im Fall von Padre Pio standen die Ängste und Emotionen seiner Umwelt einem solch nüchternen Urteil lange im Weg. Um den ausufernden Gerüchten Einhalt zu gebieten, untersagten vatikanische Dekrete dem Kapuziner ab 1923 mehrfach, als Seelsorger tätig zu werden.
    "Es gab Zeiten, wo man ihm wirklich verboten hat, in die Öffentlichkeit zu gehen, zweimal, zuletzt sogar Johannes XXIII. Und da ist ganz interessant, dass Pio das hingenommen hat, dass er weder sich aufgelehnt hat dagegen, noch protestiert hat. Er hat nicht in der Öffentlichkeit zelebriert, keine Besucher mehr empfangen bis auf einige wenige Freunde. Und als er dann wieder zugelassen wurde, kaum war Paul VI. Papst, da waren die Leute wieder da - und er war wieder für die Leute da."
    Wunder-Erzählungen über Padre Pio
    Trotz der Sanktionen gegen Padre Pio wuchs über all die Jahre die Zahl jener Menschen, die dem geheimnisvollen Mönch aus Apulien vertrauten und ihm sogar heilende Kräfte zuschrieben. Pietro Bongiovanni erinnert sich:
    "Ich habe mehrfach eine Zeugin hierher nach Rom gebracht, die noch lebt: Ghemma di Giorgio. Sie ist in Sizilien ohne Pupillen geboren worden, blind. Die Großmutter verehrte Padre Pio, und in den 50er-Jahren schickte sie das Mädchen zu ihm. Ghemma empfing in San Giovanni die erste Kommunion, Padre Pio legte ihr die Hand auf die Augen - und das Mädchen konnte sehen! Es ist klar, dass Leute, die das erleben, vor Begeisterung durchdrehen. Als das Mädchen nach Palermo zurückkam, war die ganze Stadt am Bahnhof, um sie zu begrüßen und das Wunder zu sehen."
    Nach und nach rankten sich immer mehr Wunder-Erzählungen um Padre Pio. Weitere Berichte würdigen sein psychologisches Einfühlungsvermögen. So erzählt etwa die Römerin Maria Pia Campanini gerne, wie der Kapuziner mit viel Sensibilität ihren Vater, Carlo Campanini, auf den rechten Weg brachte. War der italienische Schauspieler doch einst für seinen lockeren Lebensstil bekannt.
    "Eines Tages forderte Padre Pio meinen Vater auf, eine Lebens-Beichte abzulegen. Als er dabei zögerte, gab ihm Pio immer wieder Stöße mit dem Knie und sagte: Was bist Du für ein Feigling! Du hast Dich nicht geschämt, unseren Herren in Deinem Leben immer wieder zu beleidigen, aber jetzt vor mir schämst Du Dich, all das zuzugeben! Danach hat er ihm die Absolution gegeben und ihn umarmt. Anschließend ging mein Vater in die Berge und weinte. Es waren Tränen der Befreiung, der Heilung. Fortan war er wie verwandelt."
    Schrittweise breitet sich der Ruf des wundertätigen Kapuziners auch jenseits der Grenzen Italiens aus. Fan-Gruppen, die in seinem Sinn beten und zugleich sozial aktiv sind, gibt es heute rund um den Globus: in den USA oder Südkorea ebenso wie in Deutschland oder Pakistan.Mit Spenden aus aller Welt lässt Padre Pio schließlich in San Giovanni Rotondo ein großes modernes Krankenhaus für die Ärmsten bauen: die "Casa Solievo della Sofferenza" - das "Haus zur Befreiung von Leid". Bei der Einweihung, 1956, kann man von ihm hören:
    "Die Casa Solievo ist eröffnet, Dank den Wohltätern, die in allen Ländern mitgeholfen haben, das Projekt zu verwirklichen. Danken wir dem Herren dafür, und arbeiten wir weiter zusammen, um das Elend der Menschen auf dieser Erde zu lindern."
    Nach dem Tod von Padre Pio, 1968, reißt die Verehrung des Volkes nicht ab. Viele Intellektuelle, auch innerhalb der Kirche, tun sich hingegen weiterhin schwer mit den archaischen Motiven in seiner Religiosität. Der Kapuziner Helmut Rankowski, der für die vatikanische Evangelisierungs-Kongregation arbeitet, bringt die Irritationen auf den Punkt.
    Heiligsprechung im Jahr 2002
    "Es war die Zeit des Konzils, es war auch die Zeit eines Modernismus in der Theologie. Es war die Zeit eines Rudolf Bultmann in Deutschland, der von der Entmythologisierung spricht und sagt: In der Zeit der Elektrizität, des Radios, da können wir nicht mehr vom Teufel und Dämonen im Neuen Testament so denken wie damals. Und da steht einer, der mit Dämonen kämpft. Und die Menschen gehen hin, weil sie sagen: Der hilft uns auf dem Weg zu Gott."
    Als Papst Johannes Paul II. im Jahr 2002 Padre Pio heilig spricht, zählt man in Rom nach offiziellen Schätzungen rund eine Million Pilger. Anlässlich des Heiligen Jahres soll der Mystiker nun besonders gefeiert werden. Im Februar 2016 wird der Sarg mit den Gebeinen des Mystikers für einige Tage im Petersdom aufgestellt werden. Nach Ansicht von Papst Franziskus sind einige archaisch wirkende Elemente in der Botschaft des Heiligen bis heute aktuell: etwa Padre Pios "Kampf gegen das Böse". Er sehe, welche Gefahren in der menschlichen Psyche lauern, Abgründe, die weit über persönliches Fehlverhalten hinausgehen.
    Die rational ausgerichteten Gesellschaften Mitteleuropas hätten das Ausmaß dieser Gefahren lange verleugnet, so der Religionspsychologe Hans Zollner, heute allerdings spüre man sie wieder: nicht zuletzt angesichts der gnadenlosen Gewalt von Terror und Krieg.
    "Ich glaube, dass wir jetzt deshalb so erschreckt sind, weil wir über Jahrzehnte diese Wirklichkeit des Bösen als etwas Marginalisiertes gesehen haben, als etwas, das wir dominieren können, so dass wir jetzt so überrascht sind, dass dieses Bösen mitten in unserer Zeit explodieren kann. Ich glaube, dass die jetzige Situation, zu tun hat mit dem, dass wir uns dem Thema des Bösen nicht adäquat gestellt haben."
    Der Einsatz Padre Pios gegen das Böse bekomme vor diesem Hintergrund neue Dimensionen, meint Pietro Bongiovanni.
    "Zu Padre Pio kamen wirklich Menschen von weit her und haben danach ihr Leben geändert. Er kämpfte nicht nur in der Beichte gegen die "Dämonen", sondern auch indem er gegen Not und Elend vorging. Nicht zuletzt betont er, dass man das Böse weder mit frommen Sprüchen noch mit brutaler Gewalt besiegt, sondern mit drei Dingen: einer ethischen Lebensweise, dem Gebet und der Barmherzigkeit gegenüber anderen."
    Papst Franziskus will aufzeigen, was dieser Heilige Christen auch heute bedeuten kann - jenseits des Schwarz-Weiß-Denkens, das Padre Pio entweder als Scharlatan belächelt oder als bedeutendsten Heiligen aller Zeiten feiert.