Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Der wahre Wilde Westen

An der historischen Figur des Trappers Stephen Meek orientiert sich der Film "Meeks Cutoff" und beschreibt den Treck von drei Familien, der sie 1845 über die Cascade Mountains führt. Auf einer angeblichen Abkürzung verläuft sich die Gruppe.

Von Josef Schnelle | 10.11.2011
    Siedler auf dem Weg ins gelobte Land Oregon um 1845. An der Ostküste der USA war es eng geworden. Neuen Einwanderern legte man Nahe, weiter zu ziehen. Geraubtes neues Land, das kolonialisierte Land der Indianer lockte. Mit der letzten Habe und quietschenden Planwagen ging es für viele Zehntausende mehr als 2000 Meilen über die Rocky Mountains durch Steppen, Wüsten und über Berge um den Nordwesten der späteren USA - damals noch britisch - zu besiedeln. Eine gefahrvolle Reise zu vielleicht fruchtbaren Böden an der Küste, eventuell auch zu Gold. Doch was nützt ein Klumpen Gold, wenn man ihn mitten in der Einöde findet und eigentlich Wasser bräuchte. Wie lange noch fragen sich die in Kelly Reicharts Film drei Familien, die geführt von dem Trapper Stephen Meek eine besonders gepriesene Abkürzung über die Rocky Mountains finden wollen. Wie lange noch. Zwei, Drei Tage oder mehr.

    Kelly Reicharts Spätwestern mit feministischem Unterton wird in der Originalfassung mit Untertiteln in die deutschen Kinos kommen. Er schildert realistisch und schonungslos wie der Westen der USA wirklich erobert wurde, häufig eben nicht als heroische Story mit Happy End, so wie die Genre-Western glauben machen wollen. Die drei Familien befinden sich am Rande der Erschöpfung und fühlen sich total verloren auf ihrem ganz persönlichen Weg ins neue Glück. Die Frauen sind stark und haben praktische Vorschläge, sind keineswegs Heimchen am Herd. Schließlich gibt es noch gar keine Heimat, nur eine ständig bedrohte ängstliche Hoffnung. Und dann kommt die Angst. Am Horizont taucht ein Indianer auf, wie im klassischen Western auf dem Bergkamm hoch auf dem Pferd. Sicher weiß der wo sich das trinkbare Wasser befindet. Die Männer fangen den fremdartigen Mann ein. Was bedeutet sein Gesang. Sind es verwünschende Zaubersprüche oder Klagelieder?

    Die Frauen haben je nach Charakter mehr oder weniger Angst, fühlen sich aber auch neugierig angezogen von diesem seltsamen Wesen aus einer anderen Welt, in dessen Territorium sie gerade eindringen. Die Männer geben sich damit zufrieden es zu beherrschen und vielleicht im geeigneten Moment zu töten. Die amerikanische Independent-Regisseurin Kelly Reichart hat in ihrer Geschichte auf alle Überhöhung verzichtet. Der Film wirkt als sei ihm jede Romantik und jeder Patriotismus ausgetrieben, so wie man Schmutz aus einem nassen Wäschestück wringt. Er ist auch unaufgeregt langsam, fast eine Meditation über den Westen der USA und seine Eroberung und über die Menschen die jene ganz unheldisch und unter vielen Opfern vollbracht haben. Die Landschaften haben bei Kelly Reichart nichts von dem Land des Marlboro-Mannes. Sie sind ebenso bedrohlich wie die Dunkelheit, die gnadenlose Sonne, die scharfen Felsen und die umherstreifende Raubkatzen. Die größte Gefahr, das begreift die Hauptfigur Emily bald, ist allerdings ihr Führer - Stephen Meek. Seine Abkürzung war gar keine. Sie war eine gefährliche Falle. Der Führer ist verloren und mit ihm seine Schützlinge.

    In Wahrheit führte Stephen Meek an die 1000 Siedler in die "Oregon Hochgebirgswüste”. Meek machte sich aus dem Staub und ließ seine Schützlinge zurück. Spuren dieses Trails sind noch heute erkennbar. Mindestens 50 der Siedler starben an Hunger Durst und Erschöpfung. Aus dieser Geschichte hat Kelly Reichart ein kleines minimalistisches filmisches Meisterwerk gemacht. Staunend blickt Michelle Williams, der neue Star des amerikanischen Independent-Kinos dem Indianer hinterher, der einfach weggeht, als das seine Peiniger dem Tode geweiht sind. Es ist Blick zurück in das wahre Herz der Hollywood-Geschichten von Siedlern und Indianern.