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Der Weg ist das Ziel

Paraguay gehört zu den ärmsten und korruptesten Ländern Lateinamerikas. Vor 20 Jahren konnte sich das Land von seinem letzte Diktator befreien. Doch die Partei der Colorados beherrschte das Land weiter. Vor einem Jahr hat Fernando Lugo durch ein breites Bündnis der Opposition die Präsidentschaftswahl gewonnen. Heute zeigen sich erste politische und wirtschaftliche Erfolge.

Von Peter B. Schumann | 15.08.2009
    Amtseid des neuen Staatspräsidenten von Paraguay: Einem Mann in weißem Hemd, grauen Hosen und braunen Sandalen werden die Insignien der Macht übertragen, die Präsidenten-Schärpe und der Kommandostab. Selbst bei diesem höchsten Zeremoniell will Fernando Lugo den ehemaligen Bischof der Armen nicht verleugnen. Ein Signal an die Bevölkerung: Hier steht ein Anderer als die geschniegelten Vorgänger; mit ihm - so signalisiert er - beginnt eine neue Zeit.
    Inzwischen musste Fernando Lugo freilich erkennen, dass er nicht immer nur wie der arme Bruder unter den meist linken Staatsmännern Lateinamerikas auftreten kann. So zeigt er sich neuerdings - ganz wie sein ecuadorianischer Kollege Correa - bei wichtigen Anlässen in einem dunklen, hoch geknöpften Jackett mit Stehkragen, unter dem ein weißes Hemd sichtbar wird. So empfing er am 25. Juli den brasilianischen Präsidenten Lula zum wichtigsten Staatsakt seines ersten Regierungsjahres: der Unterzeichnung eines umfangreichen Wirtschaftsabkommens. Dadurch wurde endlich ein alter Zankapfel zwischen den beiden Nachbarn beseitigt: die ungerechte Vergütung der Stromproduktion im Wasserkraftwerk Itaipú.

    Präsident Lugo: "Dies ist ein historischer Augenblick für Paraguay und das Bruderland Brasilien. Wir haben gemeinsam bittere Zeiten durchgemacht, Kriege und Diktaturen. Aber heute haben Präsident Lula und ich einen Vertrag unterzeichnet, der eine neue Ära des Dialogs zwischen gleichen Ländern eröffnet."

    Ein bisschen Rhetorik darf bei solchen Anlässen schon sein, schließlich bezahlt Brasilien statt jährlich 85 Millionen Euro künftig 250 Millionen an den paraguayischen Stromlieferanten. Um zehn Prozent erhöht sich dadurch der Staatshaushalt.

    Präsident Lula da Silva: "Wir reichen Länder müssen mehr Verantwortung tragen, denn wir haben eine bessere Wirtschaft, mehr Industrie, mehr Technologie. Deshalb sind wir verpflichtet, alles zu tun, damit unsere kleineren Nachbarn eines Tages unter den gleichen bilateralen Bedingungen mit uns leben können."

    Dieses Angebot bezieht sich auf die Fülle weiterer Wirtschaftsverträge, die bei dieser Gelegenheit abgeschlossen wurden. Keiner anderen paraguayischen Regierung hat Brasilien jemals solche Offerten gemacht. Denn die Vorgänger von Fernando Lugo galten als Repräsentanten eines zutiefst korrupten Regimes.

    Für den brasilianischen Staatspräsidenten war dies aber nicht nur ein längst überfälliger Akt der Gerechtigkeit, sondern auch ein Stück lateinamerikanischer Geopolitik. Er konnte damit seinen paraguayischen Kollegen etwas aus der festen Umarmung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez lösen, dem immer autoritärer auftretenden Bannerträger einer seltsam gemischten Linksallianz in Lateinamerika.

    Lula stützt Lugo damit auch innenpolitisch. Der muss sich nämlich der Obstruktionspolitik der oppositionellen Mehrheit im Parlament erwehren - genauso wie der ständigen Krisen in seiner eigenen Parteienallianz. Sie drohte bereits mehrfach an unvereinbaren Interessen zu scheitern. So auch kurz vor Lulas Besuch.

    Ein Reporter des privaten Fernsehsenders "ABC Color": "Eine weitere Instabilität an der Regierungsbasis hat heute den Staatschef erneut in Schwierigkeiten gebracht."

    Der Vorsitzende der Liberalen kündigte an, dass er die Minister seiner Partei endgültig aus dem Kabinett zurückziehen werde, falls es keine Einigung gäbe. Aber Präsident Lugo antwortete fest, dass er niemanden kenne, der sein Projekt verlassen wolle. Die Liberalen sind als zweitgrößte Partei im Parlament sein stärkster Bündnispartner. Aber sie sind auch der unsicherste Kandidat, weil sie mit Lugos wichtigsten Sozialreform-Projekten nicht übereinstimmten. Sie waren mit ihm stets nur in einem Punkt wirklich einig: weg mit der Colorado-Partei, die Paraguay mehr als 60 Jahre lang verheert hatte.

    Der Soziologe Tomás Zayas: "Die Patriotische Allianz für den Wandel besteht aus den Liberalen und aus progressiven Parteien. Letztere verfügen aber nur über vier Abgeordnete. Die Liberalen haben also eine erdrückende Macht in dieser komplizierten Koalition, sind jedoch sehr konservativ und vertreten Großgrundbesitzer-, Kapitalinteressen. Dabei besitzt die Regierung noch nicht einmal die Mehrheit im Parlament."

    Fernando Lugo muss ein Meister des Ausgleichs sein, denn er hat es bis heute verstanden, seine Allianz aus insgesamt einem Dutzend meist kleiner Parteien und sozialen Bewegungen immer wieder zusammenzuschmieden. Aber das ging nur durch ständige Kompromisse. Deshalb fällt seine innenpolitische Bilanz eher bescheiden aus. Die überfällige Landreform ist beispielsweise kaum vorangekommen.

    Tomás Zayas: "Der neue Vorsitzende des Agrarreforminstituts hat bei Gericht eine Beschwerde gegen frühere Regierungen der Colorados eingereicht. Sie sollen sieben Millionen Hektar ungenützten Landes einer ganzen Reihe von Personen ihrer Klientel verbotenerweise übertragen haben. Aber diese politisch sehr einflussreichen Kräfte wehren sich gegen jede Veränderung der Verhältnisse und haben für ihre Kampagnen sogar Parlamentsabgeordnete bezahlt."

    Immerhin konnte die Regierung Lugo 100.000 Hektar von den sieben Millionen wieder in staatlichen Besitz überführen. Mit Trippelschritten geht es voran. Kein Wunder, dass die Landlosen und überhaupt die sozialen Bewegungen, eine der wichtigsten Stützen von Lugo, das Vertrauen in die Regierung zu verlieren beginnen und erst in dieser Woche wieder protestiert haben. Denn gerade bei seinem wichtigsten Projekt gibt es zu wenig Fortschritt: der Beseitigung der Armut und der Wiederherstellung der inneren Sicherheit.

    Fernando Lugo: "”Wir haben immer betont, dass das eine Thema mit dem anderen zusammenhängt. Es kann keine Sicherheit geben, solange es nicht genügend Arbeit gibt, die Menschen Hunger leiden und in der Misere leben müssen wie ein Drittel aller Paraguayer. Wir haben mit ihrer kostenlosen medizinischen Ver-sorgung begonnen und die Betreuung der Indios verstärkt. Aus dem Polizeiapparat wurden viele unzuverlässige Leute entfernt, was die Sicherheitslage verbessert hat. Allgemein hat sich die Situation wirklich verändert.""

    Und sie dürfte sich weiter verbessern. Das Geld aus Brasilien macht es möglich, denn die zusätzlichen Einnahmen aus dem Itaipú-Vertrag sollen vor allem Sozialprojekten zugutekommen. Präsident Lugo hat bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr ein Zeichen des Wandels gesetzt. Und er ist sich - trotz vieler Kompromisse und größten parlamentarischen Widerstands - bis heute treu geblieben. Aber vielleicht gilt auch für ihn und seine Politik: Der Weg ist das Ziel.