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Deutsch als Wissenschaftssprache in Gefahr

Goethe-Institutspräsident Klaus-Dieter Lehmann plädiert für eine Stärkung der Mehrsprachigkeit in den Wissenschaften. Indem man wissenschaftliche Theorien nur noch im Englischen publiziere, störe man die Verbindung zur Alltagssprache. Lehmann regt die Gründung von großen Publikationsdatenbanken für Werke auf Französisch, Spanisch oder Deutsch an.

Klaus-Dieter Lehmann im Gespräch mit Manfred Götzke | 09.05.2012
    Manfred Götzke: Vor 600 Jahren gab es in der Wissenschaft eine Sprache, die alle verstanden haben: Latein. Das hat es Forschern aus ganz Europa ermöglicht, barrierefrei zu lesen, zu schreiben und sich auszutauschen. Eigentlich ist das heute genauso, nur dass Latein durch Englisch ersetzt wurde. Die wichtigsten wissenschaftlichen Journals sind englischsprachige, und auch immer mehr Studiengänge werden in Deutschland auf Englisch angeboten. Diese Programme sind bei vielen Studierenden sehr beliebt, weil sie eine wissenschaftliche Karriere im Ausland vereinfachen. Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident des Goethe-Instituts, sieht das Ganze aber eher mit einem weinenden Auge. Er sorgt sich um die Wissenschaftssprache Deutsch. Herr Lehmann, verlernen Nachwuchsforscher ihre Muttersprache, wenn sie Fachartikel auf Englisch verfassen?

    Klaus-Dieter Lehmann: Ich bin nicht dagegen, dass es eine internationale Verkehrssprache ist, aber wenn man wissenschaftliche Theorien nur noch im Englischen publiziert und damit auch denkt, dann wird das, was an Verbindung zur Alltagssprache ist, sehr, sehr gestört, das heißt, die Verbindungen zu Bildern, Metaphern, Wörtern, die in einer Sprache sind, werden nicht mehr in eine wirkliche Wissenschaft überführt. Das heißt, die Sprache verändert sich und verknappt sich, und damit wird sie, glaube ich, nicht mehr diese Lebendigkeit haben und man wird dann auch Begriffe nicht mehr haben, die man in der eigenen Sprache schöpfen kann, sondern die wird dann aus dem Englischen abgeleitet werden.

    Götzke: Das heißt, Sie sehen die Befürchtung, dass bestimmte Begriffe für wissenschaftliche Phänomene nur noch im Englischen vorhanden sind.

    Lehmann: Das ist so. Und wir sehen das ja auch, dass derzeit eine Tendenz besteht, das Englische auch nicht nur in der Wissenschaft zu etablieren, sondern auch in der Lehre zu etablieren. Und damit wird das Englische von einer Kommunikationssprache wirklich zu einer Bildungssprache.

    Götzke: Bleiben wir vielleicht erst noch mal bei den Publikationen: Kann man sich der Realität denn überhaupt entziehen, dass die wichtigsten internationalen Fachzeitschriften auf Englisch publizieren?

    Lehmann: Nein, das kann man sicher nicht. Das ist ein Trend, der im Hinblick auch auf die Aufmerksamkeit, die man der englischen Sprache als Publikationssprache widmet, tatsächlich auch geschuldet ist. Und es ist tatsächlich auch ein weiterer Punkt, dass auch die Auswertung von Publikationen über Science Citation Index und andere Nachweisinstrumente immer wieder dieses Ranking erzeugt, dass englischsprachige Publikationen im Ranking, also im Nachweis immer an den ersten Stellen stehen, während die muttersprachlichen Publikationen weiter unten stehen. Das hängt auch ein bisschen mit der marktbeherrschenden Situation zusammen, die einfach im angelsächsischen Bereich durch die großen Datenbanken geleistet werden. Und da ist meines Erachtens in Europa zu wenig gemacht worden, dass man auch Datenbanken aufbaut, die die vielfältigen europäischen Sprachen, das Französische, das Spanische, das Deutsche und weitere nachweist. Aber hier müsste man entgegenarbeiten, hier kann man Möglichkeiten finden, dass man deutschsprachige Publikationen auch im Englischen übersetzt, um damit beides zu bedienen, also die Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft, und man sollte möglicherweise auch mal überlegen, ob es nicht einen europäischen Index gäbe, der die Muttersprachen stärker in den Mittelpunkt setzt und die Zitierfähigkeit überhaupt in dieser Weise nachweist.

    Götzke: Man könnte die Tatsache, dass die meisten und die relevantesten Forschungsergebnisse auf Englisch publiziert werden, ja auch einfach barrierefreie Forschung nennen.

    Lehmann: Das könnte man, aber der Punkt ist einfach der, dass wenn wir das Ganze als Kommunikation betrachten, dann würde ich ja durchaus sagen, ist der Ansatz richtig, in dem durch diese einheitliche Terminologie ein besserer und schnellerer Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen entsteht. Wogegen ich bin, ist, dass wir in der eigenen Sprache zu einer Verarmung kommen, wenn wir in der Publikationstätigkeit nur noch in Englisch publizieren. Die Tendenz zum Beispiel, dass wir jetzt auch zunehmend überlegen, dass in Universitäten Englisch als die entsprechende Vermittlungssprache benutzt wird, bedeutet auch, dass wir uns hier aus unserer eigenen Sprache verabschieden, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Gastwissenschaftler nach Deutschland kommen oder Studenten nach Deutschland kommen, um Englisch oder ein schlechtes Englisch in den Vorlesungen zu hören.

    Götzke: Nun war ja gerade das Ziel, mehr ausländische Wissenschaftler, Spitzenwissenschaftler an die Hochschulen zu bekommen, was damit verbunden war, mehr englischsprachige Masterprogramme anzubieten. Glauben Sie tatsächlich, wenn man diese Entwicklung wieder zurückdrängt, mehr Veranstaltungen, Doktorandenprogramme, Masterstudienprogramme wieder auf Deutsch anbietet, dass man dieses Ziel damit besser erreichen kann?

    Lehmann: Ich glaube schon. Also wenn ich sehe, dass wir im Ausland als Goethe-Institut in den letzten zwei, drei Jahren eine wirkliche Renaissance erlebt haben, was die Einführung der deutschen Sprache als Fremdsprache betrifft - das gilt insbesondere natürlich derzeit für die Schwellenländer Indien, China, auch in Brasilien, auch in Russland -, dann muss ich sagen, dass die Bereitschaft, die deutsche Sprache zu lernen, ausgesprochen stark vertreten ist. Das hängt natürlich auch mit zusammen, dass Deutschland als Wissenschaftsstandort interessant ist, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort interessant ist. Das heißt, wir haben durchaus Pfunde, Anreize zu schaffen.

    Götzke: Nun wird es ja keinem Gastwissenschaftler verwehrt, Deutsch zu lernen und zu sprechen, aber sollte Ihrer Meinung nach Deutsch, fließende Deutschkenntnisse, sollten die Zugangsvoraussetzung für ein Studium in Deutschland, an deutschen Hochschulen sein?

    Lehmann: Also ich finde, dass man eine entsprechende Voraussetzung mit der Sprache durchaus anstreben sollte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.