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Deutsch-türkisches Verhältnis
"Vertrauen und nicht Besorgnis schaffen"

Man habe einen Grad der bilateralen Krise erreicht, der wirklich sehr besorgniserregend sei, sagte der frühere deutsche Botschafter in der Türkei, Eckart Cuntz, im Dlf. "Wenn die Türkei so weiter macht, wird es auch ohne Reisehinweise des Auswärtigen Amtes dazu kommen, dass die Touristenzahlen zurückgehen."

Eckart Cuntz im Gespräch mit Mario Dobovisek | 26.07.2017
    Der ehemalige deutsche Botschafter in der Türkei, Eckart Cuntz
    "Es ist eine gefährliche Situation, dass wir in eine mögliche Eskalationsspirale hineingeraten könnten mit öffentlichem Schlagabtausch", so der frühere deutsche Botschafter Eckart Cuntz. (dpa / Julien Warmand)
    Mario Dobovisek: Das deutsch-türkische Verhältnis ist belastet seit Monaten. Der Streit um die Armenien-Resolution des Bundestages und das Schmähgedicht von Jan Böhmermann, um die Pressefreiheit in der Türkei, die Justiz, die Verhaftungswelle nach dem Putschversuch, um die Auftritte türkischer Politiker in Deutschland, die Abgeordnetenbesuche bei der Bundeswehr, jüngst die Haft mehrerer Deutscher in der Türkei.
    Und mittendrin steht die Deutsche Botschaft in Ankara mit Martin Erdmann als ihren Botschafter, der in den vergangenen Monaten so oft wie wohl kaum ein anderer deutscher Diplomat in ein Außenministerium zitiert worden ist. Einen seiner Vorgänger begrüße ich jetzt am Telefon, Eckart Cuntz, deutscher Diplomat außer Diensten. Er leitete unter anderem die Europaabteilung im Auswärtigen Amt und war von 2006 bis 2011 deutscher Botschafter in der Türkei. Guten Morgen, Herr Cuntz!
    Eckart Cuntz: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
    "Als ich das letzte Mal in der Türkei war - es war traurig"
    Dobovisek: Fühlen Sie jedes Mal mit Ihrem Kollegen Erdmann, wenn er wieder im türkischen Außenministerium antreten muss?
    Cuntz: Ja, das fühle ich auch, obwohl ich selbst auch gelegentlich einbestellt worden bin, aber wir haben natürlich jetzt einen Grad der bilateralen der Krise, kann ich sagen, erreicht, der nun wirklich sehr besorgniserregend ist, auch gerade angesichts der sehr engen Beziehung zwischen unseren beiden Ländern mit über drei Millionen Menschen, die aus der Türkei stammen, die in Deutschland leben, zum großen Teil auch schon die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Wir sind der größte Wirtschaftspartner der Türkei, und auch als ich das letzte Mal in der Türkei war Ende März - es war traurig.
    Dobovisek: Krise, besorgniserregend, traurig. Wie gefährlich ist diese Situation?
    Cuntz: Gut, ich würde sie jetzt nicht als gefährlich bezeichnen, dass hier eine kriegerische Auseinandersetzung und dergleichen dann bestehen könnte. Es ist eine gefährliche Situation, dass wir in eine mögliche Eskalationsspirale hineingeraten könnten mit öffentlichem Schlagabtausch, wo die Menschen drunter leiden.
    Dobovisek: Sind wir nicht schon mittendrin in dieser Spirale?
    Cuntz: Wir haben damit angefangen, aber ich glaube, es muss nicht unbedingt damit weitergehen. Ich glaube, dass die Türkei mit ihrer gegenwärtigen Politik sich selbst schadet, wenn zum Beispiel gesagt wird, jemand, der sich mit Terroristen trifft, ein Interview führt mit Terroristen, ist selbst ein Terrorist, ist das natürlich besorgniserregend, nicht nur für Journalisten, sondern natürlich auch für andere, die in die Türkei reisen. Das hat nichts mit dem Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes zu tun, sondern mit den Äußerungen der türkischen Seite.
    In einer Sache ist die türkische Seite bereits zurückgerudert, nämlich was die sogenannte schwarze Liste deutscher Firmen angeht, aber auch das schadet ihr natürlich, denn wollen deutsche Firmen tatsächlich noch investieren in einem Land, wo man nicht weiß, ist Rechtssicherheit gewährleistet?
    "Es sind Reisehinweise, keine Reisewarnungen"
    Dobovisek: Sie haben die verschärften Reisehinweise oder die konkretisierten Reisehinweise angesprochen. Die wollen wir uns an dieser Stelle auch noch mal ausführlich anhören, weil das, glaube ich, auch in letzter Zeit eher kurz gekommen ist. Hören wir also kurz rein.
    (Einspieler)
    Das also ein Auszug aus den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes für die Türkei. Herr Cuntz, ist die Türkei unter diesen Vorzeichen noch ein sicheres Reiseland für deutsche Touristen und Geschäftsreisende?
    Cuntz: Sie haben auch richtig gesagt, das sind Reisehinweise. Das sind noch keine Reisewarnungen. Es wird nicht davor gewarnt, in die Türkei zu reisen. Es wird stark davon abgeraten, in Grenzgebiete etwa zu Syrien zu reisen, und es wird zur erhöhter Vorsicht gemahnt. Also es wird im Grunde genommen nur das reflektiert, was sich in der letzten Zeit getan hat, dass man nicht genau weiß, wenn jemand festgenommen wird, wird er dann bald wieder freigelassen? Hat er denn Zugang zum konsularischen Schutz?
    Und ich glaube, da ist es sehr wichtig, dass die Türkei das auch sicherstellt und dass diese Verfahren auch schnell und rechtsstaatlich beendet werden und dass Menschen, die hier unschuldig festgenommen worden sind, wieder freikommen. Ich glaube, das ist der Weg, der hier herausführen kann.
    Dobovisek: Müsste denn, Herr Cuntz, das Auswärtige Amt dringender von Reisen abraten, wenn eben diese Rechtsstaatlichkeit aus deutscher Sicht, auch diese konsularische Begleitung zum Beispiel, falls jemand in Haft gerät, eben nicht gewährleistet werden kann?
    Cuntz: Ich glaube, so weit sind wir noch nicht, und das sind ja auch nicht die Hinweise des Auswärtigen Amtes, sondern - ich will das wiederholen - die Maßnahmen der Türkei, die hier eine Rolle spielen. Wenn die Türkei weiter so macht, wird es auch ohne Reisehinweise des Auswärtigen Amtes dazu kommen, dass die Touristenzahlen zurückgehen. Ich habe gelesen, dass nach einer Umfrage 92 Prozent der Deutschen inzwischen Besorgnis haben, in die Türkei zu reisen. Diejenigen, die gebucht haben, die reisen noch, und natürlich ist das auch wunderschön dort in der Türkei. Das ist ein wunderbares Reiseland, und es ist traurig, was hier passiert.
    "Es sieht nicht so aus, dass die Türkei völlig stabilisiert ist"
    Dobovisek: Sie sprechen die Zahlen einer "Spiegel"-Umfrage an. Die liegen also auf der Hand, und diejenigen, die jetzt in die Türkei reisen, reisen vielleicht auch mit einem schlechten Bauchgefühl, weil sie nicht kostenfrei stornieren können und sozusagen mitgehangen, mitgefangen sind. Müsste das Auswärtige Amt diesen Menschen helfen, die gerade mit schlechten Gefühlen in die Türkei reisen?
    Cuntz: Also ich glaube, das Auswärtige Amt leistet jede Hilfe, die hier geleistet werden muss und tut hier auch das Richtige. Es muss Vertrauen schaffen und nicht Besorgnis schaffen.
    Dobovisek: Zurück zur allgemeinen politischen Situation in der Türkei: Ist die Türkei nach Ihrer Einschätzung noch ein demokratischer Rechtsstaat?
    Cuntz: Die Türkei ist von ihrer letzten Geschichte her im Grunde genommen demokratisch und auch rechtsstaatlich gestaltet, aber sie hat natürlich eine Entwicklung genommen, die da große Fragezeichen aufkommen lassen. Insbesondere nach dem gescheiterten Putsch sind ja viele Festnahmen erfolgt, die man zum Teil nachvollziehen kann, aber sicherlich nicht alle, und hier muss angemahnt werden, dass die Türkei tatsächlich den Weg des Rechtsstaates verfolgt. Das ist ja auch von der Europäischen Union beim Besuch des türkischen Außenministers oder türkischen Europaministers gestern sehr deutlich getan worden.
    Dobovisek: Sie kennen ja die Türkei gut, Herr Cuntz. Wohin will Erdogan Ihrer Meinung nach das Land führen?
    Cuntz: Ich weiß nicht genau, ob er das selbst weiß. Er hat im Grunde genommen innerstaatlich das erreicht, was er wollte. Er hat, wenn auch nur sehr knapp, muss man sagen, sein Referendum zum Präsidialregime gewonnen. Das ist das, was er seit vielen Jahren wollte. Das sollte dazu führen, dass die Türkei stabilisiert wird, befriedet wird. Es sieht zurzeit ja nicht so aus, dass die Türkei nun völlig stabilisiert ist, wenn ich jetzt mal dran erinnern darf an den Adalet-Marsch von Ankara nach Istanbul vor Kurzem. Die Menschen in der Türkei haben ein starkes rechtsstaatliches und demokratisches Empfinden, viele von ihnen, und sie vertrauen hier auch auf die Unterstützung durch die Europäische Union.
    Dobovisek: Eckart Cuntz, früherer deutscher Botschafter in der Türkei, vielen Dank für das Interview an diesem Morgen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.