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Deutsche Hochschulen
Zwischen politischem Auftrag und Autonomie

Berufungen ohne Einfluss von oben, Bau-Autonomie, eigenständiges Design von Studiengängen: An den deutschen Hochschulen geht der Trend zu mehr Eigenverantwortlichkeit, die "Ministerial-Uni" ist nicht mehr zeitgemäß. Deutschland befindet sich in Sachen Hochschulautonomie bisher allerdings nur im europäischen Mittelfeld - das hat eine international besetzte Veranstaltung in Darmstadt gezeigt.

Von Ludger Fittkau | 24.11.2015
    Rotes Schild mit der Aufschrift "Technische Universität Darmstadt" vor einem großen Gebäude.
    Autonomie-Status seit 2005: die TU Darmstadt (dpa/picture alliance/Frank May)
    Andere Länder in Europa geben ihren Hochschulen mehr Freiheit als die deutschen Landesregierungen. Das stellt gestern Abend in Darmstadt Georg Winkler fest, der ehemalige Präsident der Universität Wien sowie der European University Association. Winkler ordnet die deutschen Hochschulen im Hinblick auf den Stand der Autonomie ohne Zögern ein:
    "Im mittleren Feld. Sicherlich nicht unter den Spitzenuniversitäten. Da gehören europaweit die englischen Universitäten dazu. Zu Beispiel in der Budget-Flexibilität durchaus die Schweizerischen. Aber es ist sicher auch nicht am unteren Ende."
    Seit rund 15 Jahren gibt es auch an deutschen Hochschulen eine Bewegung für mehr Autonomie. Angestoßen wurde sie zuvor durch eine schonungslose Analyse des Wissenschaftsrates zum Zustand der meisten Universitäten und Fachhochschulen. Daran erinnerte Hans Jürgen Prömel, Präsident der TU Darmstadt:
    "Dieter Simon, der damalige Vorsitzende des Wissenschaftsrates, schreib 1991 im Spiegel: Die deutsche Universität ist im Kern verrottet. Der Kern allen Übels liegt in der Expansion der Hochschulen. Alle Auflösungserscheinungen, endlose Studienzeiten, riesige Abbruch-und Durchfallquoten, apathische Professoren, lust- und orientierungslose Studenten, anarchische Organisationsstrukturen, umschulungs-bedürftige Absolventen – das sind Symptome der Überfrachtung."
    Vorreiter Darmstadt
    Die TU Darmstadt setzte zur Überwindung dieser Zerfallsprobleme auf Autonomie. Vor zehn Jahren war sie die erste deutsche Hochschule, die mit einem eigenen Landesgesetz ein Autonomiestatut bekam. Gleichzeitig begann eine Art Länderwettbewerb um mehr Eigenständigkeit der Hochschulen, erinnert sich Wilhelm Krull, der Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung:
    "Hier in Hessen ist man vorangegangen mit den entsprechenden Sonderregelungen für Darmstadt und Frankfurt, in Niedersachsen- damals war dort der Wissenschaftsminister Thomas Oppermann – hat man mit den Stiftungshochschulen eine vergleichbare Option eröffnet, die vor allem deutlich machen sollte, dass die Hochschule (...) auch in ihrer Einbettung in die Zivilgesellschaft eine andere Rolle übernehmen sollte."
    Rückfall in alte Zeiten
    Baden-Württemberg sei mit Anleihen aus der Wirtschaft mit ihren Aufsichtsratsmodellen wieder einen anderen Weg für neue Hochschulgremien ohne direkten Einfluss des Ministeriums gegangen, so Wilhelm Krull. Doch inzwischen ist in einigen Bundesländern wieder ein "Rollback" in Sachen Autonomie zu beobachten. Hans-Jürgen Prömel, Präsident der TU Darmstadt.
    "Regulierung erscheint an manchen Stellen in der Hochschulpolitik wieder en vogue. Wenn von regionaler Strukturpolitik über Detailkontrolle, bis zu allerlei gesellschaftspolitischen Wünschen den Hochschulen immer wieder enge Grenzen gesetzt werden. Schauen wir zum Beispiel nur mal kurz über die hessischen Landesgrenzen nach NRW: Dort kann das Wissenschaftsministerium seit 2014 sogenannte "Rahmenvorgaben" in Personal- und Wirtschaftsangelegenheiten erlassen und damit wieder detailliert in Fragen eingreifen, die der Wissenschaftsrat 1993 als Kern der Autonomie beschrieben hat."
    Die Mischung machts
    Dieser NRW-Rollback geht auch Roland Koch zu weit. Die Einrichtung konkreter Studiengänge oder Personalentscheidungen müssten Sache der Hochschule bleiben. Doch der ehemalige hessische Ministerpräsident machte andererseits deutlich: Auch autonome staatliche Hochschulen bleiben staatliche Hochschulen, es sind schließlich Steuergelder, die in den Einrichtungen ausgegeben werden. Richtungsentscheidungen müssen nach wie vor von der Politik getroffen werden, so Roland Koch, der vor zehn Jahren das Darmstädter Autonomiegesetz ermöglichte:
    "Die Richtungsentscheidung ist die Ressource, die Richtungsentscheidung ist durchaus auch, wo eine Universität oder eine andere Form der Hochschule errichtet wird. Die Richtungsentscheidung ist möglicherweise auch, Forschungsschwerpunkte zu bilden, die im gesellschaftlichen Interesse unmittelbar über unmittelbare Aufgabe von Lehre und Forschung hinausgeht. Das alles kann eine Hochschule nicht, das macht am Ende eine Regierung unter den Rahmenbedingungen eines Parlaments und der damit zusammenhängenden Haushaltsgesetzgebung."
    Doch unter dem Strich geht der Trend jedoch weiterhin in Richtung mehr Entscheidungsfreiheit für die Hochschulen, so das Fazit der Darmstädter Veranstaltung.