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Die Chemie in Orange Wine
Nicht weiß, nicht rot

Rot, Weiß, Rosé. So simpel war die Farbenlehre in der Welt des Weines bisher. Doch nun scheint es vorbei mit der heiligen Dreifarbigkeit. Die Szene raunt über einen Störenfried, der fast überall auf seinen englischen Namen hört: Orange Wine.

Von Volker Mrasek | 01.11.2015
    Porträt des Winzers Josko Gravner zwischen Amphoren auf seinem Weingut in Oslavia in DOC Anbaugebiet Collio. In den aus Georgien stammenden Amphoren soll der Wein auf natürliche Weise reifen und gären.
    Oranger Wein wird traditionell in Amphoren aus Ton vergoren (picture alliance / dpa / Udo Bernhart)
    Winzer bauen Weißwein wie Rotwein aus und vergären den Most zusammen mit Traubenschalen und -stielen. Manche lassen ihn für Monate in Tonamphoren reifen, die sie im Boden eingraben. Heraus kommen sogenannte Orange Wines, weitgehend naturbelassen, oft ungeschwefelt und ungefiltert. Ein Spleen verrückter Winzer und eine Beleidigung für Nase und Gaumen, sagen die einen. Rückbesinnung auf alte Traditionen und Bereicherung, sagen die anderen. Denn so wurde Wein in seinen Anfängen hergestellt, vor Tausenden von Jahren.
    Jetzt wird der heißdiskutierte Revoluzzer richtig durchleuchtet. Von einer deutschen Forschungsanstalt. Wissenschaft im Brennpunkt über die vierte Weinfarbe, die Tücken der Herstellung solcher Tropfen und die Chemie im Orange Wine.

    Das Manuskript zur Sendung:
    "Der Wein wird zunächst einmal vorher eingeschenkt. Wenn meine Gäste den Wein schon im Glas haben, dass er ein bisschen atmen kann, dass man sich die Farbe schon mal anschauen kann."
    "Und diese Weinbergsschokolade ... ich würde mal sagen, na ja, eine Mischung aus NATO-Grün und Dottergelb."
    "... handgeschöpft, noch auf die traditionelle Art und Weise hergestellt ..."
    "NATO-Grün und Dottergelb!"
    "... eine außergewöhnlich gut passende und auf den Orange Wine abgestimmte Schokolade. Ganz wunderbar!"
    E"in kleines Stückchen abbrechen. Leicht am Gaumen anschmelzen lassen. Und dann über die Zungenspitze ganz langsam hinten über den Gaumen laufen lassen."
    "Eigentlich ist es eine sehr schöne Inszenierung: Wie wir den Orange Wine zelebrieren als Dessert."
    "Und dann ist die Flasche auch zu zwei, drei Leuten ratzfatz leer."
    Es gibt Rotwein. Es gibt Weißwein. Und es gibt Rosé. Das war jedenfalls noch vor kurzem die ebenso simple wie unumstößliche Farbenlehre für Oenologen, Winzer und Weinliebhaber. Doch nun gibt es eine neue Spezies. Die Szene raunt über einen Störenfried, der fast überall auf seinen englischen Namen hört: Orange Wine ...
    "Also, zunächst mal ist es die Farbe eines Weines. Es ist möglicherweise die vierte Farbe des Weines - nein, nicht möglicherweise! Sondern sie ist es mittlerweile. Wir können nicht mehr von einer Mode sprechen, sondern es ist mittlerweile ein fester Trend, der sich zunehmend verfestigt und etabliert."
    Hermann Kolesch, Präsident der LWG, der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim bei Würzburg.
    "Es spielt sich ab in Deutschland in Sterne-Restaurants, wo Sie interessierte Sommeliers finden, bei interessierten Weinkritikern und Kennern ..."
    Birgit Hüttner, Inhaberin des Weingutes Ankermühle in Oestrich-Winkel im Rheingau ...
    "... aber es ist noch lange nicht beim Konsumenten angekommen, also beim normalen Konsumenten."
    "Die Empfehlungen gehen: 'Hörst Du? Da kenn' ich einen Wein. Musst Du hin! Ganz begrenzte Mengen.' Also, die Weine sind momentan sehr schnell ausverkauft."
    "Letztendlich ist es eine Philosophie von denen, die es machen. Und die, die es machen, finden dann die, denen es auch schmeckt."
    "... ökologisch erzeugt, mit wenig Input."
    Jörn Goziewski, Weinbau-Ingenieur und Kellermeister der Ankermühle.
    "Der normale Weintrinker wird diese Weine ablehnen. Es ging uns genauso, uns Experten, als wir die ersten dieser Orange Wines getrunken haben. Da haben wir gedacht: Das kann's nicht sein! Das sind fehlerhafte Weine, die bestehen bei uns keine Qualitätsweinprüfung. Aber sie stehen mittlerweile auf den Weinkarten der teuersten Restaurants der Welt."
    "In Berlin entsteht gerade so ein Trend von kleinen Naturwein-Bars. Langsam, aber stetig. Auch in London - da gibt es richtige Messen für sogenannte Natural Wines."
    Ulrich Fischer, Professor für Oenologie und Sensorik am Weincampus Neustadt in Rheinland-Pfalz.
    "... ökologisch erzeugt, mit wenig Input. Das ist ohne Zweifel ja nicht nur im Wein ein Trend, den wir momentan sehen."
    Es gibt also nicht mehr nur Rotwein, Weißwein und Rosé. Es gibt auch Orange Wine. Doch was ist das eigentlich genau, Orange Wine?
    "Im Grunde nichts anderes als ein Weißwein, der glaubt, ein Rotwein zu sein. Er ist fruchtig-spritzig wie ein klassischer Rheingau-Riesling, aber auch gehaltvoll, opulent und reichhaltig wie ein Rotwein."
    Das sagt die, die ihn gerne zelebriert und ihren Gästen schmackhaft zu machen versucht: Mira Werth, Restaurant-Leiterin im Weingut Ankermühle. Eines der wenigen in Deutschland, die inzwischen auch Orange Wine produzieren. In diesem Fall aus Riesling ...
    "Eigentlich nichts Neues, sondern ein ururalter Hut"
    "Ein Orange Wine ist definiert als ein maischevergorener Weißwein, also ein Weißwein, der wie ein Rotwein hergestellt wurde und zusammen mit den ganzen Beeren vergoren wird. Das ist ungewöhnlich. Man bekommt dadurch sehr viele Phenole, also Gerbstoffe, in den Wein, die man normal nur im Rotwein möchte."
    Das sagt der, der ihn wissenschaftlich-technisch durchleuchtet: Johannes Burkert, Versuchsingenieur in der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau.
    "Es sind sehr viele Schritte, die da noch unerforscht sind. Wir wollen der Sache auf den Grund gehen."
    Dabei ist Orange Wine auch das:
    "Eigentlich nichts Neues, sondern ein ururalter Hut. Nämlich letztendlich 7.000 bis 8.000 Jahre alt."
    Traubenmost, über Monate auf der Maische, also in Kontakt mit Schalen und Kernen - laut Agrar-Ingenieur Hermann Kolesch war das die erste Methode überhaupt, um Wein herzustellen.
    "Die bibelfesten Menschen wissen das, was Noah als Erster gemacht hat, als seine Arche gelandet ist: Er ging raus, hat einen Rebstock gepflanzt. Und wo ist denn die Arche wahrscheinlich gestrandet? Am Berg Ararat. Und der Berg Ararat liegt im Östlichen Kaukasus."
    Zurück also zu den Wurzeln des Weinbaus ...
    "Und dort liegt Georgien, Aserbaidschan, Armenien. Dort finden wir die ältesten historischen Nachweise, wo der Mensch richtig in die Weinbereitung eingestiegen ist."
    Und zwar mit Orange Wine. Den damals freilich noch niemand so nannte
    "Und dazu hat er nicht das Fass verwendet, sondern die Amphore, das Tongefäß. Erst die Römer haben von den Kelten das Holzfass übernommen, als sie über den Brenner sind."
    Auch das ist Orange Wine zu guter Letzt: ein Produkt, das Winzer ganz bewusst wie anno dazumal herstellen. Und gerade nicht nach heutigen Konventionen. Viele Orange Wines sind ungeschwefelt und ungefiltert. Keine Bio-Weine zwar, aber möglichst naturbelassen.
    "Uns hat zunächst mal interessiert, warum sich ein paar verrückte Winzer damit auseinandersetzen. Und wenn man diese Winzer gefragt hat, dann war es für sie ein Bedürfnis zu sagen: Wir gehen wieder zurück zur Manufaktur, wir wenden uns gegen die Industrialisierung der Weinherstellung."
    Lehrbücher über Orange Wine? Sucht man vergeblich! Praxisleitfäden für verrückte Winzer wenigstens? Ebenfalls Fehlanzeige! Dabei gibt es eine brennende Frage: Lassen sich diese puristischen Ur-Tropfen genauso einwandfrei produzieren wie herkömmliche Weiße? Weine, die viele Winzer weder schwefeln noch filtern - ja, bei denen sie im besten Fall überhaupt nicht eingreifen während der monatelangen Reife!
    "Salopp gesagt: Deckel drauf, vergessen!"
    "Wissenschaftlich gesehen ist es uns erst mal wichtig, die Parameter zu finden, die das Risiko minimieren, dass dabei 'was schiefläuft."
    "Man muss auch sagen: Das Risiko ist verdammt groß! Stellen Sie sich vor, Sie legen 1.000 Liter oder 900 Liter oder mal 2.000 Liter in eine Amphore, und, ja, ein halbes Jahr, ein Jahr einfach zuschauen - da kann auch 'mal ein Sauerkraut rauskommen, wenn's nicht gut läuft."
    "Viele Dinge werden so gemacht, ohne dass man genau weiß, warum und wie man sie optimieren könnte."
    "Und für uns war der Ansatz dann: Lasst uns das doch 'mal / ausprobieren."
    "Heben wir zusammen runter, nicht?"
    "Ja."
    "Und den stellen wir an den Pfosten?"
    "Ja."
    Ein Holzaufbau, den man für einen Carport halten könnte. Auf dem Gelände der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau.
    "Wir sind mitten im Kerngebiet des fränkischen Weinlands, kann man sagen. Stehen hier am Marani. Der Ort, wo die Amphore vergraben ist, georgisch: Marani."
    Also doch kein Carport, sondern eine Art Zeitmaschine. Der Platz, an dem Hermann Kolesch Weinbau erprobt, wie er am Ende der Steinzeit praktiziert wurde. Johannes Burkert und der Technische Betriebsleiter Martin Müller schreiten zur Tat.
    "... und wollen jetzt eben, ganz spannungsgeladen, die Amphore öffnen, um den Wein rauszunehmen."
    "Okay. Machen wir oben ein bisschen Maische weg? Oder stechen wir direkt durch?"
    "Wir holen die oxidierte Maische runter, mit der Schaufel. Nicht, dass die reinfällt."
    Vor vier Jahren haben die Forscher ihren riesigen Tonkrug an Ort und Stelle vergraben. Ihren Kvevri. So heißen solche Amphoren in Georgien.
    Jetzt, es ist Frühsommer 2015 - jetzt kommt ans Licht, wie der jüngste Versuchswein aus Veitshöchheim geworden ist. Der inzwischen vierte. Neun Monate lang reifte er draußen im Kvevri. Und nicht wie sonst üblich im Keller. Seine Schöpfer tauften ihn auf den Namen Amphora K. Weil Englisch die Sprache der Wissenschaft sei, wie sie sagen. Das "K" steht dabei für Kvevri ...
    "Ja, die Amphore liegt hier eingegraben in Mainsand ..."
    "Riecht gut! Ist alles in Ordnung. Oben drauf die Beeren sind ein bisschen oxidiert. Das ist ganz normal. Die holen wir jetzt ein bisschen runter. Dass uns das nicht in den Wein kommt."
    "... die ist immerhin 900 Liter groß hier. Und wenn man die frei befüllen würde, würde der Innendruck, also das Gewicht des Weines, die Amphore zum Zerbrechen bringen ..."
    "Ich mach' die Pumpe und die Geschwindigkeit und das Schauglas da ..."
    "Und deswegen brauchen diese Amphoren grundsätzlich die Stabilität des Bodens außen rum."
    "Okay, gut! Ich schalt' ein."
    "Ja!"
    Im Herbst füllt man die frisch geernteten Trauben in den Kvevri und verschließt ihn. Im darauffolgenden Sommer öffnet man die Amphore wieder und darf sich freuen, wenn der Wein etwas geworden ist?!?
    "Okay, ich geh' jetzt 'mal langsam runter und wir schauen, wo's trüb wird."
    "Guck 'mal! Blitzblank, Wahnsinn."
    Nein! So simpel ist die ganze Sache keineswegs! Das betont auch Hermann Mengler, Oenologe und Fachberater für Kellerwirtschaft im Bezirk Unterfranken in Bayern:
    "Man muss sich das einfach vorstellen: Es ist ein Naturprodukt. Man macht nichts. Und wenn man da jetzt einfach sagt: So, liebe, gute Trauben, ich fahr' jetzt 'mal nach Mallorca oder sonstwo hin den Winter über. Und komm' dann im Frühjahr wieder, und dann habt ihr für mich alles getan - dann viel Spaß!"
    Vertrauen ist gut! Kontrolle ist besser! Das ist nicht nur Hermann Menglers Devise, sondern auch die von Versuchsingenieur Burkert:
    "Das ist das Ziel: Ich sag' 'mal kontrolliertes Nichtstun. Es wird immer wieder überprüft, dass nichts falsch läuft. Aber eigentlich ohne irgendwelche Eingriffe."
    Kurzer Exkurs: Wie aus Trauben Wein entsteht ...
    Nach der Ernte wird der Most der reifen Beeren abgepresst und kommt in den Gärbehälter. Dort wandeln Hefepilze den Zucker aus den Trauben in Alkohol und Kohlendioxid um. Man spricht auch von der alkoholischen Gärung. Ein normaler Weißwein wird danach gleich von der Hefe getrennt.
    Der Spezialfall Orange Wine ...
    Er bleibt wie ein Roter weiter auf der Maische liegen, so der Fachjargon - in Kontakt mit den Beerenhäuten und -kernen. Es kommt dann zu einer zweiten Gärung, der sogenannten malolaktischen. Jetzt sind es vor allem Milchsäurebakterien, die aktiv werden. Sie setzen Apfelsäure aus dem Traubenmost in Milchsäure um. Man spricht auch vom biologischen Säureabbau.
    Einem Riesling oder Müller-Thurgau würde diese zweite Gärung nicht gut bekommen. Denn mit der Äpfelsäure gehen auch Frucht und Spritzigkeit verloren, die diese Weißweine auszeichnen. Beim Orange Wine ist das anders. Er darf ruhig etwas cremiger und fülliger sein, was ein Effekt der Milchsäure ist. Außerdem verleiht sie den naturbelassenen Weinen größere Stabilität ...
    "Milchsäure ist chemisch gesehen ein Endstadium. Dann ist Schluss! Es gibt kein Lebewesen oder sonst irgendetwas, das die Milchsäure noch abbauen könnte. Man möchte ja im Idealfall keine Filtrationsmaßnahmen machen. Man möchte mit möglichst geringen SO2-Gehalten - vielleicht sogar gar keine Schwefelzugabe - auskommen und so weiter. Und deswegen ist der biologische Säureabbau für die Stabilität solcher Weine extrem wichtig."
    Nur leider kann man nie sicher sein, dass alkoholische und malolaktische Gärung auch wie gewollt ablaufen. Das ist eine langjährige Erfahrung des Würzburger Önologen Hermann Mengler. Schon vor neun Jahren begann er damit, die Maischevergärung von Silvaner zu erproben, der wichtigsten Weißwein-Sorte in Franken ...
    "Natürlich läuft eine Gärung entsprechend, wenn sie denn mal läuft. Aber die kann genauso gut auch stehenbleiben. Es können genauso gut auch die natürlichen Hefestämme nicht mehr mögen. Und dann kommen Bakterien hinzu, die plötzlich dann den Zucker verstoffwechseln. Man hat den Eindruck: Okay, gut, es läuft zwar noch 'ne Gärung, weil noch was blubbert, weil Kohlensäure-Entwicklung da ist. Aber in Wirklichkeit verstoffwechseln die Bakterien den Zucker zur Essigsäure. Also, das geht dann Richtung Verderb."
    Deswegen ist Johannes Burkert im Herbst, nach der Befüllung, auch täglich an seiner 900-Liter-Versuchsamphore. Er misst, wie warm es im Gefäß ist und wie viel Zucker die Hefen schon vergoren haben."
    "Wir verwenden für die Orange-Wine-Bereitung sehr hochwertiges Lesegut. Dieses hochwertige Lesegut wird am Ende des Herbstes, also bei Vollreife, geerntet. Und wenn das zu spät ist, und es wird sehr schnell sehr kalt, dann könnte es auch sein, dass die Gärung nicht vollständig abläuft. Da können wir im Prinzip nur eingreifen über die Temperatur beispielsweise. Oder im Notfall, wenn die Gärung ganz ins Stocken kommen würde, könnten wir mit einer Reinzuchthefe nachhelfen, also eine Reinzuchthefe zugeben, um dann die Gärung wieder zum Laufen zu bringen."
    Voraussetzung ist natürlich, dass der Winzer das Geschehen im Blick hat
    "Bei so 'was muss man den Wein regelmäßig probieren, ein geschulter Verkoster sein, um dann Fehlentwicklungen rechtzeitig feststellen zu können und dementsprechend zu handeln."
    "Erstmal ... erstmal die Sensorik prüfen. Ja, also es riecht ... es riecht weich. Es hat schon ein kleines Bisschen 'was von ... Lakritz ist da auch dabei. Es ist interessant. Ist schön. Wollen Sie auch 'mal?"
    Ein Dreivierteljahr lang war der Orange Wine aus der Forschungsanstalt im Kvevri. Das liegt daran, dass der Spätherbst bei uns sehr kühl ist. Zu kühl für die wichtige zweite Gärung. Dieser biologische Prozess setzt erst im darauffolgenden Frühling ein, wenn es wieder wärmer wird.
    So lange bleibt der Wein dann natürlich auch mit der Maische in Kontakt - und tankt dabei jede Menge Phenole aus Traubenkernen und -schalen. Bitterstoffe, die man in Weißweinen eigentlich gar nicht schätzt. Für Orange Wine aber sind sie charakteristisch. Und zudem ein nützliches Antioxidationsmittel ...
    Kurzer Exkurs: Wenn Wein braunstichig wird ...
    Sauerstoff ist ein Oxidationsmittel. Bekommt ein Weißwein zu viel davon ab, färbt er sich braun wie ein angeschnittener Apfel - er oxidiert durch den Luftkontakt. Zugleich leidet der Geschmack: Er wird Sherry- oder schokoladenartig. Bei Orange Wine ist das bis zu einem gewissen Grad gewollt. Dadurch kommt schließlich auch sein Farbton zustande - durch die Oxidation der Gerbstoffe während des Ausbaus. Doch nach dem Abfüllen in die Flasche sollen auch Orange Wines stabil bleiben.
    Normalerweise ein Fall für Schwefel ...
    Weinen wird in aller Regel Schwefeldioxid zugesetzt, SO2. Daraus entsteht Schweflige Säure. Sie konserviert und verhindert Oxidationsreaktionen in der Flasche. Am stärksten geschwefelt werden Weißweine. Die erlaubten SO2-Gehalte sind heute sehr niedrig und gelten als gesundheitlich unbedenklich. Viele Verbraucher lehnen geschwefelte Weine dennoch ab. Sie machen SO2 dafür verantwortlich, wenn sie nach einigen Gläsern Kopfschmerzen plagen. Oder sie lehnen den Zusatz aus Prinzip ab.
    "Wenn ich keine SO2 einsetze - das ist ja Teil dieses Naturwein-, dieses Orange-Wine-Gedankens -, muss ich einen anderen Schutz gegen Oxidation haben. Und das ist dann eine phenolische Komponente."
    "Bei den Orange-Weinen ist es so, dass das kräftige Phenolgerüst auch als Radikalfänger wirkt, also freie Sauerstoff-Radikale abfängt. Und es dadurch nicht so schnell zu einer Oxidation kommt."
    "Und das ist / auch noch ein bisschen 'ne Herausforderung."
    "Wir sind jetzt genau am Ende unserer Schlauchleitung, am Tank. Das ist ein 500-Liter-Edelstahl-Tank. Und da pumpen wir jetzt gerade den jungen Wein rein."
    "So, jetzt wird's auch schon langsam trüb."
    "Ja, es wird auch langsam voll."
    "Geh' 'mal ein bisschen runter. Jetzt haben wir schon massiv Maische, die wir da rausholen."
    "Okay."
    Doch so einfach ist auch die Sache mit den Phenolen nicht. Man weiß das von Rotwein, der viel davon enthält. Gerbstoffe schmecken ziemlich bitter. Zudem wirken sie adstringierend, wie man sagt. Die Schleimhäute ziehen sich zusammen, Zunge und Gaumen sind pelzig belegt - dieses Gefühl, das sich nach einem Tropfen Roten einstellen kann.
    Johannes Burkert empfindet auch Orange Wines nach der Maischegärung zunächst als bitter und adstringierend. Doch das gebe sich mit der Zeit:
    "Im Laufe der Lagerung polymerisieren diese Phenole, diese Gerbstoffe, also lagern sich zusammen und werden immer größer zu Tanninen. Und wenn die Tannine groß genug sind, also der Wein lange genug gereift ist, dann schmeckt der Wein fülliger, kräftiger und nicht mehr bitter. Diese kleinen Phenole, die schmecken wir auf der Zunge an den Rezeptoren für Bitter. Und wenn die sich zusammenlagern zu größeren Teilchen, sind die irgendwann so groß, dass sie nicht mehr in die Rezeptoren reinpassen und dadurch nicht mehr bitter schmecken."
    Schwefel als Antioxidationsmittel ist vermeidbar
    Die Winzer müssen so Einiges im Auge behalten: die alkoholische Gärung, den biologischen Säureabbau, das Milder-Werden der Phenole. Prozesse, die sich über Monate hinziehen und den Ausbau von Orange Wine zu einer langwierigen Angelegenheit machen. Zum Vergleich: Rotwein hat normalerweise nur einige Wochen lang Kontakt mit Traubenkernen und -schalen ...
    "Damals, vor 7.000 Jahren, ist der Wein auch lange auf der Maische geblieben. Oder in Georgien, in den Amphoren, in den Kvevris, wird er heutzutage auch bis ins nächste Frühjahr auf der Maische gelassen. Das ist dann natürlich schon ganz 'was Anderes."
    "Ich hab' jetzt gerade die Blindkappe unten am Tank festgemacht, damit das alles sicher ist und nichts rauslaufen kann."
    Atmo 10 - Plätschern (Take 0651, 11:21-11:27 / 0'03)
    "So, jetzt ziehen wir 'mal die erste Probe aus dem Tank."
    "Schaut ja richtig schön aus!"
    "Total klar, nicht?"
    "Sehr kräftig, mineralisch."
    "Silvaner ist erkennbar. Grüner Apfel."
    "Man merkt die Tannine. Die pelzige Zunge."
    "Schon ein kräftiges Tannin-Gerüst, nicht?"
    "Hat sich gelohnt, so lange zu warten."
    "Okay!"
    "Wir fahren den Wein in den Keller, dass er..."
    "Ja, dass er nicht warm wird."
    Die bisherigen Versuche der Veitshöchheimer Forscher bestätigen: Ein Weißwein, der auf der Maische vergoren wird, kann auf Schwefel als Antioxidationsmittel verzichten.
    "Wir haben unseren 2012er Amphora K auch ohne jeglichen SO2-Zusatz abgefüllt. Und der ist bis heute nicht oxidativ, weil wir natürlich auch keinen Sauerstoffzutritt zugelassen haben. Wir haben ihn aus dem Kvevri rausgezogen und in einen Tank gezogen, der vollständig von Sauerstoff frei war, also mit Kohlensäure gespült war. Und von da aus direkt in eine Flasche, die ebenfalls vorgespült war, so dass jeglicher Sauerstoffkontakt vermieden wurde."
    Auch Kellermeister Jörn Goziewski vom Weingut Ankermühle verzichtet bei seinem Orange Wine gänzlich auf Schwefel - genauso wie auf eine Filtration. Auch damit könnte er im Wein verbliebene Mikroorganismen entfernen. Das A und O bei der Herstellung sei es, handverlesene, gesunde Trauben zu verwenden - Lesegut ohne jedes Anzeichen von Schimmelpilz-Befall.
    "Wenn das Traubenmaterial gut ist, dann hab' ich auch keine Sorge."
    Andere Weinmacher sind aber offenbar nicht so mutig ...
    "Bei den Winzern, die ich jetzt in Deutschland kenne, da ist immer noch das sehr große Sicherheitsdenken dabei. Deswegen wird geschwefelt dann noch. Und deswegen werden die filtriert. Um da möglichst 'was auszuschließen."
    Allerdings empfehlen auch die LWG-Forscher ihren Winzern, lieber schrittweise vorzugehen, wenn sie sich an Orange Wine heranwagen ...
    "Auch wir mussten da dazulernen. Wichtig ist, dass man dann die ersten Jahre mal auf Nummer sicher geht, das heißt mit SO2 arbeitet, also einen Wein auch schwefelt, vielleicht auch in den ersten Jahren mit Reinzuchthefe arbeitet, um ein bisschen Feingefühl für die Materie zu bekommen. Weil eben so eine Maischegärung bei Weißwein doch ganz 'was Anderes ist wie die herkömmliche Weißweinbereitung."
    "Vorsicht bitte! Noch ein Stück weiter, weiter, weiter."
    "Also, wir fahren den Tank in den Keller. Fahren jetzt in das Abfüllgebäude da bei uns rein, also in die Abfüllhalle. Und bringen ihn ins Kühlere."
    In Veitshöchheim plant man, die Versuche mit Orange Wine auszuweiten. Noch sind längst nicht alle Fragen beantwortet:
    "Warum die Orange Wines, die in vergrabenen Kvevris sind, anders schmecken als die Orange Wines, die im Keller, im Edelstahltank, entstehen? Ob's das Gefäß ist? Ob's der andere Temperaturverlauf im Boden ist? Also, wir glauben, dass die Temperatur hier schon eine sehr große Rolle spielt. Sind auch gerade am Überlegen, ob wir nebendran nicht ein Edelstahlgefäß mit vergraben oder versuchen, ein Edelstahlgefäß immer gleich zu temperieren wie die Maische im Kvevri."
    Eine spannende Frage ist auch: Welche Rebsorten eignen sich überhaupt für die Herstellung eines maischevergorenen Orange Wines? Die Diskussion wird hier sehr lebhaft geführt - auch von Fachberater Hermann Mengler:
    "Orange-Weine - ich will nicht sagen, dass sie austauschbar sind. Aber Sie können nicht mehr eine Scheurebe von einem Müller-Thurgau oder einem Silvaner unterscheiden. Bei 'Komplett ohne Schwefel' ist die Rebsorte definitiv weg. Das ist bei Silvaner vielleicht auch gar nicht so schlimm, weil Silvaner eher wirklich diese Aromenausprägung hat. Bei einem Riesling geht's gar nicht mehr ..."
    Im Weingut Ankermühle macht man Orange Wine aus Riesling. Inhaberin Birgit Hüttner sieht die Sache naturgemäß anders:
    "Gut! Dann muss ich fragen: Was ist denn ein typischer Riesling? Hat das jemand definiert? Nein! Also, es unterstützt unsere Experimentierfreude und Lust am Produkt und eben Dinge auszuprobieren. Und eben nicht die abgegrasten Pfade zu gehen, sondern auch 'mal neue Wege zu gehen."
    LWG-Präsident Hermann Kolesch zeigt sich ebenfalls aufgeschlossen:
    "Möglicherweise auch 'mal ein Riesling. Ist kein Thema! Wir müssen's wissen. Wenn wir's nicht tun, wissen wir's nicht, ob es nicht geklappt hätte und ein toller Wein 'rauskommt. Für uns ist natürlich der Silvaner, sagen wir, als fränkische Leitsorte zunächst 'mal das Wichtigste. Wenn der Rheingau sagt, wir wollen das mit Riesling machen, würde ich das voll verstehen. Wir werden es zunächst 'mal beim Silvaner belassen."
    "Das ist jetzt unsere Schatzkammer. Da sind die ganz besonders tollen Weine drin. Und hier können wir 'mal zum Verkosten unseren Orange Wine / 2013 rausholen."
    In Wien hat kürzlich ein Restaurant eröffnet, da stehen nur noch Orange Wines auf der Karte. Jeder vierte getrunkene Weißwein in Österreich soll inzwischen ein maischevergorener sein. Auch in der Schweiz sind sie stark im Kommen.
    "Ist aber mittlerweile weltweit verbreitet."
    Deutschland hinkt noch etwas hinterher ...
    "Wir haben tolle, supertolle Biowinzer, die keine Orange-Weine produzieren, weil sie sagen:'Nein, das ist nicht meine Welt.' Und wir haben auch andere Biowinzer, die machen mittlerweile schon zehn Prozent dieser Orange Weine. Es ist für den einen oder anderen Betrieb vielleicht eine Kategorie, wo er sagt: ,Da steig' ich etwas größer ein.' Man wird noch sehen, wo die Reise da letztendlich hingeht."
    "Also, wenn man jetzt so 'ne Flasche aufmacht, ohne den Hintergrund zu kennen - das ist sicherlich schwierig."
    "Orange Wines pur zu trinken ist schon was für Spezialisten."
    "In der Nase Kräuter, Vanille, Rosen, herbe Limettenschale und etwas reife Banane ..."
    "Diese kräftigen Weine."
    "... am Gaumen animierende Säuren und Aromen, die an Marzipan, Jasmintee und Kamille erinnern."
    "Wenn ich 'mal einen richtig scharfen, salzigen Käse mit so einem Orange Wine aus Georgien kombiniere - ist toll! Und das bereichert uns doch alle!"
    "Aber so für den einfachen Weingenuss ist doch ein herkömmlich bereiteter, frisch-fruchtiger Wein die bessere Wahl."
    "Ich glaube nicht, dass das sehr weit um sich greifen wird. Es ist für den Laien nicht sofort erkennbar, dass das ein toller Wein ist."
    "Nicht weiß, nicht rot. Die Chemie in Orange Wine".
    "Es gibt immer wieder Trends, und wir werden sehen, was kommt."
    "Es gibt ja eine ähnliche Bewegung vor 20, gut 20 Jahren, was die Barriquewein-Geschichte betrifft. Da sind am Anfang alle Feuer und Flamme gewesen. Und dann hat's sich plötzlich eingependelt. Also, so ähnlich seh' ich die Entwicklung hier bei uns, was das Thema ,Natural und Orange' betrifft."
    "Es wird nicht so weit gehen, es soll auch gar nicht so weit gehen, die komplette Typizität der hiesigen Rebsorten und Weine, ja, ad absurdum zu führen. Dass man sagt: ,Das allein ist jetzt nur noch en vogue, und nur das muss ich haben.' Also, ganz klar: Orange ein Hype, der aber ein Nischenprodukt immer bleiben wird."
    "Also, ich glaube, die halten sich sehr gut, wenn sie gut gemacht sind ..."