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Die Einser-Schülerin und der Visionär

Die Demokratische Partei der USA wird mit diesem Wahlkampf Geschichte schreiben. Zum ersten Mal streben dort eine Frau und ein Afroamerikaner das wichtigste Staatsamt der Welt an. Hillary Clinton oder Barack Obama heißt die Alternative. Brigitte Baetz stellt die wichtigsten auf Deutsch erhältlichen Biografien der beiden demokratischen Kandidaten vor, von ihren republikanischen Konkurrenten liegt Derartiges übrigens nicht vor.

04.02.2008
    "What´s so interesting about Hillary Clinton is that she has always wanted to rise above the conventional. She does not want to be a conventional politician and this is a great thing. But she often acts exactly like conventional politicians and more and more so since she had decided she wants to be in the senate and she wants to be president."

    Hillary Clinton wollte immer über dem Durchschnitt sein, sagt ihr Biograf Carl Bernstein. Sie wollte nie eine konventionelle Politikerin sein und doch, vor allem seit sie im Senat sitzt und Präsidentin werden will, agiert sie nicht anders als konventionelle Politiker. Hillary Clinton ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Welt, ein Medienstar. Es dürfte nur wenige Menschen geben, die keine Meinung zu ihr haben. Schließlich gab es kaum eine Frau, die in den 90er Jahren stärker unter öffentlicher Beobachtung stand.

    "In any marriage there are issues that come up between two people that I think are their business."

    In jeder Ehe kommen Themen auf, die ausschließlich eine Angelegenheit zwischen zwei Menschen sind, sagte sie angesichts ihrer öffentlichen Demütigung während der Lewinsky-Affäre ihres Mannes. Dass sie in jenen Tagen Bill Clinton beistand - sogar noch als bekannt wurde, wie sehr er nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch sie selbst angelogen hatte - brachte ihr den Respekt ein, der ihr für ihre eigene politische Haltung lange versagt geblieben war.

    Die Literatur über sie ist vielfältig. Doch kaum ein Biograf dürfte der komplexen Persönlichkeit der Hillary Rodham Clinton so gerecht geworden sein wie Carl Bernstein. Die Reporterlegende und unbestechliche Hälfte des einstigen Watergate-Enthüllungsgespanns Woodward/Bernstein hat ein Standardwerk vorgelegt, das auf seinen über 850 Seiten Text wohl kaum einen Aspekt im Auf und Ab des politischen wie privaten Lebens Hillary Clintons auslässt. Doch trotz seiner Materialfülle liest es sich wie ein Roman.

    Wo andere Autoren wie die deutsche Journalistin Christiane Oppermann ein wenig brav und mit viel Bewunderung den schon bekannten Lebensweg Clintons nachzeichnen, beschreibt Bernstein das Leben einer Frau, die nie zur Ruhe kommt. Ihr tyrannischer Vater zeigt sich immer unzufrieden mit seiner begabten Tochter, die sanfte Mutter treibt sie zum selbstständigen Denken an, aber auch zum steten Kampf, immer die Beste sein zu wollen, nie ein Feigling zu sein.

    "Als die siebzehnjährige Hillary Park Ridge verließ, um ihr Studium am Wellesley College aufzunehmen, waren fast alle wesentlichen Bestandteile – und Widersprüche – ihres Charakters klar zu erkennen: die scharfe Intelligenz und die Fähigkeit, den eigenen Horizont zu erweitern, der Ehrgeiz und die Wut, der Idealismus und die Fähigkeit, Demütigungen hinzunehmen, das Sendungsbewusstsein und die Überzeugung, auserwählt zu sein, (…) das hartnäckige Streben nach absoluter Kontrolle, und, was vielleicht am wichtigsten ist, das Festhalten an einer Religion, die ihr Trost, Leitlinie und Zuflucht ist."

    Für die Methodistin aus konservativer Familie ist die Religion mehr als nur spiritueller Überbau. Sie scheint, so legt es Bernstein nahe, einer der Schlüssel für ihr Politikverständnis und für ihr privates Leben zu sein - beide Aspekte sind nicht voneinander zu trennen.

    Das Gefühl der Auserwähltheit im Dienste eines besseren Amerika trifft sich mit dem Bedürfnis, ihren pathologisch untreuen Gatten vor sich selbst zu schützen, um mit ihm die Welt gerechter zu gestalten. Es macht sie moralisch selbstgerecht, aber versetzt sie auch in die Lage, die Wahrheit im Zweifel flexibel zu ihren Gunsten umzudeuten.

    Die Ehe der Clintons schwankt zwischen tiefer Zugewandtheit und ebenso tiefer Verzweiflung - doch immer ist klar, dass die beiden Ehepartner eine Einheit bilden. Der Erfolg Bill Clintons war ohne seine Frau Hillary nicht denkbar. Sie war es, die ihn immer wieder motivierte, die gemeinsamen politischen Ziele nicht aus den Augen zu lassen. Doch sie war es auch, die viele politische Chancen, vor allem in der ersten Amtszeit des Präsidenten, verspielte.

    "Die ungeschickte Personalpolitik im Weißen Haus, die katastrophalen Rückschläge bei der Suche nach einem Justizminister, das Whitewater-Grundstücksgeschäft, der so genannte Skandal um Wertpapiergeschäfte, die Entfremdung von wichtigen Senatoren und Kongressabgeordneten – all das war zu einem gut Teil Hillary zuzuschreiben."

    Das Freund-Feind-Denken der Präsidentengattin, die nie den Kompromiss, sondern immer den Kampf suchte, vergiftete den Umgang mit den Medien und mit der Washingtoner Gesellschaft. So mancher Skandal, der sich dann als Skandälchen entpuppte, wäre nie so hochgekocht, hätte Hillary Clinton nicht das Motto Konfrontation ausgegeben.

    Doch sie ist auch lernfähig, so Carl Bernstein, und weiß sich aus Opportunismus und um des Erfolges willen auch zu ändern, sonst wäre sie nicht seit sechs Jahren Senatorin des Staates New York.

    "Wir brauchen neue Führung, und ich bin überzeugt, dass wir die Anfänge dafür im November sehen. Es werden Demokraten quer durch die USA gewählt, denn die Amerikaner wissen, dass wir unsere Richtung ändern müssen."

    Ihr schärfster Konkurrent um die demokratische Nominierung, Barack Obama, sucht nicht den Kampf um jeden Preis. Er ist, wie Hillary Clinton, ein brillanter Rhetoriker, zudem eine charismatische Persönlichkeit. Und: Er steht für eine neue Generation und zaubert, so sein Biograf Christoph von Marschall, Glanz in die Augen seiner Anhänger, wie dies zuletzt dem jungen John F. Kennedy gelungen ist.

    "Er möchte den Irakkrieg beenden und die amerikanischen Truppen abziehen – das heißt aber nicht komplett abziehen, sondern einen Großteil abziehen. Er möchte eine allgemeine Krankenversicherung für jeden einführen - das wollen die anderen demokratischen Kandidaten auch - und er möchte Amerikas Ansehen in der Welt verbessern nach den enttäuschenden Bush-Jahren.

    Aber wenn es dann zu den Details kommt, da ist zum Beispiel Hillary Clinton wesentlich beschlagener. Sie ist so mehr die Einser-Schülerin, die alle Einzelheiten aus dem Kopf herunterrasseln kann, während Obama mehr für diese überwölbende Botschaft zuständig ist: Ich stehe über den Gräben, ich bin der Einzige, der Amerika nach den spaltenden Bush- und Clinton-Jahren wieder versöhnen kann, der die Rechte und die Linke zusammenbringt und Amerika in ein neues Zeitalter führt. Da ist er besser, als wenn er Auskunft geben muss über die ganz detaillierten Fragen - wie viel Milliarden zum Beispiel sein Programm einer allgemeinen Krankenversicherung kosten würde."

    Doch wollen die Amerikaner einen Präsidenten, der sich um Details kümmert oder wollen sie einen Visionär? Christoph von Marschall, Korrespondent des Tagesspiegel, beschreibt nicht nur den Aufstieg des neuen schwarzen Politstars, er zeichnet auch das Stimmungsbild eines Landes im Vorwahlkampf.

    Die Amerikaner lieben die Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen - und sie lieben die Botschaft der Versöhnung der Rassen. Nur 13 Prozent der amerikanischen Bevölkerung sind schwarz. Ein Mann wie Obama, der zwar eine dunkle Hautfarbe hat, aber die Karriere eines Weißen gemacht hat, ist vor allem für die Weißen wählbar.

    "Barack Obama ist kein typischer Afroamerikaner. Er ist nicht in einem schwarzen Ghetto in einer amerikanischen Metropole wie Chicago, New York oder Los Angeles in den Problemvierteln aufgewachsen. Er hat, sagen die Schwarzen, nicht diese Erfahrung einer gesellschaftlichen wie rassenmäßigen Diskriminierung. Barack Obama ist der Sohn eines schwarzen Gaststudenten aus Afrika und einer weißen Mutter aus Kansas. Er ist geboren in Hawaii, also außerhalb des amerikanischen Festlandes. Und Hawaii war schon immer ein Schmelztiegel, wo die Rassenunterschiede nie besonders hervorgehoben wurden.

    Und noch eines: Er hat ja Karriere gemacht, erstaunliche Karriere. Er hat in der besten Universität des Landes promoviert, in Harvard in Jura. Er ist im Senat aufgestiegen, wo er der einzige Schwarze ist. Er ist also richtig jemand, der ganz oben ist und das typische Bild eines Schwarzen ist. Doch: Der ist nicht so erfolgreich wie die Weißen."

    Sensibel beschreibt von Marschall den Weg des Barack Obama als Sohn eines abwesenden Vaters und einer liebevollen, bildungsbewussten Mutter. Obama ist intelligent, in sozialen Fragen ungemein engagiert und, darin Bill Clinton sehr ähnlich, fähig, sich in andere hineinzuversetzen.

    Und: Er hat ein untrügliches Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Seinen Durchbruch hat er beim Parteitag der Demokraten 2004 in Boston. Der junge, weithin unbekannte Politiker aus Illinois darf den Präsidentschaftskandidaten John Kerry vorstellen.

    "Schon mitten in der Rede [für Kerry] können sein Kampagnenmanager Robert Gibbs und sein Medienberater David Axelrod spüren, wie die Menge mitgeht. 'Wir schauten uns an wie zwei Kinder unter dem Weihnachtsbaum', erinnert sich Gibbs. Axelrod greift zu einem Bild aus der Baseballsprache. 'Manchmal kannst du es schon am Klang hören, wenn der Schläger den Ball trifft: Das wird ein Homerun.' Dann kommt Obama zu seiner Kernpassage.

    'E pluribus unum' steht auf dem Staatswappen der USA. Frei übersetzt bedeutet das, aus vielen unterschiedlichen Menschen, die aus diversen Ländern, Kulturen und Religionen kommen, eine gemeinsame Nation schaffen. 'Doch während ich hier rede' - und wieder nennt Obama keine Namen, aber jeder versteht, dass Bush und sein Stratege Karl Rove gemeint sind -, 'setzen andere darauf, die Gesellschaft zu spalten. Ich halte ihnen entgegen:'"


    "Das ist kein liberales und kein konservatives Amerika, es sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt kein schwarzes und kein weißes Amerika, kein Latino- und kein asiatisches Amerika. Es sind die Vereinigten Staaten."

    Schon bei seinem ersten überregionalen Auftritt hat Barack Obama das Leitthema seines politischen Lebens gefunden: die Gräben überwinden. Sein heute auf Deutsch erscheinendes Buch "Ein amerikanischer Traum" zeigt, dass dies nicht nur ein Wahlkampfslogan ist. Schon vor zehn Jahren ist es in Amerika erschienen, nachdem Obama als erster Schwarzer Chefredakteur der Harvard Law Review geworden war.

    Es zeigt einen ungemein reflektierten Menschen, einen Menschen, der trotz aller Jugendlichkeit mehr Lebenserfahrung besitzt als der durchschnittliche weiße Berufspolitiker je wird erwerben können. Seine multikulturelle Abstammung, seine Kindheitserfahrungen mit dem zweiten Mann seiner Mutter in Indonesien, seine Arbeit in den schwarzen Slums von Chicago - dieser ganze innere Reichtum wird stets konterkariert mit der Erfahrung des alltäglichen Rassismus.

    "Ich sah eine erschreckend einfache Welt mit beklemmenden Konsequenzen. Wir spielen immer auf dem Feld der Weißen, hatte Ray gesagt, und nach ihren Regeln. Wenn der Schuldirektor oder der Trainer oder ein Lehrer oder Kurt uns ins Gesicht spucken wollte, dann konnte er das tun, weil er, im Gegensatz zu uns, die Macht hatte. Wenn er uns wie Menschen behandelte oder uns verteidigte, dann deswegen, weil er wusste, dass unsere Worte, unsere Sachen, unsere Bücher, unsere Ziele und Wünsche längst die seinen waren."

    Wie in einem klassischen Bildungsroman beschreibt Obama sein Ringen um ein eigenes Selbstverständnis, darum, das weiße Erbe seiner toleranten Großeltern und seiner idealistischen, lebensbejahenden Mutter und das schwarze seines stolzen und charismatischen, aber viel zu fernen kenianischen Vaters zu verbinden.

    Sein politisches und berufliches Engagement bewahrt ihn davor, den Weg eines passiven Opfers einzuschlagen - und die Erziehung seiner Mutter, die ihn lehrte, stolz auf seine Herkunft zu sein und sie als Verpflichtung zu sehen. So unerfahren, wie ihn seine politischen Gegner gerne hätten, ist Obama also nicht. Ein aufrichtiger und aufrechter Außenseiter ist er aber allemal, auch wenn er versucht, dies politikergerecht in einen Vorteil umzumünzen:

    "Ich räume eine gewisse Vermessenheit ein, eine gewisse Verwegenheit. Lange habe ich die Methoden Washingtons nicht studiert. Ich war aber lange genug da, um zu erkennen, dass sie sich ändern müssen."

    Ironischerweise geht Obama damit genau gegen die Menschen an, die schon Hillary Clinton das Leben schwer machten, und denen sie bis heute eher feindselig gegenüber steht: das Washingtoner Establishment. Doch egal, wer das Rennen um das Weiße Haus für sich entscheidet. Die Biografien der beiden wichtigsten demokratischen Bewerber sind es wert, gelesen zu werden. Hillary Clinton ist bereits eine Person der Zeitgeschichte. Barack Obama wird es noch werden, selbst wenn er jetzt erst einmal ausscheiden sollte.


    Christoph von Marschall: Barack Obama. Der schwarze Kennedy
    Orell Füssli Verlag, Zürich 2007,
    224 Seiten, 24 Euro

    Barack Obama: Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie
    Aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
    Carl Hanser Verlag, München 2008,
    448 Seiten, 24,90 Euro

    Carl Bernstein: Hillary Clinton - Die Macht einer Frau
    Droemer/Knaur Verlag, München 2007,
    959 Seiten, 22,90 Euro

    Christiane Oppermann: Hillary Clinton - I am in to win
    Herder Verlag, Freiburg 2008,
    224 Seiten, 14,90 Euro