Dienstag, 21. Mai 2024

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Die ersten Pereira-Festspiele

Alexander Pereira inszenierte die weltbekannten Salzburger Festspiele in seinem ersten Intendantenjahr zu sehr im Zeichen von "Geld und Glamour", meinen Kritiker. Jörn Florian Fuchs erlebte einen veritablen Flop, eine exzellente Anna Netrebko und auffallend leere Stuhlreihen - sieht Pereira aber prinzipiell auf einem guten Weg.

Das Gespräch führte Kathrin Hondl | 01.09.2012
    Kathrin Hondl: Glamourös bis ganz zum Schluss – so geben sich die Salzburger Festspiele dieses Jahr in der ersten Saison unter dem neuen Intendanten Alexander Pereira: Ein schicker Festspielball mit allem drum und dran, Debütantinnen in exklusiven Dirndl-Kreationen, Galadinner in der Erzbischöflichen Residenz, Festumzug zur Felsenreitschule – großes Spektakel also soll heute Abend den glitzernden Schlusspunkt der Salzburger Festspiele setzen. Festspiele, die sich teurer und glamouröser denn je präsentierten und auch länger und üppiger als sonst, mit mehr Orchesterkonzerten zum Beispiel und ganz abgesehen von großen Namen wie zum Beispiel Anna Netrebko. Jörn Florian Fuchs hat für "Kultur heute" das Salzburger Musik- und Opernprogramm gehört und gesehen. Die ersten Pereira-Festspiele also, Herr Fuchs. Zu viel "Geld und Glamour" und zu wenig gute Werke habe es da gegeben, kritisieren jetzt viele Ihrer Kollegen, und Alexander Pereira, früher Opernintendant in Zürich, gilt ja als Gegner des, wie er es als Österreicher nennt, "Regisseurstheaters". War das denn den Operninszenierungen seiner ersten Salzburger Festspiele anzusehen?

    Jörn Florian Fuchs: Eigentlich nicht wirklich, und wenn man das mit den letzten Jahren, gerade aus der Zeit, als Jürgen Flimm Intendant war, vergleicht, dann fallen die Unterschiede, was die Regisseure etwa oder was die ästhetischen Handschriften betrifft, nicht so sehr ins Gewicht. Es begann ja mit einer "Zauberflöte", die Jens-Daniel Herzog inszeniert hat, die so ein bisschen auf halbem Weg stecken geblieben ist – lag wohl auch daran, dass der große alte Nikolaus Harnoncourt da ein bisschen mitgeredet hat, was konzeptionell geboten sein soll, und das war eine Mischung aus Komödie und Tragödie auf verschiedenen auch Zeitebenen, man wusste nicht so genau, wo das spielt und was das soll. Und dann haben wir eine "Bohème" hier erlebt, sehr dekorativ ausgestattet, wo es eigentlich nur um die musikalischen Leistungen ging, die sehr exzellent waren durch die genannte Anna Netrebko etwa, natürlich auch durch Piotr Beczala. Und dann hat ja Pereira versucht, etwas Neues zu kreieren, nämlich Ausgrabungen, die zusammenhängen mit Stücken, die es auch gibt, mit Klassikern. In dem Fall war es der zweite Teil der "Zauberflöte" von Peter von Winter, "Das Labyrinth". Das war leider ein veritabler Flop in jeder Hinsicht, da fehlte einfach ein Dramaturg, der dieses auch musikalisch sehr wüste und qualitativ nicht so hoch stehende Werk etwas einhegt und pflegt. Gegen Ende hin dann noch der große Knaller natürlich: "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann, von Alvis Hermanis inszeniert, das war wirklich ein Gesamtkunstwerk. Also rückblickend gesehen ähnlich eigentlich wie in den letzten Jahren, finde ich.

    Hondl: Die Opern, die stehen ja immer sehr im Blickpunkt in Salzburg. Dabei spielen ja Konzerte im Programm – jedenfalls zahlenmäßig – eine viel größere Rolle und da trauern ja viele dem früheren Konzertchef Markus Hinterhäuser nach. Wie sieht denn da Ihre Bilanz für diese neuen Salzburger Festspiele aus?

    Fuchs: Ich finde tatsächlich das Konzertprogramm in diesem Jahr ziemlich problematisch, und zwar liegt das daran, dass man auf der einen Seite Programme hatte, die miteinander nicht wirklich verzahnt waren. Wenn Hinterhäuser Kontinente oder Szenen machte zu zeitgenössischen Komponisten oder auch zu Liszt und Mahler, so war das hier "Salzburg Contemporary" zum Beispiel oder "Über die Grenze", irgendwie so merkwürdige Titel, und da, muss ich wirklich sagen, war ein ziemlich programmatischer Wildwuchs geboten. Hinzu kam auch noch, dass man in der Kollegienkirche, die von Hinterhäuser damals entdeckt wurde für neue Musik, Programme präsentiert hat, die da teilweise nicht hinpassten. Es gab Heinz Holliger, diesen versponnenen Schweizer Klangtüftler, das ist sehr, sehr gut in so einem Kirchenraum. Aber dann spielte man etwa "Kuhle Wampe", die Filmmusik von Eisler, oder sogar Strawinski, und da ist die Nachhallzeit in so einem Raum einfach zu groß. Also es fehlt handwerklich, finde ich, da an einigen Ecken und Enden. Nicht ganz vergessen sollte man allerdings noch eine Novität in Salzburg: "Ariadne auf Naxos" wurde von dem Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf in Szene gesetzt, und das war ein, wie ich finde, sehr gelungenes, spartenübergreifendes Werk mit Schauspiel in der Urfassung. Das ist Schauspiel, Oper und es kam noch Tanz dazu.

    Hondl: Summa summarum hört sich das jetzt für mich nach einer durchwachsenen Bilanz an. Gab es für Sie denn ein, das Highlight dieses Jahr in Salzburg, was vielleicht wirklich in Erinnerung bleiben wird?

    Fuchs: Es war komischerweise eine konzertante Aufführung: "Tamerlano" von Händel, wo Placido Domingo erstmals mit einem Barockensemble, dem Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski, diese Partie des Bajazet dort gesungen hat – Domingo, der natürlich überhaupt kein Barocksänger ist, der das aber mit einer unglaublichen Wucht und einem wirklich nicht nur vokalen Charisma gemacht hat. Das fand ich ein absolutes Highlight. Ich denke, dass man in den nächsten Jahren diesen Weg weitergehen sollte, schon generell mit Ausgrabungen oder auch mit spartenübergreifenden Programmen. Das finde ich prinzipiell gut. Man merkt aber doch, wenn man so in der zweiten, dritten Aufführung bei einzelnen Stücken war, dass es doch ein Platzauslastungsproblem gab. Da waren oft ganze Reihen leer und meine Recherchen haben dann ergeben, dass man sagte, ja gut, wir haben kurzfristig einfach anders budgetiert. Das ist natürlich ein schöner Trick: Dann sagt man halt, wir wollen eh nur 80 Prozent Auslastung. Und wenn es die dann gibt, dann heißt es, wir sind ausverkauft.

    Hondl: Also wie gesagt eine etwas durchwachsene Bilanz. Vielen Dank! - Das war Jörn Florian Fuchs mit seiner Bilanz der diesjährigen Salzburger Festspiele, der ersten Saison unter der Leitung von Alexander Pereira.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.